Berlin (csr-news) – Häufig treibt die Armut Menschen in Bangladesch in eine Beschäftigung im Textilsektor. Doch selten holt diese Beschäftigung die Betroffenen aus der Armut heraus. Darüber sprach CSR NEWS mit Berndt Hinzmann, Referent für Wirtschaft und Menschenrechte beim INKOTA-netzwerk und gewähltes Mitglied im Steuerungskreis des Textilbündnis. Das Gespräch führte Achim Halfmann.
Seit den tragischen Ereignissen in Rana Plaza, Bangladesch, hat sich für die Textilarbeiterinnen manches zum Besseren gewandelt. Der Bangladesh Accord hat zu einer Verbesserung von Gebäudesicherheit und Brandschutz geführt. Aber wie steht es um die Löhne?

Berndt Hinzmann, INKOTA (Foto: privat)
Berndt Hinzmann: Tatsächlich sind die Löhne in den Keller gerutscht und im Kontext der Corona-Pandemie haben sich auch die Arbeitsbedingungen verschlechtert: In Bangladesch grassiert die Inflation, die Währung wurde abgewertet. Der Arbeitsdruck hat sich insgesamt erhöht. Derzeit liegt der Mindestlohn bei 8.000 Taka, das sind knapp 70 Euro im Monat. Das ist nicht existenzsichernd, und es hat Folgen: So werden Kinder nicht zur Schule geschickt. So verdient eine Mutter heute trotz massiver Überstunden und ohne ein freies Wochenende 10.000 Taka im Monat; das reicht nicht für ihre Familie.
Der Mindestlohn wird aller fünf Jahre neu verhandelt; in diesem Jahr ist es wieder so weit. Die Gewerkschaften gehen mit der Forderung von 23.000 Taka in die Verhandlungen. Das entspricht den Berechnungen des Bangladesh Institute of Labour Studies (BILS), das seine Berechnungen Anfang des Jahres in der Studie „Mind the Gap“ ausführlich dokumentiert hat. Und es geht ihnen nicht nur um den Lohn, sondern auch um die Arbeitsbedingungen. Beim Thema Arbeitsdruck sind ganz klar auch die auftraggebenden Unternehmen und Brands aus Europa gefordert. Nachhaltige Einkaufspraktiken müssen umgesetzt werden.
Das trifft in gewisser Weise auch für den neuen Bangladesh Accord zu. Denn dass dieser wie bisher funktioniert, ist übrigens nicht sichergestellt: Seit der Überführung des Accords in die Verantwortung der Regierung von Bangladesch gibt es Hinweise darauf, dass Kontrollen nicht so zuverlässig durchgeführt werden wie zuvor. Es fehlt an Ressourcen, um fachspezifisch kontrollieren zu können. Diese Ressourcen müssen dem Account dringend zur Verfügung gestellt werden.
Wie stark ist die Position der Gewerkschaften in Bangladesch?
Es gibt gerade ganz massive Repressionen gegen exponierte Gewerkschafter, die gezielt von Schlägern angegriffen werden: Im Juni wurde Shahidul Islam, Präsident der Textil- und Industriegewerkschaft, zusammengeschlagen und erlag seinen Verletzungen. Er hatte ausstehende Löhne eingefordert. Aktuell gibt es zwei neue Fälle von Angriffen auf Gewerkschafter.
Die Zahl der demokratisch gewählten Gewerkschaften in den Betrieben ist immer noch nicht sehr hoch. Und es gibt zahlreiche sogenannte „gelbe“ Gewerkschaften, die von Fabrikbesitzern mitgegründet wurden. Ein Grundpfeiler fairer Lieferketten sind starke demokratische Gewerkschaften. Der Schutz der Vereinigungsfreiheit muss durch Capacitiy Building und echte Beteiligung gewährleistet werden. Gutes Stakeholder Engagement ist deshalb ein wichtiges Element für die Umsetzung von Sorgfaltspflichten und ein wesentlicher Beitrag von Multi-Stakeholder-Initiativen. Auch hier könnte das Textilbündnis eine Schippe drauflegen.
Zurück zu den Mindestlöhnen: Warum ist deren deutliche Anhebung so kompliziert?
Löhne sind ein Kalkulationsfaktor im Pricing, wenn auch ein geringer. Geringe Mindestlöhne sollen den Bekleidungsbereich weiter boomen lassen. Und für Bangladesch sind Mindestlöhne ein Wettbewerbsfaktor in der Konkurrenz zu Produktionsstandorten wie Indien, Kambodscha oder China.
Deshalb ist es notwendig, dass die Einkaufspraktiken und die Produktentwicklung transformiert – also auf Nachhaltigkeit umgestellt – werden. Es gibt das – vom deutschen Textilbündnis mitinitiierte – “Common Framework for Responsible Purchasing Practices”. Das Rahmenwerk beschreibt im Detail welche Schritte unternommen werden müssen, damit es nicht aufgrund von gängigen Einkaufspraktiken und Geschäftsmodellen zu Arbeits- und Menschenrechtsverletzungen kommt. Das Textilbündnis hat sich für das Rahmenwerk für verantwortlichen Einkauf ausgesprochen. Wenn es in einer Bündnisinitiative umgesetzt würde, dann wären es konkrete Schritte zu Just Transition in einer globalen Lieferkette und so würde politisch eine andere Handlungsmacht entstehen.
Zudem gibt es eine ständige Diskussion darüber, wie ein existenzsichernder Lohn berechnet werden soll. Damit muss Schluss sein. Eine differenzierte Methodik hat etwa die Asia Floor Wage Alliance vorgelegt. Es kommt jetzt darauf, an die Lücke zwischen dem tatsächlichen Lohn und dem existenzsichernden Lohn zu schließen. Dass es da eine gewaltige Lücke gibt, wird unabhängig der Methodik anerkannt.
Welche Rolle spielt das Bündnis für nachhaltige Textilien, wenn es um die Verbesserung der Löhne und der Arbeitsbedingungen in der Textilindustrie geht?
Seit der ersten Runde bis heute sitze ich als Vertreter der Zivilgesellschaft im Steuerungskreis des Textilbündnisses. Das Bündnis hätte mehr Potential gehabt – gerade in den ersten Monaten nach der Katastrophe von Rana Plaza. In vielen Bereichen – wie bei dem erwähnten Common Framework of Responsible Purchaising Practices – fehlt es an sichtbarer Umsetzung, auch bei Mitgliedern des Textilbündnisses. Das Textilbündnis will mehr Wirkung vor Ort erreichen und hat deshalb vier Fokusthemen gesetzt und eines davon ist Nachhaltige Einkaufspraktiken und existenzsichernde Löhne. Um Wirkung zu erzielen und sichtbar zu sein, bedarf es mehr als ein verbales Commitment.
Der Steuerungskreis des Textilbündnis wurde neu gewählt – die Verbände sind nicht vertreten. Seitens der Zivilgesellschaft habe ich ein neues Mandat bekommen. Ich bin gespannt, ob die neue Zusammensetzung mehr Tempo und ambitionierte Umsetzung mit sich bringt. Die Chance ist da, auch wenn das besondere Momentum der Anfangszeit fehlt.
Dass sich das Textilbündnis nach der Verabschiedung des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes auf Schwerpunkte wie existenzsichernde Löhne konzentriert hat, war eine weise Entscheidung. Denn in der Bündelung liegt auch Potential für gemeinsames Engagement. Angesichts der verschiedenen Krisen und das Menschen keinen Zugang zu sozialen Sicherungssystemen haben oder einen Lohn zum Leben erhalten, kann durch gemeinsames Engagement Transformation vorangetrieben werden. Und ja, dabei unterstützt auch ein gesetzlicher Rahmen, wie Risiken erkannt und abgestellt werden sollen.
Ist es ein Problem für die Wirksamkeit des Textilbündnisses, dass nur etwa die Hälfte der Unternehmen hierzulande Mitglied sind?
In den ersten beiden Jahren des Bündnisses hieß das Ziel, eine Marktabdeckung von etwa 75 % zu erreichen. Aber die Marktabdeckung scheint nicht der richtige Treiber gewesen zu sein. Zu Treibern wurden einige progressive Unternehmen. Und es sind diese Unternehmen, die bei ihren Produzenten etwa in Ländern wie Vietnam bis 2025 die Einführung existenzsichernder Löhne erreichen wollen. Andere Mitglieder der bisherigen Bündnisinitiative sind über das Mapping ihrer Produzenten nicht hinausgekommen. Ja, es sind durchaus vielschichtige Prozesse, die auch neben einer guten Strategie Zeit bedürfen.
Doch letztlich muss sich jedes Mitgliedsunternehmen fragen, wie konsequent Nachhaltigkeit insgesamt in der Strategie und den Einkaufspraktiken des Unternehmens umgesetzt werden. Bei manchen Unternehmen fehlt es da an Risikobereitschaft.
Haben Sie vielen Dank für das Gespräch!
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