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„Wir sind kein Startup, wo jeder etwas ausprobieren kann.“

Maria Hinz (Foto: James Zabel / BARMER)

KI und die Barmer Krankenversicherung. Das Interview mit Digitalkoordinatorin Maria Hinz

Wuppertal (csr-news) – Datenschutz und Qualität in der Kundenkommunikation sind zwei Aufgabenstellungen, die in Krankenversicherungen eine hohe Bedeutung besitzen. Maria Hinz ist Digitalkoordinatorin bei der Krankenversicherung Barmer. Das Versicherungsunternehmen ist Mitglied der von der Bundesregierung ins Leben gerufenen Corporate Digital Responsibility-Initiative und stellt sich Fragen der Integration digitaler Tools systematisch. Mit Maria Hinz sprach Achim Halfmann für das CSR MAGAZIN.

CSR MAGAZIN: Frau Hinz, wie steht es aktuell um das Thema Künstliche Intelligenz (KI) bei der Barmer?

Martina Hinz: Es gibt Bereiche, in denen wir Data Science-Modelle einsetzen. Die Herausforderung, unsere Kollegen zu beteiligen und aufzuklären, wird größer. Deshalb haben wir Anfang des Jahres eine Arbeitsgruppe zu chatGPT und LLM – Large Language Models – eingesetzt. Mehr als 25 Mitarbeitende sind beteiligt, der Teilnehmerkreis kann je nach Themenstellung wechseln. Wir haben uns bereits mehrfach getroffen und auch Workshops zu KI-Themen gestaltet.

Mit KI haben wir uns bereits länger beschäftigt, die Themen LLM und chatGPT stehen seit diesem Jahr im Fokus. Denn durch die Prominenz dieser Modelle hat sich einiges geändert: KI war bisher ein Thema für Techies und Projektleitungen. Aber die LLM versetzen alle Mitarbeitenden in die Lage, mit einer KI zu kommunizieren. Das erzeugt eine ganz andere Reichweite.

Worum geht es in Ihrer Arbeitsgruppe?

Zunächst haben wir gesammelt: Welche Risiken kennen wir im Blick auf KI-Anwendungen? Welche Chancen springen uns entgegen? Dann haben wir einen Action-Plan erstellt und konkrete Aufgaben benannt.

Zum Beispiel haben wir uns gefragt: Gibt es offene Flanken im Blick auf die Mitarbeiterbildung? Kolleginnen und Kollegen nutzen chatGPT zuhause, etwa weil sie schulpflichtige Kinder haben. Wenn ich also die Möglichkeiten von chatGPT aus dem Privaten kenne, kann ich das dann auch im Beruf einsetzen? Wollen wir, dass Kolleginnen und Kollegen diese Möglichkeiten nutzen? In welchem Rahmen?

Der Einsatz von LLM braucht Rahmenbedingungen: Wir sind ja kein Startup, wo jeder etwas ausprobieren kann. Vielmehr haben wir eine starke Regulierung, der Datenschutz und die Einbindung des Personalrats sind für uns sehr wichtig. Wir digitalisieren nicht, bevor wir uns nicht über den Nutzen klar sind. Wir schauen uns die Herausforderungen an und ordnen sie anhand unserer Werte ein. Sie können sich denken: Wir haben einen ziemlich umfangreichen Action-Plan.

In welchen Bereichen kommt KI denn bei der Barmer bereits zum Einsatz?

Erste kleine Experimente gibt es unter anderem im Marketing, wenn es etwa um unterschiedliche Headlines für Texte geht. Da können wir auf Use Cases aufbauen, die es an anderen Stellen bereits gibt. Und in diesem Bereich sind keine Versichertendaten betroffen. Diese Kolleginnen und Kollegen haben für ihre Arbeit erste Leitlinien festgehalten. Zusätzlich arbeiten wir im Bereich der Marketing Automation daran, technische Leitlinien für den Einsatz von KI zu erstellen, die sich am Entwurf der Europäischen Union für einen AI-Act orientieren. Diese technischen Leitlinien sagen etwa, welche Daten für KI-unterstützte Marketingprozesse genutzt werden können. Aber für andere Tätigkeitsbereiche werden wir andere Leitlinien brauchen – und Schulung.

Wie können solche Schulungen aussehen?

Zunächst wollen wir alle frühzeitig abholen, wir wollen vorangehen und eigene Positionen zu den Themen LLM und chatGPT entwickeln. Da sind wir noch im Prozess, aber informieren wollen wir unsere Beschäftigten schon heute.

Für Mikrofortbildungen nutzen wir einen „digitalen Fischteich“ auf unserer digitalen Lernplattform „DigiTal“, ein Programm, das Beschäftigte neben anderen Programmen auf ihrem Rechner laufen lassen können. Es nimmt die Kolleginnen und Kollegen mit in eine digitale Lernwelt, die wie eine Urlaubsreise in die Alpen wirkt. Hier kann man sich über unsere digitalen Produkte informieren oder auch sozusagen Fachbegriffe fischen. So erhält man jeweils eine allgemeinverständliche Erklärung. Dort haben wir auch den Begriff chatGPT untergebracht und erste Risiken thematisiert.

Sie werden nicht die einzige Krankenversicherung sein, die sich mit dem Thema KI beschäftigt. Nutzen Sie Synergien?

Digitale Themen spielen seit Jahren eine Rolle im Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherungen. Dort geht es etwa um das wichtige Thema Datenschutz. Der GKV-Spitzenverband führt etwa Verhandlungen mit Microsoft, da unsere Datenschutzbestimmungen aktuell eine Nutzung vieler Microsoft-Produkte nicht zulassen. Den Ausbau der Zusammenarbeit in verschiedenen relevanten Verbänden prüfen wir gerade.

Darüber hinaus erhalten wir von außerhalb unserer Branche im Rahmen der „Corporate Digital Responsibility-Initiative“ Input durch andere Unternehmen. Und mit dem Essener Wirtschaftsethiker Prof. Stefan Heinemann haben wir uns externe Expertise ins Haus geholt.

Wo könnten Sie sich innerhalb Ihrer Krankenkasse zukünftig KI-Einsatzfelder vorstellen?

Das Erste, was einem in den Sinn kommt, ist der Kundenservice. Dort sind heute bereits Sprachdialogsysteme im Einsatz: Bereits heute kann man die Krankenversicherungsnummer einfach am Telefon ansagen und Prozesse wie die Ausstellung einer neuen Versicherungskarte automatisiert anstoßen. Mit dem Einsatz von KI ließe sich diese Kommunikation automatisieren, vielleicht sogar verbessern.

Aber wäre das richtig? Wollen wir mit Maschinen oder Menschen sprechen? Wie steht es dann um den Datenschutz? Manche Menschen erzählen am Telefon viel Persönliches, auch das muss man im Blick halten und vor allem die Wahl der eingesetzten Services ethisch abwägen. Das geht nur, wenn alle Richtlinien weiterhin eingehalten werden.

Auch als Krankenkasse verlieren wir durch die Demografie in den kommenden Jahren viele Mitarbeitende, die in den Ruhestand gehen. Das wiederum macht den Einsatz von KI attraktiv.

Welchen nächsten Themen werden Sie sich in Ihrem Arbeitskreis zu chatGPT und LLM stellen?

Unsere Themen, Arbeitsaufträge und Arbeitsergebnisse halten wir auf einem digitalen Board fest. Dieses Board ist ziemlich angewachsen. Wir setzen uns jetzt mit den Grundlagen auseinander und wollen Einsatzmöglichkeiten im Gesundheitswesen gezielt erfassen. Gemeinsam mit unseren Mitarbeitenden werden wir im Intranet einen Bereich zusammenstellen, wo Informationen und Updates bereitgestellt werden. Dabei werden wir mit einem Wertecheck feststellen, wo es Konflikte gibt. Und parallel läuft eine juristische Einordnung und die Klärung datenschutzrechtlicher Fragen in unserem Justiziariat.

Wir haben dafür Verantwortlichkeiten definiert und ein fachliches Team zusammengestellt.

Uns steht ein größerer Strategietag bevor. Wenn die Grundlagen geklärt sind, wollen wir konkrete, zeitlich definierte Ziele festlegen und ziemlich zügig größere Leitlinien an den Start bringen. Dabei geht es auch darum, wie Werte operationalisiert werden können und auf welche Sprachregelungen gegenüber Kundinnen und Kunden wir uns verständigen.

Und schließlich wird es um kleinere Bereiche gehen – außerhalb des Kerngeschäftes, in denen wir die Implementierung von KI-Technologien testen können. Alles zusammen ist das ein Programm für die nächsten drei Jahre.

Haben Sie vielen Dank für das Gespräch!

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