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Können wir Menschen bald alle nach Hause gehen?

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Künstliche Intelligenz und Net Zero-Strategien. Ein Beitrag für das 39. CSR MAGAZIN

Angesichts steigender Stakeholder-Erwartungen reduzieren immer mehr Unternehmen ihren Ausstoß an Treibhausgasen. Net Zero, also unter dem Strich null Emissionen, wird zum Standard im Hinblick auf Europas Bemühungen, bis 2050 der erste klima-neutrale Kontinent zu sein. Entsprechende Net Zero-Strategien erfordern von den Unternehmen einiges an Datensammlung, -verarbeitung, und Planung. Dafür scheinen KI-Anwendungen prädestiniert. Wofür brauchen wir künftig noch den Menschen?

Von Daniel Silberhorn

„Der Faktor Mensch“ – zu diesem Thema wurde ich jüngst von einer firmeninternen Arbeitsgruppe zu einem Telefonat eingeladen. Was ist, wenn künftig Erfassung, Berechnung und Reduktion von Treibhausgasen immer mehr durch KI erledigt werden? Diese Frage stellten sich Kolleginnen und Kollegen, die Unternehmen dabei helfen, ihren CO2-Fußabdruck zu erfassen und zu reduzieren.

Eine Frage, die so oder ähnlich viele Experten unterschiedlicher Branchen bewegt, seit ChatGPT Ende 2022 veröffentlicht wurde. Bereits im Februar 2023 erreichte der KI-Chatbot 100 Millionen aktive Nutzer im Monat. Und er bestieg damit den Thron der am schnellsten wachsenden Anwendung aller Zeiten.

Tatsächlich werden wohl viele Berufe einen beschleunigten Wandel durch KI erleben. ChatGPT-Entwickler OpenAI selbst schätzt: Rund 80 Prozent der Arbeitnehmer in den USA seien in Berufen tätig, in denen mindestens eine Aufgabe durch KI schneller erledigt werden könnte. Betroffen seien etwa Buchhalter, Mathematiker, Programmierer, Dolmetscher, Schriftsteller und Journalisten.

Wie sieht das in der Praxis für eines der aktuell wichtigsten Nachhaltigkeitsthemen bei Unternehmen aus – die gezielte Reduktion von CO2-Emissionen und insbesondere ihre Net Zero-Strategien?

Net Zero als aufwändiger Standard

Der Begriff ‚Net-Zero‘ (‚Netto-Null‘) tauchte erstmals 2018 in einem Bericht des Weltklimarats (IPCC) auf. Diesem Bericht zufolge müssen alle Länder ihre Kohlendioxidemissionen bis 2050 auf Netto-Null reduzieren. Nur so sei es möglich, die globale Erwärmung auf 1,5 °C im Vergleich zum vorindustriellen Niveau zu begrenzen. Unternehmen können Netto-Null erreichen, indem sie ihren eigenen Ausstoß von Treibhausgasen so weit wie nur möglich reduzieren und die verbleibenden Emissionen durch Investitionen in Projekte wie nachhaltige Aufforstung oder erneuerbare Energien kompensieren. Inzwischen wird Net Zero immer mehr zum Standard unternehmerischer Klima-Strategien.

Viele der dabei für eine Berechnung des CO2-Fußabdrucks und für eine Net Zero-Strategie nötigen Schritte sind aufwändige menschliche Leistung, die durch digitale Tools unterstützt wird. Sie reicht von Datensammlung über deren Bereinigung bis hin zur Berechnung von Emissionsdaten und der Entwicklung von Zielen sowie konkreten Fahrplänen zur Umsetzung. Und im nächsten Schritt müssen Menschen dazu motiviert werden, ihr Verhalten zu verändern – beispielsweise durch eine klimafreundlichere Mobilität.

Es erscheint verlockend, die Fähigkeiten der aktuellen KI-Anwendungen zu nutzen. Allerdings: KI-Anwendungen verschlingen große Mengen an Energie – und sind damit selbst klimawirksamer Faktor. So soll die Entwicklung von ChatGPT-3 stolze 552 Tonnen CO2 verursacht haben. Laut MIT Technology Review kann ein einziges KI-Modell so viel CO2 verursachen wie fünf Pkw über deren gesamte Lebenszeit.

Großes Potenzial von KI für Net Zero

Wenn man das akzeptiert und die KI hoffentlich grünen Strom nutzt, zeichnen sich vielversprechende Einsatzgebiete ab. Ihre Stärke liegt in der Fähigkeit, große Mengen an Daten zu sammeln, schnell zu verarbeiten, auf Muster hin zu untersuchen und Optionen zu generieren.

Damit ist KI einerseits prädestiniert für die Analyse und Modellierung von Emissionsdaten. Entsprechend trainierte Programme können theoretisch den CO2-Fußabdruck von Unternehmen quantifizieren. Und Möglichkeiten für Einsparungen identifizieren – besonders dort, wo die Emissionen hoch sind. Auch für Prognosen und Szenarioanalysen können KI-gestützte Modelle nützlich sein, indem sie verschiedene Szenarien simulieren und Auswirkungen von Maßnahmen auf den CO2-Ausstoß voraussagen.

Andererseits kann KI künftig wertvoll sein, um den Einsatz von Ressourcen mit Blick auf weniger Treibhausgase zu optimieren: etwa bei Energieverbrauch, Logistik oder Produktionsprozessen. Das geht bis hin zu den Mitarbeitenden, um etwa über Apps die persönlichen Emissionen zu reduzieren. Auch in der Überwachung von Emissionen kann eine KI ihre Stärken ausspielen. Und sie wird in der Zukunft wohl auch bei transparenten und zunehmend genauen Nachhaltigkeitsberichten unterstützen.

Können wir Menschen also bald nach Hause gehen? Alles der künstlichen Intelligenz überlassen? Natürlich nicht, möchte ich sagen. Denn mehrere Gründe sprechen klar dagegen. Zumindest einer davon könnte sich mit fortschreitender Qualität künstlicher Intelligenz allerdings erübrigen.

Unsicherheiten und Grenzen der KI

Bei seiner ersten Präsentation machte Googles KI-Chatbot namens Bard im Februar 2023 vor den Augen der Weltöffentlichkeit spektakulär einen Fehler – und erfand schlicht eine Information. Das Knifflige: KI-Resultate wirken oft sehr überzeugend. Die Resultate sind aber immer nur so gut wie die Daten, auf die eine KI zugreift – und wie sie damit umgeht. Das ist durch Training und bessere Daten generell lösbar.

Ähnliches gilt auch für die Komplexität und Unsicherheiten, die mit der Umsetzung von Net Zero-Strategien verbunden sind. Die Komplexität ist dabei oft hoch und variiert von Branche zu Branche, von Unternehmen zu Unternehmen. Daten müssen aus allen Bereichen zusammengetragen, auf ihre Qualität geprüft und vereinheitlicht werden. Wo Angaben ungenau sind oder gar fehlen, müssen Nachhaltigkeitsmanager mit Schätzungen arbeiten, die auch einem kritischen Blick standhalten.

Besonders aufwändig wird es angesichts steigender Verantwortung für ganze Wertschöpfungsketten, die eine Vielzahl an Branchen und Regionen weltweit umfassen können. Hier ist eine enge operative Zusammenarbeit mit Lieferanten und Partnern nötig – bereits bei der Erfassung von Emissionsdaten.

Zudem erfordern Net Zero-Strategien eine langfristige Planung von Maßnahmen und Investitionen. Hier fließen Annahmen und Schätzungen zu verschiedenen Faktoren ein. Dazu zählen technischer Fortschritt, regulatorische Entwicklungen sowie die zu erwartende Preis-Volatilität von CO2-Emissionsrechten.


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Daniel Silberhorn
ist Senior Advisor ESG & Sustainability Transformation bei SLR Consulting in Frankfurt am Main

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