Ulm (csr-news) – Die Beachtung von Menschenrechten verteuert Textilien nicht wesentlich. Und CSR-Abteilungen lösen die Probleme des Supply Chain-Managements alleine nicht. Das sagt Martin Müller, Inhaber der Stiftungsprofessur Nachhaltiges Wissen, nachhaltige Bildung und nachhaltiges Wirtschaften an der Universität Ulm. Über die Herausforderungen im Lieferkettenmanagement sprach Achim Halfmann für CSR NEWS mit ihm.
CSR NEWS: Herr Prof. Müller, was sind die Ansatzpunkte für Ihre Forschungen zur CSR und speziell zur Supply Chain?
Martin Müller: Wir legen unseren Fokus darauf, wie Unternehmen ihre Wertschöpfungskette analysieren und wie ein nachhaltiges Supply Chain Management aus Unternehmenssicht gestaltet werden kann. Dabei fragen wir auch nach den Anreizen und Motivatoren für ein solches Engagement. Wir fragen danach, wie Risikofaktoren gefiltert werden können und wie aus Risiken Chancen werden. In einem Projekt beschäftigen wir uns damit, wie die ISO 26.000 CSR im Mittelstand stärken kann.
Wie weit sind Unternehmen mit der nachhaltigen Gestaltung ihrer Zulieferketten?
Das unterscheidet sich je nach Branche. Einige sind sehr weit, bei anderen ist noch viel zu tun. Und einige Branchen kommen nicht richtig voran, obwohl sie viel tun. Das gilt beispielsweise für die Textilbranche, in der Menschen- und Arbeitsrechtsthemen aufgrund des hohen Lohnkostenanteils und des relativ geringen Automationsgrades eine große Rolle spielen.
Warum geraten Textilunternehmen in Sachen CSR immer wieder negativ ins Gespräch? Viele haben doch inzwischen CSR-Manager oder ganze CSR-Stäbe beschäftigt.
Das Problem ist die Unternehmensstrategie bzw. die Unternehmensphilosophie. Manche Textilunternehmen haben CSR-Abteilungen mit fünf oder mehr Mitarbeitern aufgebaut. Aber dann arbeiten für diese Unternehmen 50 oder 100 Einkäufer, für die CSR-Gesichtspunkte nur eine untergeordnete Rolle spielen. Da werden Lieferanten wegen geringfügiger Preisunterschiede gewechselt und Aufträge unter hohem Zeitdruck oder über Zwischenhändler vergeben. Es reicht nicht, eine CSR-Abteilung zu gründen. Nachhaltigkeit muss im Unternehmenskern umgesetzt werden, also auch in der Beschaffung.
Wie sieht eine nachhaltige Beschaffung aus?
Einkäufer müssen entsprechend geschult werden. Und sie müssen die Möglichkeit erhalten, ihre Zulieferer tatsächlich zu kontrollieren. Das gelingt nicht, wenn „billig“ und „schnell“ die einzigen Vorgaben sind. Es braucht ein Monitoringsystem, das durchgehende Transparenz schafft, und langfristige Lieferantenbeziehungen. Und das gelingt nicht mit Zwischenhändlern, die den Preis der Hersteller drücken, um die eigenen Margen zu erhöhen.
Wie tief reicht Nachhaltigkeit in der textilen Lieferkette? Geschäftspartner der Händler sind die Nähereien, da bleiben die Färbereien, Spinnereien und die Baumwollbauern außen vor.
Handelsunternehmen versuchen dieses Problem zu lösen, indem sie ihre Zulieferer auf der ersten Stufe verpflichten, die Zulieferer auf der zweiten oder dritten Stufe ebenfalls in die Pflicht zu nehmen. Das wird natürlich immer schwieriger, je weiter Sie nach unten kommen. Ein Lösungsansatz kann der strategische Blick auf das Produkt sein und ein verändertes Produktdesign. Beispielsweise die Entscheidung, ein Kleidungsstück aus Bio-Baumwolle zu fertigen und so zugleich eine bessere Qualität anzubieten. Wenn man dies durchsetzen will, dann muss man die ganze Kette im Blick haben, sonst funktioniert das nicht.
Zu einem höheren Preis. Das heißt doch: Billig und nachhaltig passen grundsätzlich nicht zusammen.
Was heißt denn billig? Sicher gibt es Grenzen. Ich bezweifle, dass ein T-Shirt zum Preis von zwei Euro oder eine Jeans für zehn Euro nachhaltig produziert werden können. Aber wird ein Produkt durch die Einhaltung der Menschenrechte teurer? Oder durch die Vermeidung von Kinderarbeit? Oder durch pünktliche Lohnzahlung? Macht das so viel am Preis aus?
Die Einhaltung sozialer Standards verteuert ein Produkt nicht wesentlich. Natürlich brauchen wir ein Angebot preiswerter Produkte. Aber wir sollten die Armen in Deutschland nicht gegen die Armen in Asien ausspielen.
Anders ist das bei der Umsetzung ökologischer Standards. Da brauchen sie beispielsweise andere Ausgangsmaterialien, andere Farben und aufwendigere Produktionsbedingungen. Ökologische Produkte sind deshalb etwas teurer.
Wäre mehr unternehmensübergreifende Zusammenarbeit nicht ein wichtiger Ansatz für mehr Nachhaltigkeit in der textilen Zulieferkette?
Die gibt es bei den Zertifizierungen ja bereits durch den BSCI. Dort wird auf einem hohen Level auditiert, was etwa die hohe Quote der in Re-Audits als „non compliant“ bewerteten Unternehmen zeigt. Wie sich ein einheitlicher Kodex branchenweit durchsetzen kann, zeigt die Spielwarenindustrie. Dort haben Skandale dazu beigetragen, die Mehrheit der Unternehmen von einer Anwendung dieses Kodex zu überzeugen.
Es braucht aber nicht nur einheitliche Zertifizierungen, sondern auch eine Vereinheitlichung bei den Fragebögen im Rahmen der Pre-Audits. Da sollen Lieferanten teilweise 50 bis 6o Fragen beantworten. Das ist sehr aufwendig, wenn die Fragen von Abnehmer zu Abnehmer variieren. Hier gibt es derzeit einige interessante Initiativen von global tätigen Zertifizierern, die internetbasierte Branchenlösungen aufbauen.
Schließlich stehen Unternehmen noch vor dem Problem, ihr CSR-Engagement glaubwürdig nach außen zu kommunizieren.
Es gibt anerkannte Standards wie den SA8000 oder die Standards der FLA. Wir haben Nichtregierungsorganisationen danach gefragt, welche Ansätze sie für überzeugend halten, Da schnitt das FSC-Siegel mit seinem Drei-Kammer-System und der Beteiligung von NGOs gut ab. Wo vorhanden, sollten NGOs und Gewerkschaften in das Nachhaltigkeitsmanagement eingebunden werden. Zertifizierungsorganisationen sollten nicht nur ihre europäischen Experten nach Asien senden, sondern mit örtlichen Mitarbeitern arbeiten, die ohne Übersetzer mit den Menschen in den Unternehmen reden können und dabei auch die Zwischentöne hören.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Thema „Supply Chain“ wird Schwerpunkt der März-Ausgabe des CSR MAGAZIN.
>> Die Stiftungsprofessur für Nachhaltigkeit an der Universität Ulm im Internet
In Deutschland ist das Hauptargument bei den Einkäufern der “Preis” ! Der Einkäufer argumentiert mit dem Preisdruck der vom Verbraucher ausgeht. Wenn das so sein sollte, ist die Verbraucheraufklärung über den täglichen Einkauf und Konsum das was notwendig ist um ein Umdenken des Verbrauchers zu erreichen.