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Was folgt auf die Verabschiedung der ISO 26000? – Ein Interview mit Josef Wieland

Nach einem fünfjährigen weltweiten Beratungsprozess wurde die ISO 26.000 Guidance on Corporate Responsibility in diesem Monat verabschiedet. Worum geht es in dieser Norm? Was bedeutet sie für Unternehmen und Organisationen in Deutschland? Was folgt nach der Verabschiedung? Dazu äußert sich der DNWE-Experte Prof. Dr. habil. Josef Wieland vom Konstanz Institut für Wertemanagement (KIeM), der in dem Normierungsprozess mitgewirkt hat. Mit ihm sprach Achim Halfmann für das DNWE-Expertenforum.

DNWE: Die ISO 26000 ist verabschiedet. Wer steht hinter dieser Norm? Wer hat sie verfasst und wer legitimiert sie?

Josef Wieland: Die ISO griff Anregungen der internationalen Verbraucherorganisation auf, die erste Sitzung fand im Jahr 2004 in Schweden statt. Aber erfasst wurde die Norm durch eine Arbeitsgruppe, in der mehr als 600 Experten und Beobachter aus nahezu 90 Ländern in den letzten sechs Jahren zusammengearbeitet haben. Diese Experten und Beobachter waren, und das ist neu in der Geschichte der ISO, keine Vertreter von ISO-Mitgliedsorganisationen, sondern von sechs Stakeholdergruppen, nämlich der Industrie, den Gewerkschaften, den Konsumenten, den Regierungsorganisationen, den Nichtregierungsorganisationen und Experten aus verschiedenen Bereichen, etwa der Wissenschaft. Hinzu kamen Vertreter von sogenannten Liason Organisazation wie etwa der ILO, dem Global Compact oder dem European Business Ethics Network (EBEN), in dem ja auch das DNWE vertreten ist. Die Legitimität dieser Guidance Norm, also Leitlinie, ergibt sich vor allem aus der Inklusivität der Arbeitsgruppe im Hinblick auf alle relevanten Stakeholder, aus der Balance etwa der verschiedenen Stakeholderinteressen und Entwicklungs- und Industrieländern sowie einem deliberativen Verfahren, das ziemlich strikt demokratisch war.

Beim Thema “gesellschaftliche Unternehmensverantwortung” gibt es einen schnellen Wechsel der Begriffe. So wurde aus “Corporate Social Responsibility” nun “Corporate Responsibility”. Die ISO 26000 gibt nun Leitlinien zur “Social Responsibility”. Worum geht es in der Norm? An wen richtet sie sich?

Die Norm richtet sich an alle Organisationen in allen Ländern der Welt, also nicht nur Unternehmen in den Industrienationen, sondern auch etwa an Verwaltungen, Hochschulen, Schulen und so weiter – und dies auch in Entwicklungsländern. Daher die Streichung des “Corporate”; CSR-Norm, das wäre schlicht eine Verfälschung der Intention dieses Dokuments. Dahinter steckt die Idee, dass zur Bewältigung der gesellschaftlichen Konsequenzen der Globalisierung jeder einzelne Stakeholder allein überfordert wäre.
Regierungen und Unternehmen, um mal zwei zu nennen, sind dazu nicht ausreichend in der Lage, sondern es geht nur durch die proaktive Involvierung und Kooperation aller relevanten gesellschaftlichen Kräfte. Das ist vielleicht die wichtigste Botschaft des ISO 26000, auch für die CSR-Bewegung, die häufig Unternehmensengagement als Akt der Alleinunterhaltung durch diese Interessensgruppe versteht. Die Verantwortung für die Bewältigung der Herausforderungen und Dilemmata unserer Zeit muss von allen gesellschaftlichen Gruppen geteilt werden, erst das legitimiert ihren Einbezug in den Prozess. Die Entwicklungsländer haben eine bedeutende Rolle bei der Erarbeitung der Norm gespielt. Darin reflektiert sich, dass sich diese Norm auch und vor allem an die Organisationen dieser Länder richtet, also nicht nur etwa an die westlichen Multinationals oder Regierungen. Auch das ist neu und wesentlich, und dass die VR China zugestimmt hat, unterstreicht dies nur. Es geht im Kern darum, global akzeptierte Standards guten Organisationsverhaltens zu definieren, die deshalb global und nicht nur international sind, weil sie in einem fairen und diskursiven Prozess global erarbeitet und akzeptiert wurden. Es ist also auch ein Beitrag gegen das Institutions- und Organisationsdefizit der Globalisierung.

“Leitlinien” klingt unverbindlich. Die Norm ist verabschiedet, “what next”? Wie wird ISO 26000 Einfluss auf das unternehmerische Handeln in Deutschland gewinnen? Welchen Nutzen können Unternehmen daraus ziehen?

Der ISO 26000 ist keine technische Norm und auch kein Management System Standard, sondern eine Leitlinie, in der zunächst ein gemeinsames Verständnis grundlegender Begriffe, Prinzipien und Aufgabenfelder gesellschaftlicher Verantwortung definiert werden. Was wollen wir global unter Verantwortlichkeit, Stakeholderinteressen, Menschenrechten, fairen Organisationspraktiken und so weiter verstehen? Das ist schon mal etwas, und das ist auch für Unternehmen, die global handeln und kooperieren, von Bedeutung. Mit dem chinesischen oder brasilianischen Partner kann man sich jetzt beispielsweise auf gemeinsame Standards beziehen. Der Standard nennt auch Beispiele guter Praxis, aber da liegt nicht wirklich die Herausforderung für deutsche Unternehmen. Der Einfluss wird vermutlich vor allem in einer stärkeren Betonung und Ausrichtung der CSR-Politik der Unternehmen auf der Bildung von Stakeholdernetzwerken bestehen. In diese Richtung gehen übrigens auch die Empfehlungen des CSR-Forums der Bundesregierung, weil auf diese Weise die kleinen und mittelständigen Unternehmen besser aktiviert werden können. Hinzu kommt drittens, dass durch den Einbezug der NGO’s und der Konsumentenvertreter in die Bearbeitung der Norm auch das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Unternehmen gestärkt oder gar wiederhergestellt werden kann. Der Entzug gesellschaftlicher Akzeptanz und das Verfehlen gesellschaftlicher Verantwortung ist eines der TOP 10-Risiken für Unternehmen in der Zukunft, so das Ergebnis einer globalen Managementbefragung durch Ernst & Young. Die Finanzkrise, die Umweltkatastrophen der letzten Jahre und Monate und die Energiediskussion, um nur einige zu nennen, sprechen da eine deutliche Sprache.

Viertens ist mit dem ISO 26000 ein legitimer globaler Referenzstandard entstanden, den die Unternehmen nutzen können, ihre eigenen CSR-Aktivitäten zu überprüfen, zu systematisieren und weltweit gegenüber ihren Kooperationspartnern, ihren Kunden und der jeweiligen Gesellschaft zu kommunizieren. Dies nicht zuletzt auch im Vergleich zu anderen Unternehmen aus anderen Ländern, was sicher nicht zum Nachteil der deutschen Unternehmen ist.
Fünftens schließlich richtet sich die Norm auch und gerade an die Global Player aus Entwicklungs- und Schwellenländern. Es wird häufig übersehen, dass die westlichen multinationalen Unternehmen sich heute Konkurrenten auf Augenhöhe aus diesen Ländern gegenübersehen, die sich nicht ganz so entschlossen im Bereich gesellschaftlicher Verantwortung engagieren. Auch hier liefert die Leitlinie ein Dokument, an dem man sich orientieren kann.

Sie waren intensiv an dem Zustandekommen der ISO 26000 beteiligt. Sind Sie mit dem Ergebnis zufrieden? Oder hat der lange Diskussions- und Abstimmungsprozess den Kern des Anliegens verwässert?

Das Ergebnis ist, was es ist, und ich bin damit inhaltlich und vom Prozess her gesehen zufrieden. Vor allem, weil es ein mit großer Mehrheit akzeptiertes Ergebnis ist. Wer miterlebt hat, wie 600 Menschen aus sechs verschiedenen Interessensgruppen und aus 90 Ländern etwa sechs Jahre lang versucht haben, sich voraussetzungs- und manchmal auch sprachlos auf gemeinsame gesellschaftliche und moralische Standards zu einigen, weiß, worüber ich spreche. Jedenfalls waren Regierungen schon lange nicht mehr so erfolgreich in globalen Prozessen. Natürlich kann man vieles in der Norm besser oder anspruchsvoller formulieren, und natürlich hätte eine kleine Gruppe von Profis das in einem halben Jahr geschafft. Aber darum geht es bei der ISO 26000 überhaupt nicht. Es geht um die Legitimität wirtschaftlichen und öffentlichen Handelns in der sich bildenden Weltgesellschaft. Dies ist, vor allem nach den ILO-Normen und dem Global Compact, ein weiterer und wie mir scheint enorm wichtiger Schritt dazu. Was jetzt folgen muss, sind Initiativen zur Anwendung und Umsetzung der Leitlinie und der organisierte Austausch über die dabei gemachten Erfahrungen. Faktische legitime Ansprüche an Verantwortlichkeit und moralischer Integrität entstehen am Ende des Tages nicht allein aus deduktiven oder deliberativen Verfahren, sondern aus der Praxis der Menschen, aus ihrer Zusammenarbeit und aus der Aufarbeitung der dabei gemachten gemeinsamen Erfahrungen.

Herzlichen Dank!

Diskutieren Sie das Thema und lesen Sie ergänzende Informationen im DNWE-Expertenforum.


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