36.CSR-MAGAZIN CSR_NEWS Klimaschutz

Klimaneutral im deutschen Föderalsystem

Foto: Marcin Jozwiak auf Unsplash

Die Tücken der Kooperation von Kommunen und Ländern mit dem Bund. Ein Beitrag für das 36. CSR MAGAZIN

Wuppertal (csr-magazin) – Das Klimaabkommen von Paris ist ein Abkommen der Vereinten Nationen. Mit Artikel 4.1 wurde die Treibhausgasneutralität zum Ziel aller globalen Klimapolitik gemacht. Die Begriffe Klimaneutralität und Treibhausgasneutralität werden vom Klimasekretariat der Vereinten Nationen in der öffentlichen Kommunikation synonym verwendet. Die Europäische Kommission hat sich bisher im Zuge der Umsetzung ebenfalls für die synonyme Verwendung entschieden. In Deutschland ist es anders – da herrscht begriffliches Chaos.

Von Hans-Jochen Luhmann und Wolfgang Obergassel

Die Vereinten Nationen (VN) sind die Versammlung der Nationalstaaten, die sich seit dem 19. Jahrhundert als Territorialstaaten verstehen. Die Summe aller Mitgliedstaaten der VN deckt deshalb den Globus ab, zumindest den territorialen Teil, inkl. einer gewissen küstennahen Erstreckung zur See. Dieser Grundstruktur der Organisation wegen ist es so: Addiert man die Treibhausgasemissionen (THG-Emissionen) aller VN-Mitgliedstaaten, so ergeben sich die „globalen Emissionen“. Das gilt in etwa: es fehlt dann der Klimaeffekt des Luft- und Seeverkehrs, aber lediglich des „internationalen“ Teils.

Treibhausgasneutralität, ins Englische als „net zero“ übersetzt, ergibt sich, wenn die anthropogenen Emissionen auf dem Globus (in etwa) Null sind. Das Endziel der Klimapolitik unter dem Dach der VN, den menschgemachten Klimawandel zum Halten zu bringen, ist ein globales Ziel. Es kann somit arbeitsteilig verfolgt werden, indem es heruntergebrochen wird auf die Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen, auf Sub-Territorien – deren aufsummierte THG-Emissionen ergeben den Abstand zum globalen Ziel.

Dr. Jochen Luhmann

Die im globalen Klimaregime gespiegelte Grundstruktur der territorialstaatlich verfassten Vereinten Nationen hat Konsequenzen. Das erhellt eine Besinnung auf die Begrifflichkeit der Wirtschaftsstatistik: Grundsätzlich lebt die wissenschaftliche Fassung der Wirtschaft vom Antagonismus von Produktion und Verbrauch (Konsum). Statistisch dominant ist die Erfassung der Produktion, weil daran die (Faktor-)Einkommen hängen, letztlich das National-Einkommen (sic!). Die bekannteste Kennziffer der Wirtschaftsstatistik ist das Bruttoinlandsprodukt (BIP), wo das „P“ für „Produkt“ steht.

Die Verursachung von THG-Emissionen ist in der auf VN-Ebene vorgenommenen klimapolitischen Budgetierung allein auf der Seite der Produktion von Gütern zugerechnet, auf den Ort der Herstellung, auf örtlich fixierte Produktionsanlagen, von denen THG ihren Ausgang nehmen – Ziel der Rechnung ist Ermittlung der Summe der entstehenden Emissionen, sind die dem Territorialstaat zuzurechnenden Emissionen bei der Herstellung von Produkten.

Mit der Wahl des VN-Ansatzes wurde entschieden, den ebenfalls möglichen Ansatz, Emissions-Verantwortung auf der Seite der Nachfrage anzusiedeln, nicht zur Leitlinie der Klimapolitik der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen (UNFCCC) zu machen. Die Verantwortung für THG-Emissionen bei Endprodukten für den Konsum bzw. den Konsumakten selbst zu sehen, ist aber sehr beliebt. In Programmatiken grundsätzlicher Art wird das häufig verlangt. Konkret tun es auch kleinere Subjekte in Akten, mit denen demonstriert werden soll: Wir für unseren Teil werden unserer Klima-Verantwortung gerecht. Die Additivität solcher Bemühungen aber steht in Zweifel.

Klimabewusste Unternehmen und Kommunen nicht lediglich “Ausputzer”

Solche Subjekte sind vor allem Unternehmen und kleinere Gebietskörperschaften. Immer mehr Betriebe und Kommunen verpflichten sich zur „Klimaneutralität“. Selbst der Bund ist auf diesen Zug aufgesprungen und hat sich zum Ziel gesetzt, „die Bundesverwaltung bis zum Jahr 2030 klimaneutral zu organisieren.“ (§ 15 (1) KSG).

Wolfgang Obergassel

Hier ist wiederum ein Blick auf die Architektur der VN-basierten Klimapolitik angesagt. Fachleute sprechen davon, dass wir politisch in einem „Mehrebenensystem“ leben. Klimapolitisch mit Leben gefüllt bedeutet das: Das Deutschland zustehende Restbudget an THG-Emissionen, und damit sein Zielbeitrag, wurde von der VN-Ebene via die EU-Ebene auf die Ebene des Bundes in Deutschland heruntergebrochen. Doch damit ist das Ende der Fahnenstange offenkundig nicht erreicht. Der Bund emittiert schließlich nur einen klitzekleinen Bruchteil der Emissionen von Deutschlands Territorium aus selbst, aus eigenen Gebäuden, aus eigenen Verkehrsmitteln. Unterhalb der Ebene des Bundes gibt es weitere Ebenen, noch die der Länder und darunter die der Kommunen. Auf Länder und Kommunen aber wurde vom Bund nichts weitergereicht. Letztere sind diejenigen politischen Einheiten, die sprichwörtliche „Herzkammer der Demokratie“ sind, mit denen Bürger sich sehr gut zu identifizieren vermögen. Da ist der Druck recht groß, weil viele Bürger sich nicht schämen müssen wollen, in einer Kommune zu leben, die nach klimapolitischen Maßstäben einem Dreckstall gleicht. Die scharren mit den Hufen, die wollen ihren Beitrag leisten. Was aber heißt das politisch?

Zu den Motiven, welche die Unternehmen und Bürger in den Kommunen leiten, gehört ein Zweites. Die Bundesebene hat sich bekanntlich in der Umsetzung der Klimaziele für die Perioden 2013-2020 sowie 2021-2030 eine Pause geleistet, von rund einer Dekade. Diese Verzögerung hat dazu geführt, dass Deutschlands begrenzte Emissionsbudgets (der EU gegenüber) nicht mehr einzuhalten sind. Das ist eine willkürliche Verzögerung, die zu Lasten des Bundeshaushalts geht. Für die Periode bis 2020 muss Deutschland zahlen, das steht inzwischen fest. Die Bundesregierung muss in Zukunft gleichsam „nachsitzen“, muss ihre Versäumnisse in der Vergangenheit ausbügeln. Einen Teil davon hat sie mit dem Klimapaket vom Herbst 2019 geleistet. Aber eben nur einen Teil.

Die Klima-bewegten Unternehmen und Kommunen wollen mit ihrem Engagement vor diesem Hintergrund nicht die Hand dazu reichen, dass ihr Klimabeitrag lediglich dazu führt, dem Bund beim Ausbügeln seiner Lässlichkeit im letzten Jahrzehnt zu helfen. Sie wollen mehr, sie wollen, dass ihre freiwilligen Leistungen „additiv“ zu den Leistungen sind oder zumindest sein können, zu denen der Bund eh verpflichtet ist. In einem Beschluss der Umweltministerkonferenz bereits vom 8. Juni 2018 (TOP 15) (1) fand sich dieser Anspruch formuliert. Autoren waren Bundesländer, die sich selbst Ziele zur Reduktion der THG-Emissionen in der eigenen Landesverwaltung hin zur Klimaneutralität gesetzt haben und die auch für Kommunen und nicht-staatliche Akteure mit vergleichbarer Zielsetzung eintreten.

Diese Gebietskörperschaften möchten auch inländische Kompensationsmaßnahmen einsetzen können, sie wollen deren Wirksamkeit sicherstellen und Doppelzählungen ausschließen. Sie plädieren für einen organisatorischen Rahmen für bürgerschaftliches und unternehmerisches Engagement, der die Zusätzlichkeit der ihrerseits vorgenommenen Reduktionen von THG-Emissionen sicherstellt und belegbar macht.

Lösungsoption zur Vermeidung von Doppelzählungen

Inzwischen liegt zu diesem Sachverhalt ein Gutachten von Moritz von Unger vor, welches die Lösungsmöglichkeiten ventiliert (2). Das hatte der Bund auf Bitten der Länder in Auftrag gegeben. Das Ergebnis des Gutachtens: Es besteht nur eine Option, um Doppelzählungen zu verhindern: Für jede Gutschrift für Emissionsreduktionen, die auf Deutschlands Territorium mit Kompensationsprojekten erzielt werden, muss Deutschland im entsprechenden Umfang EU-seits vergebene Emissionsrechte löschen.

Diese Option ist für den Bund zum einen mit einem erheblichen administrativen Aufwand verbunden. Er hat einem Antrag von Seiten lokaler/regionaler Klimaschutzprojekte auf seinem Territorium zuzustimmen, und das wird er nur tun, wenn erwiesen ist, dass das Projekt tatsächlich eine zusätzliche Emissionsreduktion erzielt, die über das hinausgeht, was durch die Maßnahmen des Bundes ohnehin an Reduktionen erzielt worden wäre. Das erfordert ein ausgefeiltes Definitionsgerüst und entsprechende Prüfungen. Nehmen wir das Projekt des Flughafens Stuttgart, der die gesamte Mobilität und Logistik auf dem Vorfeld auf elektrische Antriebsformen umstellen will (3) und damit Abschied nimmt von den üblichen fossil-basierten Kraftstoffen: Zu entscheiden ist dann: Welcher Anteil daran, dass die THG-Emissionen vom Flughafen-Territorium aus auf Null gehen, ist Maßnahmen des Bundes zuzurechnen, und welcher der darüber hinausgehenden „Freiwilligkeit“ der Flughafen AG?

Im aktuellen klimapolitischen Kontext in Deutschland vermag diese Option aber noch weit kostenträchtiger für den Bund erscheinen. Der Bund wird mit dem ihm von der EU kostenlos zugewiesenen Volumen an Emissionsrechten bekanntlich nicht auskommen, er ist klamm an Emissionsrechten, er wird zukaufen müssen (4). Vor diesem Hintergrund wird es, zum anderen, dem Bund sehr schwerfallen, von den für ihn eh bereits knappen frei zugeteilten Emissionsrechten auch noch welche für Kompensationsprojekte stillzulegen. Von der Grundidee her wäre dies zwar ein Nullsummenspiel, da Deutschland entsprechend der erzielten Emissionsreduktion auch weniger Emissionsrechte an die EU abführen müsste. Doch der Bund weiß eben nicht, zu welchen Preisen er sich schließlich für die fehlenden Emissionsrechte zu refinanzieren hat.

Das vom Bund in Auftrag gegebene Gutachten sieht zwei Möglichkeiten, um diesem Risiko zu begegnen:

  1. Der Kreditierungszeitraum, innerhalb dessen einem Projekt Minderungsgutschriften ausgestellt werden, wird enger gefasst als die eigentlich faktisch zu erwartende Dauer von dessen Minderungswirkung – die Emissionsminderungen nach Ablauf des Kreditierungszeitraum kommen dem Bund zugute.
  2. Die Löschung von Emissionsrechten wird mit einer bestimmten Diskontierung vorgenommen: Es werden beispielsweise 70 Prozent gelöscht und dem Projekt als Gutschrift ausgestellt, 30 Prozent der Minderung hingegen gelten als Minderungsleistung des Bundes.

Es besteht somit in Deutschland die Chance, einen Rahmen für Klimaschutzprojekte zu schaffen, der die Möglichkeit von Zusätzlichkeit angemessen regelt. Dieses Vorgehen ist allerdings mit erheblichen Kosten verbunden. Wie die zwischen dem Bund und den Kompensationsprojektpartnern aufteilbar wären, ist völlig offen. Die Verhandlungen dazu befinden sich im Stillstand.

Dr. Hans-Jochen Luhmann ist Senior Expert am Wuppertal Institut
jochen.luhmann@wupperinst.org

Wolfgang Obergassel ist Co-Leiter des Forschungsbereichs Internationale Klimapolitik am Wuppertal Institut
wolfgang.obergassel@wupperinst.org

Fußnoten:

(1) https://www.umweltministerkonferenz.de/documents/umk-protokoll-90_1530105845.pdf

(2) https://www.umweltministerkonferenz.de/documents/top-17-kpmpens-treibhausgasemissionen_bmu_studie_2018_atlas_freiwilliger_markt_deu_1560320960.pdf

(3) https://www.oeko.de/fileadmin/oekodoc/WP-scale-up-2.pdf

(4) https://www.oeko.de/publikationen/p-details/aktueller-stand-der-emissionen-in-deutschland-mai-2020

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