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Der Smart Mix: Menschenrechtsschutz in Lieferketten

Containerhafen (Foto: Kyle Ryan auf Unsplash)

Deutschland diskutiert über ein Lieferkettengesetz. Ein Gesetzesentwurf ist angekündigt. Dabei fällt häufig das Stichwort „Smart Mix“.

Von Rechtsanwalt Holger Hembach

Menschenrechte sind unveräußerliche Rechte, die jedem immer und ohne Ausnahme aufgrund seiner Würde als Mensch zustehen. Traditionell werden sie als Rechte gegenüber dem Staat aufgefasst. Das hängt zunächst mit der historischen Entwicklung der Idee der Menschenrechte zusammen: Freiheitsrechte wie das Recht, nicht willkürlich festgenommen oder seines Eigentums beraubt zu werden, Redefreiheit oder Versammlungsfreiheit wurden gegenüber der Obrigkeit durchgesetzt. Folglich waren sie Abwehrrechte, die Bürgern gegen Eingriffe des Staates in ihre Freiheiten zustanden.

Was den Schutz der Menschenrechte auf internationaler Ebene betrifft, hängt die Fokussierung auf den Staat als Gewährleister der Menschenrechte auch mit den Gegebenheiten des internationalen Rechts zusammen.

Schutz auf internationaler Ebene

Die Idee, dass es eines internationalen Schutzes der Menschenrechte bedürfe, setzt sich erst nach dem Zweiten Weltkrieg voll durch. Sie wurde in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 festgeschrieben, ohne jedoch rechtlich verbindlich zu sein, und dann in die Form rechtsgültiger internationaler Abkommen gegossen. Diese gab es sowohl auf regionaler Ebene, wie beispielsweise die Europäische Menschenrechtskonvention in Europa oder die interamerikanische Menschenrechts Konvention, als auch auf globaler Ebene. Beispiele für letztere sind der internationale Pakt für bürgerliche und politische Rechte oder die UN Konvention gegen alle Formen der Diskriminierung von Frauen. Da nur Staaten im Völkerrecht als Rechtssubjekte gelten und somit auch völkerrechtlich verbindliche Verträge schließen können, waren auch sie es, die durch die entsprechenden Verträge verpflichtet wurden und die für die Durchsetzung der darin garantierten Rechte verantwortlich waren.

Unternehmen verletzen Menschenrechte

In den letzten Jahrzehnten hat sich aber immer mehr die Erkenntnis durchgesetzt, dass Unternehmen Menschenrechte ebenso verletzen können wie Staaten. Ob ein Staat die Gründung von Gewerkschaften verbietet oder praktisch unmöglich macht oder ob ein mächtiges Unternehmen gewerkschaftliche Aktivitäten unterbindet, macht für die Betroffenen keinen Unterschied. Darüber hinaus stellte sich die Frage, in welchem Umfang Staaten, vor allem in Ländern des globalen Südens, beim Schutz der Menschenrechte überhaupt gegenüber Unternehmen durchsetzungsfähig sind, deren Jahresumsatz oft höher liegt als das Bruttoinlandsprodukt der Staaten.

Es gab daher schon früh Stimmen, die sich dafür aussprachen, den Einfluss großer Unternehmen im Bereich des Schutzes der Menschenrechte zu analysieren. Schon im Jahr 1972 verabschiedete der „UN Economic and Social Council“ eine Resolution, die eine Studie zur Rolle multinationaler Unternehmen und deren Einfluss auf den Entwicklungsprozess forderte. Dabei ging es nicht nur um die Frage, ob transnationale Unternehmen Menschenrechte verletzen, sondern auch darum, in welchem Umfang die Aktivitäten transnationaler Unternehmen die Souveränität von Staaten untergraben.

Der Fall Ken Saro-Wiwa

Die Debatte über den Einfluss internationaler Unternehmen auf die Menschenrechte kam dann in den 90er Jahren zur Blüte. Ein Schlüsselereignis war dabei die Hinrichtung von Ken Saro-Wiwa in Nigeria. Saro-Wiwa war ein Schriftsteller und Journalist, der dem Volk der Ogoni angehörte. Die Ogoni leben im Niger-Delta, wo es durch die Förderung von Öl durch große Ölkonzerne zu erheblichen Umweltschäden gekommen war. Saro-Wiwa gründete die Bewegung für das Überleben des Ogoni-Volkes. Die Bewegung forderte Entschädigungen und eine Beteiligung an den Öleinnahmen. Es kam zu Auseinandersetzungen zwischen der Protestbewegung und der nigerianischen Armee; Saro-Wiwa wurde festgenommen, zum Tode verurteilt und zehn Tage später mit acht seiner Mitstreiter hingerichtet.

Kritiker sind der Auffassung, das Ölunternehmen Shell, das Öl im Nigerdelta gefördert hatte, trage eine Mitschuld am Tod der Aktivisten. Shell zahlte im Rahmen eines Vergleichs 15,5 Millionen US-Dollar, um ein Gerichtsverfahren in den USA wegen Menschenrechtverletzungen zu beenden. Der Fall Saro-Wiwa und einige ähnliche Fälle fachten die Debatte über Menschenrechtsverletzungen durch Unternehmen an.

Gesetz oder Selbstverpflichtung?

In dieser Debatte standen sich schon früh zwei Ansätze gegenüber: Die einen forderten die Schaffung verbindlicher Vorschriften auf internationaler Ebene, die das Verhalten transnationaler Unternehmen im Bereich der Menschenrechte regeln sollten. Die anderen setzten sich für ein Modell ein, das von der freiwilligen Selbstverpflichtung geprägt sein sollte.

Der UN-Unterausschuss für den Schutz und die Förderung der Menschenrechte präsentierte einen Entwurf für UN-Regeln bezüglich der Verantwortung transnationaler Konzerne und anderer Unternehmen bezüglich der Menschenrechte. Dieser unterstrich die rechtliche Verantwortung von Unternehmen und sah diese auch im bereits bestehenden internationalen Recht verwurzelt. Diese Regeln wurden jedoch von den Vereinten Nationen niemals verabschiedet oder als bindend anerkannt.

UN Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte

Der Generalsekretär der Vereinten Nationen setzte einen Sonderbeauftragten ein, der sich des Themas annehmen sollte, den Politikwissenschaftler John Ruggie. John Ruggie teilte nicht die Ansicht, verpflichtende Regeln für Unternehmen seien bereits im geltenden Recht angelegt. Er war der Auffassung, der Entwurf der Normen für transnationale Unternehmen ziele zu sehr auf verbindliche Regeln ab. Aus seiner Sicht war eine freiwillige Verpflichtung von Unternehmen der Königsweg, um einen stärkeren Schutz der Menschenrechte im Zusammenhang mit den Aktivitäten von Unternehmen zu erreichen. Dieser Ansatz fand bald breite Unterstützung, nicht zuletzt von Seiten der Wirtschaft. Die UN Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte war geboren. Die UN-Leitprinzipien sehen vor, dass die Pflicht zum Schutz der Menschenrechte beim Staat liegt. Unternehmen tragen die Verantwortung, die Menschenrechte zu achten. Rechtlich verbindliche Regeln oder die Möglichkeit, Unternehmen haftbar zu machen, enthalten die Leitprinzipien aber nicht.

Die Freude darüber, nunmehr ein breit akzeptiertes Instrument zum Schutz der Menschenrechte bei wirtschaftlichen Aktivitäten zu haben, ist jedoch bei vielen schnell der Ernüchterung gewichen. Häufig ist es bei der verbalen Unterstützung der Leitprinzipien durch Unternehmen geblieben; konkrete Maßnahmen zum Schutz der Menschenrechte blieben in der Regel aus. Ein Beispiel ist die Befragung zum Nationalen Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte. Die Bundesregierung versuchte in zwei Befragungsrunden herauszufinden, wie viele Unternehmen bislang die Vorgaben des NAP erfüllen. Der Zwischenbericht zur Erhebungsphase 2019 zeigte, dass nur eine Minderheit die Vorgaben erfüllen. Selbst die Forderungen, eine Grundsatzerklärung zur Achtung der Menschenrechte abzugeben, erfüllten weniger als 50% der Unternehmen.

Vor diesem Hintergrund wird der Ruf nach verbindlichen Regelungen wieder lauter. Dieser Gedanke ist auch den UN-Leitprinzipen bei näherer Betrachtung nicht fremd. Das dritte Prinzip besagt, dass Staaten Rechtsvorschriften durchsetzen sollen, deren Ziel oder Wirkung darin besteht, von Wirtschaftsunternehmen die Achtung der Rechte einzufordern, in regelmäßigen Abständen die Wirksamkeit dieser Regeln zu bewerten und etwaige Lücken zu schließen. Im Kommentar der UN zu diesem Prinzip, in dem dieses näher erläutert wird, heißt es, dass Staaten eine intelligente Mischung nationaler und internationaler, bindender und freiwilliger Maßnahmen in Erwägung ziehen sollten, um die Achtung der Menschenrechte durch Unternehmen zu fördern. Auch verbindliche Regelungen sind also durchaus im Sinne der UN-Leitprinzipien, nur sollen diese eben nicht umfassend und vollständig sein, sondern Bestandteil eines intelligenten Mixes.

Die Frage ist lediglich, welche Maßnahmen in einen solchen Mix gehören.

Offenbarungs- oder Handlungspflicht?

Grundsätzlich lassen sich zwei Ansätze im Bereich der menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten unterscheiden: Gesetze können Offenbarungs- oder Berichtspflichten zum Gegenstand haben oder sie können den betroffenen Unternehmen bestimmte Handlungspflichten auferlegen.

Die erste Kategorie verlangt Unternehmen lediglich ab, Berichte darüber zu veröffentlichen, welche Maßnahmen sie treffen, um bestimmte Risiken für die Menschenrechte oder für die Umwelt abzumildern. Dagegen zwingen sie Unternehmen nicht, bestimmte Maßnahmen zu ergreifen, oder machen sie nicht haftbar für eine Verletzung von Sorgfaltspflichten. Beispiele für derartige Gesetze sind der Dodd-Frank-Act in den USA oder der UK Modern Slavery Act im Vereinigten Königreich. Der Dodd-Frank-Act verpflichtet Unternehmen, die Herkunft von bestimmten Mineralien anzugeben und den Bezugsweg zu erläutern (dies ist nur ein Teil; das Gesetz enthält darüber hinaus Vorschriften, die die Stabilität der Finanzmärkte betreffen, aber für diesen Artikel keine Rolle spielen); das Gesetz war ein Vorbild für die EU-Konfliktmineralienverordnung. Hintergrund ist, dass diese Mineralien häufig in der Demokratischen Republik Kongo gefördert und verkauft werden, um die Beteiligung an dem dort herrschenden Konflikt zu finanzieren. Der UK Modern Slavery Act erlegt bestimmten Unternehmen die Pflicht auf, offenzulegen, welche Maßnahmen sie treffen, um sicherzustellen, dass es in ihrer Lieferkette nicht zu moderner Sklaverei kommt.

Transparenz schaffen

Derartige Gesetze verfolgen das Ziel, die Transparenz zu erhöhen. Befürworter argumentieren, dass beispielsweise das Risiko der Korruption sinke, wenn die Transparenz erhöht werde. Funktionsträger, die andernfalls Bestechungsgeld verlangt hätten oder Unternehmen, die ein solches angeboten hätten, würden davor zurückschrecken, wenn alle Transaktionen nachvollziehbar und transparent seien. Darüber hinaus würden Politiker und Nichtregierungsorganisationen eher in die Lage versetzt, Transaktionen zu prüfen, wenn dies öffentlich dokumentiert seien. Schließich setzt dieser Ansatz auch auf die Macht der Verbraucher. Konsumenten werden sich eher für Produkte entscheiden, bei denen sie sicher sein können, dass moderne Sklaverei bei ihrer Produktion keine Rolle gespielt hat, heißt es im Zusammenhang mit dem UK Modern Slavery Act. Und umgekehrt werden sie vor dem Kauf zurückschrecken, wenn moderne Sklaverei nicht auszuschließen ist.

Kritiker machen dagegen geltend, der Modern Slavery Act sei ein zahnloser Tiger; Unternehmen würden bestenfalls zu einer Ankreuz-Übung animiert, bei der sie bestimmte Phrasen in ihre Berichte aufnehmen, ohne tatsächlich etwas zu tun. Tatsächlich sind erste Bewertungen des Gesetzes bislang ernüchternd. Viele Unternehmen, die eigentlich berichten müssten, kommen ihrer Berichtspflicht nicht nach. Dabei kommt ihnen zugute, dass die Berichtspflicht nicht sanktionsbewehrt ist, weil die Regierung auch hier auf die Macht der Verbraucher und öffentlichen Druck setzte. Andere Unternehmen berichten zwar, beschränken sich aber auf Floskeln.

Vorstand auf die Anklagebank

Insofern ist es fraglich, ob Gesetze effektiv sind, die ausschließlich auf Offenbarung und Transparenz setzen. Der Anti-Sklaverei-Kommissar des Vereinigten Königreichs (ein Amt, das durch den UK Modern Slavery Act geschaffen wurde und das Aktivitäten zur Bekämpfung moderner Sklaverei zum Gegenstand hat) kam daher kürzlich zu dem Schluss: Es wird keine Änderung geben, bevor der erste Vorstandsvorsitzende auf der Anklagebank sitzt. Auch eine kürzlich veröffentlichte Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung, die Gesetze zum Thema Menschenrechte und Sorgfaltspflicht verglich, kam zu dem Schluss, dass reine Berichtspflichten eine wenig effektive Maßnahme sind.

Im Unterschied hierzu gibt es auch Gesetze, die Unternehmen bestimmte Handlungspflichten auferlegen und sie für Verletzungen – jedenfalls in bestimmtem Umfang – haftbar machen. Ein Beispiel hierfür ist das französische Loi de Vigilance. Es erlegt Unternehmen ab einer bestimmten Größe die Pflicht auf, einen „Beobachtungplan“ zu erstellen. Auf dessen Grundlage sollen Risiken beobachtet werden, die die Tätigkeit des Unternehmens im Bereich der Menschenrechte und der Umwelt mit sich bringen. An eine Verletzung dieser Pflicht sind Sanktionen und unter bestimmten Voraussetzungen auch eine zivilrechtliche Verantwortung für Schäden geknüpft. Obwohl viele Punkte noch der Klärung durch die Rechtsprechung französischer Gerichte bedürfen, geht das Gesetz weit über bisher übliche Regelungen hinaus.

In Deutschland wird die Diskussion über ein Lieferkettengesetz konkreter. Die zuständigen Ministerien wollen in Kürze Eckpunkte präsentieren. Es bleibt abzuwarten, welchen Weg der „Smart Mix“ in Deutschland nehmen wird.

Autor

Holger Hembach
ist Rechtsanwalt in Bergisch Gladbach. Er berät zu Grund- und Menschenrechtsfragen (info@hembach.legal).


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