35.CSR-MAGAZIN Topnews

Alles wird besser im Home Office?

Homeoffice (Foto: Agnieszka Boeske auf Unsplash)

Die Dynamik in der Entwicklung von Arbeitsmodellen. Ein Beitrag von Natalie Weirich für das 35. CSR MAGAZIN

Wo arbeiten Sie lieber – zu Hause oder in einem Büro unter Kollegen? Soll es in Deutschland ein Recht auf Home Office geben? Wie werden unsere Arbeitsplätze künftig aussehen? Sind hybride Modelle umsetzbar? Und was macht ein nachhaltiges Home Office aus? Die Debatten um zukünftige Arbeitsmodelle entwickeln derzeit eine Dynamik, die vor dem Corona-Lockdown keiner zu glauben gewagt hätte.

Was vor Covid-19 nur ab und zu vorkam, dass Mitarbeiter im Home Office arbeiteten, wurde nun innerhalb kürzester Zeit zur Realität. Und das nicht nur für einzelne Mitarbeiter, sondern meist ganze Unternehmen – laut einer aktuellen Ifo-Umfrage haben Dreiviertel der deutschen Unternehmen ihre Belegschaft teilweise ins Home Office geschickt. So hat sich der Anteil der Beschäftigen im Home Office während der Corona-Krise mehr als vervierfacht, ermittelte das Wiesbadener Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung. Doch was hat das zu bedeuten? Dass diese Umstellung sowohl für Mitarbeiter als auch ihre Führungsriege sehr plötzlich kam und für manche Herausforderungen – nicht nur technischer Art – sorgte, war schnell zu erkennen. Wenn man die Beteiligten nach ihren Erfahrungen fragt, sind sich die meisten Führungskräfte einig: Die Herausforderung wurde gut angenommen, man habe sich gut darauf eingestellt, teilweise wurden Arbeiten sogar effizienter erledigt als vom Büro aus.

Virtuelles Arbeiten über Kontinente hinweg

Natalie Weirich

Sollten deshalb Home Office-Strukturen beibehalten werden? Große Firmen wie Twitter, Facebook und Google machen es derzeit vor: Sie lassen ihre Angestellten weiterhin von Zuhause arbeiten – und das zum Teil sogar unbegrenzt. Twitter möchte diese Regelung für immer, während Google und Facebook das zeitliche Limit „Ende 2020“ definiert haben. Einen ähnlichen Ansatz verfolgt Narvar, ein E-Commerce-Dienstleister mit Hauptsitz in San Francisco, der Geschäftsstellen in Indien, Deutschland und Frankreich hat. Wie Sebastian Fleischmann, Director of Sales DACH, berichtet, sind er und seine Kollegen noch immer im Home Office. Derzeit geht Fleischmann davon aus, dass diese Arbeitsform bis Ende des Jahres beibehalten wird, weshalb er als Verantwortlicher für die sieben deutschen Kollegen schon im März den Mietvertrag für das Büro in München gekündigt hat. „So konnten zumindest diese Mietkosten gespart werden.“ Außerdem überlege der CEO von Narvar derzeit, wie er mit der Konzernzentrale in San Francisco – in der 200 bis 230 Mitarbeiter ihre Büros haben – umgehe. Denn dass die Mietkosten im Zentrum von San Francisco ein enorm hohes Einsparpotenzial bieten, ist nicht von der Hand zu weisen. Trotzdem wäre es schon ein enormer Einschnitt, die Firmenzentrale abzugeben. Ist das wirklich eine Option? Oder wäre auch ein hybrides Arbeitsmodell eine Lösung – für einen Arbeitgeber, der sowieso von Anfang an digital aufgestellt ist?

Diese Überlegungen sind zumindest in der deutschen Depandance allgegenwärtig: „Das Arbeiten von zu Hause hat super funktioniert, gerade die Flexibilität zwischen Privatem und Beruflichem hat den meisten sehr gefallen. Musste ich zuvor einfach eineinhalb Stunden zu meinem Arbeitsplatz pendeln, fällt das jetzt weg“, so Fleischmann. „Als Führungskraft habe ich aber auch schnell festgestellt, dass unsere Herausforderung beim Home Office nicht technische Lösungen oder die Fokussierung auf die Arbeit sind, sondern die Kommunikation. Denn was allen fehlt ist der persönliche Austausch – und das bis heute.“ Deshalb werden nun Alternativen für persönliche Treffen gesucht, abseits des Büros – denn das gibt es ja nicht mehr.

Doch auch virtuell lassen sich Kommunikationsmaßnahmen ergreifen: Während vor Corona einmal im Monat ein Meeting mit allen Mitarbeitern (über alle Kontinente hinweg) stattgefunden hat, findet es nun wöchentlich statt. Wobei dies aufgrund der Zeitverschiebungen gar nicht so einfach umzusetzen ist: Indien ist Deutschland dreieinhalb Stunden voraus, Amerika neun Stunden hinterher. Deshalb finden diese Meetings in Deutschland um 18.00 Uhr statt. Doch nicht nur Meetings können Online stattfinden, sondern auch andere Mitarbeiter-Veranstaltungen. Narvar war der einzelne Mitarbeiter mit seinen Interessen von Beginn an wichtig, weswegen es vor Corona schon Sport-Events, Joga und vieles mehr gab. Das sollte sich vom Home Office aus nicht ändern – nur wurde es in die virtuelle Welt transferiert. Einmal pro Woche gibt es jetzt einen digitalen Joga-Kurs, verschiedene Sportveranstaltungen über Zoom und sogar Kochevents, die digital abgehalten werden. So will das Unternehmen seine wichtigste Ressource– die Mitarbeiter – auch langfristig binden. Die Mitarbeiterzufriedenheit sei gerade in San Francisco sehr wichtig, da es neben Narvar unzählige weitere Tech-Firmen gibt, die um die besten Mitarbeiter werben.

Bei so vielen Angeboten bleibt die Frage offen: Wie kann man in dieser Arbeitssituation gewährleisten, dass die Mitarbeiter Auszeiten vom Beruf finden? Hier setzt Fleischmann auf Vertrauensarbeitszeit und Eigenverantwortung: „Wenn ein Produkttraining beispielsweise um 19.00 Uhr abends ist, schaue ich mir die Aufzeichnung am nächsten Morgen an.“

Bürofläche als Identifikationsraum

Auf den eigenverantwortlichen Mitarbeiter setzt auch Lasse Rheingans, CEO von Rheingans Digital Enabler. Der Agenturinhaber geht vom Grundsatz aus, das Potenzial seines einzelnen Angestellten zu nutzen, zu fördern und auszubauen. Hierzu muss die Haltung jedes Einzelnen stimmen und der Vorgesetzte dafür zuständig sein, seinen Mitarbeiter in seinen Kompetenzen zu bestärken. „Wenn Mitarbeiter nicht so selbstständig arbeiten, müssen wir sie dazu bringen. Wir müssen ihre Kompetenzen aufbauen, dass sie selbstständig arbeiten können.“

Dieser Mitarbeiter-fokussierte Ansatz ist ein Arbeitsweltmodell, dass der klassischen Arbeitswelt mit ihrem festen Arbeitsplatz und einem 8-Stunden-Tag entgegenstrebt bzw. diese Arbeitswelt modernisiert. Vor zwei Jahren ist Rheingans mit seiner Agentur deshalb schon einmal in den Medien präsent gewesen, da er den 5-Stunden Arbeitstag eingeführt hat. „Die Arbeitswelt arbeitet noch immer sehr klassisch nach Regeln aus vergangenen Jahrhunderten. Das hat für mich keinen Sinn mehr ergeben – und der 5-Stunden Tag ist eine Idee gewesen, um dem Wandel besser Rechnung tragen zu können.“

Nun geht Rheingans noch einen Schritt weiter: Als Konsequenz aus dem Corona-Lockdown entwickelt er gerade ein neues Arbeitsmodell für seine 16 Mitarbeiter. Als ersten Schritt hierfür hat er die Arbeitsplätze, die während des Lockdowns schon nach Hause verlagert waren, nicht mehr zurück in seine Büroräume geholt. Denn er hat gemerkt: „Der Job wird auch Zuhause, am Strand, im Wald, im Keller, Arbeitszimmer oder im Zweifel auch unterwegs geleistet. Daraus haben wir die Frage abgeleitet: Wozu dient noch das Büro? Daran arbeiten wir uns gerade – mit externen Experten – ab, mit dem Ziel, einen Arbeitsplatz der Zukunft zu erschaffen, mit Konzepten, die vielleicht jetzt noch nicht Einzug in deutschen Büros gehalten haben. In jedem Fall gehen wir aktuell davon aus, wesentlich weniger Platz für unsere Kollegen permanent bereithalten zu müssen, aber das Büro nicht komplett aufzugeben. Wir brauchen Fläche für Interaktion und auch teilweise Identifikation, für Arbeits- / Austausch-Treffen unter Kollegen – digital unterstützt durch Kollegen, die remote teilnehmen – Workshops mit Kunden oder auch für Telefonate und konzentrierte Arbeitsphasen.“ Um seine Mitarbeiter vor dauerhaftem Stress zu bewahren, setzt Rheingans auf vorhandene Selbstreflexions-Kompetenzen.

Mobiles Arbeiten im Unternehmen

Auch in einem traditionsreichen Medienhaus wie der Vogel Communications Group ist man sich den dynamischen Entwicklungen in Bezug auf modernere Arbeitsmodelle bewusst. Dennoch möchte man keinen „populistischen Schnellschuss“ gehen, sondern nachhaltig am Thema „New Work“ arbeiten. Deshalb habe man nach dem Lockdown, in dem 98% der Belegschaft ins Home Office geschickt wurden, mit einer koordinierten Rückführung von zunächst 50% Anwesenheit im Büro begonnen, berichtet CEO Matthias Bauer. Hierfür haben die Abteilungen die Einhaltung der Abstandsregelung selbst organisiert – wer wann im Büro anwesend ist. „Der wichtigste Grund war, dass wir gemerkt haben, wie sehr uns der direkte, persönliche Austausch und der Zusammenhalt untereinander fehlen. Die gemeinsame Unternehmensidentität geht in einer vereinzelten Arbeitssituation schnell verloren. Und gerade die zufällige, ungeplante Begegnung, zum Beispiel in der Kantine, ist ein wichtiger Teil der internen Kommunikation“, so Bauer. Um diesen Weg zurück zum Alltag überhaupt zu ermöglichen, mussten im Firmenhauptsitz Corona-bedingte Vorkehrungen getroffen werden: Diese reichten von der Einbahnstraße durch die Kantine, die Einbahnstraßen im Treppenhaus, einem höheren Reinigungs- und Desinfektionsaufwand, einer Maskenempfehlung – wenn man sich nicht am Arbeitsplatz aufhält – bis hin zu einer Toiletten-Ampel. So sollte die Gesundheit der Belegschaft gewahrt werden, was für Bauer hohe Priorität hatte: „Für mich war die Sorge um die Gesundheit der Mitarbeiter groß. Deswegen haben wir sehr viel für die hygienische Sicherheit in die Wege geleitet. In solchen Momenten wird einem die Fürsorgepflicht ganz besonders spürbar, da sich eine mögliche Ansteckung aus dem Unternehmen bis hinein in die Familien erstrecken könnte.“

Dass für das Kommunikationsunternehmen der persönliche Kontakt und Austausch nicht wegzudenken ist, versteht sich, schließlich richten sie selbst auch Events im hauseigenen Kongresszentrum aus. „Live-Kommunikation ist für uns identitätsstiftend und inspirierend. Deshalb muss es auch ein fester Bestandteil unserer Arbeit bleiben“, sagt Bauer. Dennoch will man die Erfahrungen aus der Home Office-Zeit mitnehmen: „Wir werden zum informellen Austausch auch weiterhin viele Videokonferenzen machen und uns dadurch Dienstreisen sparen, die wir durch digitale Begegnungen ersetzen können. Gleichzeitig werden wir mobiles Arbeiten und speziell Home Office viel gezielter einsetzen. Und die persönliche Begegnung werden wir stärker mit interaktiven, kollaborativen und kreativen Aspekten anreichern“, so der CEO. Für ihn ist der perfekte nachhaltige Arbeitsplatz „eine Mischung aus mobilem Arbeiten und einem mobilen Arbeitsplatz im Unternehmen, samt der dazugehörigen technischen Infrastruktur. Feste Bürostrukturen werden sich auflösen und die Mitarbeiter suchen sich mit Rechner und Rollwagen dynamisch-agil immer wieder die aktuell passenden Kollegen für das direkte Arbeitsumfeld. Mobiles Arbeiten innerhalb und außerhalb des Unternehmens.“

Nachhaltiges Home Office

Ein mobiler Arbeitsplatz im Unternehmen also oder doch lieber ein nachhaltiger Arbeitsplatz im Home Office? Gibt es so etwas überhaupt? Nachhaltiges Home Office? Hannah Strobel, Beraterin für Digitalisierung und Nachhaltigkeit bei ZOE Consulting, meint: Ja, absolut! Der Arbeitsplatz von zu Hause müsse aber drei Ebenen der Nachhaltigkeit erfüllen: Erstens müssen rechtliche Rahmenbedingungen geschaffen werden –auch im Sinne des Datenschutzes und der Datensicherheit. Zweitens muss es ein Verständnis für die soziale Nachhaltigkeit geben: Wie gelingt eine Abgrenzung zwischen Privatem und Beruflichem? Es dürfe nicht sein, dass man im Home Office zunehmend mehr arbeite, so Strobel. Und nicht zuletzt: der Gesundheitsaspekt. Home Office-Arbeitsplätze müssen ergonomisch eingerichtet werden, nur so können gesundheitsschädliche Folgen vermieden werden. Und drittens die ökologische Nachhaltigkeit: Natürlich ist bekannt, dass man durch das Home Office häufig Pendler-Zeit und Ressourcen einspart. Laut Strobel sei bei der technischen Ausstattung auf nachhaltige Produkte zu achten.

Dieser ganzheitliche Ansatz ermögliche ein nachhaltiges Home Office-Kultur, die schon jetzt aktiv Unternehmen darin unterstützt, ihre Mitarbeiter mit nachhaltigem Home Office auszustatten, davon ist Strobel überzeugt. Wenn sich Firmen für langfristige Home Office-Lösungen entscheiden, gebe es bislang große Herausforderungen, die sich auf drei Aspekte beziehen: Zunächst würden viel zu viele unterschiedliche Tools angeschafft – zur Kommunikation, zur Projektplanung, zum operativen Arbeiten. Die Fokussierung, was genau benötigt wird, fehle häufig. Und damit verbunden sollten zu Beginn der Home Office-Arbeit Strukturen geschaffen werden, wer was wann macht. Eine transparente Arbeitskultur und Kommunikationsbalancen seien das A und O. Und zuletzt sei es für Führungskräfte wichtig, eine Vertrauens- und Konfliktbasis zu finden, ein Verständnis der Mitarbeiter untereinander, wer im Home Office arbeitet und wer nicht, so die Beraterin.

Also doch ein nachhaltiges Home Office? Wie eine aktuelle Umfrage des Münchner Ifo-Instituts zeigt, wollen viele deutsche Unternehmen künftig verstärkt auf Homeoffice setzen: 54 Prozent der Firmen gaben an, sie planten dauerhaft mit einem verstärkten Einsatz von Telearbeit. “Dass Jobs in Zukunft vollständig ins Home Office verlagert werden, dürfte dennoch die Ausnahme bleiben”, erklärte Jean-Victor Alipour, Mitautor der Studie. Der Mangel an sozialen Kontakten im Home Office könne dauerhaft eine Belastung sein. Überdies lasse sich kreativer Austausch und der Transfer von Ideen und Wissen nicht vollständig ins Digitale verlagern. Es sei deshalb “wahrscheinlicher, dass sich hybride Arbeitsmodelle zwischen Präsenzarbeit und Home Office durchsetzen werden.“

Autorin

Natalie Weirich ist freie Autorin und lebt mit ihrer Familie bei Würzburg.
natalie.weirich@csr-news.net


Stimmen Sie den Thesen unserer Autorin zu? Welche Erfahrungen haben Sie gemacht? Können Sie Praxisbeispiele nennen? Kommentieren Sie gerne (siehe Kommentarfeld unten) oder senden Sie uns eine Mail an redaktion@csr-news.net. Erfahrungen und Statements aus unserer Leserschaft sollen in die kommende CSR MAGAZIN-Ausgabe einfließen.


Werden Sie Mitglied im UVG e.V. und gestalten Sie den Nachhaltigkeitsdialog mit. > Die Infos
DSGVO Cookie Consent mit Real Cookie Banner