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Industrie 4.0: Maschinen kommunizieren – der Mensch re(a)giert

Mika Baumeister auf Unsplash

M2M-Kommunikation verändert die Arbeitswelt

Automatisiert, schnell, datenbasiert und über die Cloud untereinander und mit einer zentralen Einheit verbunden – so kommunizieren Maschinen in der Industrie 4.0. Informationen, die während dieser Machine-to-Machine-Kommunikation (M2M) entstehen, analysieren, bearbeiten oder verwerten wir Menschen in unseren Tätigkeiten. Wie wirkt sich diese digitale Kommunikationsweise auf unseren Arbeitsalltag und unsere Kommunikation aus? Wie nachhaltig ist sie?

Von Natalie Weirich

Blick in eine Produktionshalle im Jahr 2020: Ein leichter Öl-Geruch liegt in der Luft, Werkzeugmaschinen und Roboter arbeiten Hand in Hand, kommunizieren über die Cloud miteinander und stellen Mitarbeitern die Daten so zum Abruf zur Verfügung. Diese wissen damit umzugehen und bearbeiten sie so, wie es nötig ist. Zukunftsmusik? Nein! Das ist die Realität bei KUKA, einem internationalen Maschinenbau-Unternehmen in Augsburg. Hier wird ein hoher Automatisierungsgrad erreicht, unterstützt durch Elemente der Industrie 4.0 – inklusive der M2M-Kommunikation. Neue technische Lösungen machen es so möglich, Informationen maschinenübergreifend auszuwerten. „Früher ist man von Maschine zu Maschine gelaufen, um sich aus den Einzelinformationen ein Gesamtbild zu verschaffen. Dies ist durch die Vernetzung der Maschinen deutlich einfacher geworden. Ich habe alle relevanten Informationen im Überblick. Dadurch kann ich viel effizienter reagieren.“, erzählt Rainer Eder-Spendier, Administrator für Automatisierung und Robotik in der Zerspanung. Außerdem könne er individuell entscheiden, welche Daten er sehen möchte, und diese werden im Hintergrund selektiert und aufbereitet. „So kann ich mir zum Beispiel die gewünschte Baugruppe heraussuchen und dort die relevanten Informationen wie Taktzeit, Zustände etc. anschauen.“

Trotz dieser modernen Arbeitsweise sei es nach wie vor wichtig, seinen Rundgang zwischen den Maschinen zu machen, um aktuelle Problematiken vor Ort anzusehen. „Dies ist doch oft nur eine Bestandsaufnahme der Ist-Situation, aus der ich mir dann im Büro durch die Auswertung aller Informationen ein Gesamtbild verschaffe“, berichtet Eder-Spendier weiter. Sein Arbeitsplatz hat sich somit nicht zum reinen Büro-Arbeitsplatz verändert. Er ist nach wie vor bei den Maschinen. Das widerlegt ein Vorurteil, das Vielen vorschwebt, wenn sie an automatisierte Industrie-Produktionsabläufe denken. Der Mensch wird nicht durch Maschinen – oder die Kommunikation von Maschinen untereinander – ersetzt. Seine Arbeitsweisen ändern sich – und das meist zum Positiven.

M2M verändert Arbeitsweisen

Veränderungen des Arbeitsalltags durch M2M-Kommunikation sind nicht nur bei Hightech-Unternehmen wie KUKA zu spüren, sondern auch in mittelständischen Unternehmen und Branchen wie beispielsweise der Landwirtschaft. Dort sind Landwirtschaftsmaschinen beispielsweise in der Lage, Düngemittel genau nach Bedarf zu verteilen, oder können selbst in der richtigen Spur fahren, ohne dass der Bauer dies noch aktiv steuern muss. In der Zukunft können die Maschinen autonom fahren: eine Entwicklung, die vielleicht vor dem autonomen Autofahren real wird. Wenn diese Tätigkeiten im Alltag des Landwirts wegfallen, wird er sich vermutlich fragen: Wie geht es weiter? Wie sieht mein Berufsbild dann aus? Welche Aufgaben bleiben mir? Oder noch überspitzter: Gibt es meinen Beruf eigentlich noch oder übernehmen Maschinen komplett? Keine Sorge. Den Beruf des Landwirts wird es zukünftig auch noch geben. Neben allen anderen Tätigkeiten, wie beispielsweise Tiere versorgen und sich um das Futtermittel kümmern, muss er die modernen Maschinen steuern und betreuen.

„Die Arbeitsweisen werden sich vermutlich um eine Ebene erhöhen – die einfacheren Arbeiten übernehmen die Maschinen, die darüber – Steuern, Analysieren usw. – die Menschen. Das hat natürlich die Gefahr, dass wir Menschen in vielen Arbeitssituationen sozusagen ein verlängerter Roboter-Arm – also zu Gehilfen der Maschinen werden. Es wird vermutlich viele Jobanforderungen geben, wo man vom Computer herumkommandiert wird“, kommentiert Stephan Noller, Vize-Präsident des Bundesverband Digitale Wirtschaft (BVDW), diese Entwicklung. Um einem Bauern zu zeigen, was dieser technologische Fortschritt bringt, bedarf es aber zweier Dinge: Erstens Schulungen für den richtigen Umgang mit der Technik. Und zweitens: „Die Convenience muss klar aufgezeigt werden. Das heißt, es wird vermutlich immer mehr Düngemittel- und Dokumentationsvorschriften geben. Früher und derzeit musste der Landwirt dies nach getaner Arbeit selbst dokumentieren. Zukünftig werden die Maschinen es einfach selbst übernehmen. Der Bauer muss die überlieferten Daten dann nur noch an die richtigen Stellen abgeben. Dies ist eine eindeutige Arbeitserleichterung“, so Noller weiter. Außerdem wird es Materialeinsparungen geben, wenn Maschinen schon im Vorfeld berechnen, was sie benötigen, und nicht einfach darauf los düngen: Vielleicht gibt es Orte auf einem Feld, an denen mehr Dünger und woanders weniger gebraucht wird. Darauf kann automatisiert reagiert werden. Die eingesparte Zeit – weniger Dokumentationen, schnellere Feldarbeit – kann der Bauer zum Beispiel bei seinen Tieren verbringen.

M2M und der Mittelstand

Doch nicht nur in der Landwirtschaft wird die M2M-Kommunikation Einfluss auf den Arbeitsalltag nehmen, sondern auch in anderen Branchen: Nehmen wir zum Beispiel das Gesundheitswesen. Ab 2021 erlangen Versicherte eine elektronische Patientenakte. Dort werden Patientendaten elektronisch erfasst. Es ist vorstellbar, dass zukünftig das Blutdruckmessgerät seine Werte direkt meldet und der Arzt darauf zugreifen kann. Oder ein aktuelles Beispiel aus einer Stadtversorgung: In Würzburg wird derzeit erprobt, die Trafostationen der Würzburger Versorgungs- und Verkehrsbetriebe digital zu überwachen. Die Trafohäuschen werden mit Sensoren ausgestattet, die automatisch melden, ob etwas kaputt oder noch alles in Ordnung ist. Wenn ein Defekt auftritt, kann der zuständige Arbeiter direkt agieren. Mit dieser Technik müssen die Trafos nicht mehr einzeln von Mitarbeiter abgefahren und überprüft, sondern könnten von einem zentralen Ort überwacht werden – was eine enorme Zeitersparnis mit sich bringt. „Die Sensoren unterstützen lediglich die Überwachung. Im Falle von Defekten werden die Mitarbeiter nach wie vor zu den Häuschen fahren. Auch wird sicherlich weiterhin eine zusätzliche Überwachung der Häuschen durch die Mitarbeiter erfolgen. Durch die Sensoren, die die Daten an ein Ablesegerät melden, ist dadurch eine Arbeitserleichterung gegeben. Weiterhin kann durch die Sensoren viel schneller auf Probleme reagiert werden“, berichtet Prof. Tobias Hoßfeld von der Julius-Maximilians-Universität Würzburg, der das Projekt betreut.

Diese Beispiele zeigen, dass M2M-Kommunikation kein alleiniges Thema für große Hightech-Firmen wie KUKA ist, sondern ebenso den deutschen Mittelstand betrifft. Dort herrscht aber häufig noch eine große Skepsis gegenüber dem Einsatz dieser modernen Technik. Oder wie Noller es ausdrückt: „Einerseits ist das Thema bei vielen noch weit weg, andererseits sind – beispielsweise Automobilzulieferer – in Deutschland schon recht weit im Denken und in der Implementierung von Dingen. Am besten beschreibt es vielleicht der Begriff ‚Übergangsphase‘ oder ‚Umbruch‘: Wenn wir über die Hannover Messe laufen, haben viele das Thema auf ihrer Liste, dass Maschinen intelligenter kommunizieren und intelligentere Datenaustauschformate anbieten müssen. Gleichzeitig ist es bei ihnen aber auch auf der Liste für Zukünftiges – als Aufgaben in ihren Büchern.“ Deshalb braucht es in Deutschland noch einen Mentalitätswandel, ist Noller überzeugt: „Es braucht die Lust am Digitalen. Wenn man zum Beispiel mit Maschinenbauern spricht, haben sie häufig eine große Reserviertheit gegenüber Cloud-Diensten. Warum soll eine Maschine an der Cloud hängen? Das finden sie absurd. Aber genau hier muss ein Umdenken stattfinden.“

Face-to-Face- Kommunikation bleibt wichtig

Neben den offensichtlichen Veränderungen des Arbeitsalltags, wird sich vermutlich auch die Kommunikation der Menschen untereinander durch M2M wandeln. Doch wie? Eine Frage, die – egal, welcher Experte damit konfrontiert wird – erst einmal nachdenkliche Reaktionen auslöst. Viele haben sich darüber noch keine Gedanken gemacht. In erster Linie wird die M2M-Kommunikation als digitaler Fortschritt wahrgenommen, der den Arbeitsalltag vieler Menschen vereinfachen wird. Aber wie wirkt sich das konkret auf die Kommunikationsweise aus? Wird dadurch, dass mehr mit digitalen Technologien umgegangen wird, Computer Daten zur Verfügung stellen und Arbeitnehmer lernen müssen, mit diesen zu arbeiten, auch die Kommunikation der Menschen untereinander “maschineller“? Oder wird im Gegenteil die Face-to-Face-Kommunikation wieder wichtiger?

Einige Studien zum digitalen Einfluss auf die Kommunikation zeigen, dass die Kommunikation generell schneller vonstattengeht. Reaktionen sind schneller zu erwarten – nehmen wir nur den Vergleich zwischen E-Mail und Briefwechsel. Digital bedeutet häufig auch unpersönlicher oder gar anonymer. Dennoch zeigen viele Untersuchungen, dass es Aufgaben und Situationen gibt, bei denen das persönliche Gespräch im Vordergrund steht – ja sogar zwingend erforderlich ist. Dass dieser Ansatz auch auf die M2M-Kommunikation oder den Umgang mit der M2M-Kommunikation zutreffend ist, davon ist Rahild Neuburger von der Ludwig-Maximilians-Universität München und Geschäftsführerin des Münchener Kreis überzeugt: „Es gibt beide Trends: einerseits wird die digitale Kommunikation zunehmen, andererseits aber auch die Face-to-Face-Kommunikation – da man diese bewusster einsetzt. Und weil es einfach Aufgaben gibt, wo es zwingend notwendig ist, von Angesicht zu Angesicht zu kommunizieren. Generell hat meiner Meinung nach jede technologische Entwicklung einen optionalen Charakter. Denn letztlich hängt es immer davon ab, wie Technologien eingesetzt werden. Nehmen wir im privaten Bereich doch einfach das Smartphone: Man kann es so einsetzen, dass man fremdgesteuert wird, indem man ständig tut oder liest, was einem durch News oder soziale Netzwerke vorgegeben wird, oder man setzt es bewusst nur dann ein, wenn man es zur Unterstützung irgendwelcher Tätigkeiten benötigt.“

Wie wichtig die persönliche Kommunikation am industriellen Arbeitsplatz ist, bestätigt Rainer Eder-Spendier von KUKA: „Prozessoptimierungen erfolgen meistens in der Praxis, so dass ich nach wie vor die meiste Zeit bei den Anlagen in der Halle bin und nicht im Büro: Hier erfolgt die Kommunikation größtenteils – wie gehabt – persönlich. Außerdem hat die Informationstiefe in die einzelnen Prozesse hinein, welche wir durch die Digitalisierung erreicht haben, natürlich auch Auswirkungen auf die Kommunikation. Rückfragen zu technischen Details können sehr präzise beantwortet werden. Durch die digitale Aufbereitung werden diese Informationen im Bedarfsfall auch sehr schnell auf digitalem Weg an die richtige Adresse geleitet.“

Ist M2M nachhaltig?

Bleibt noch die Frage, wie nachhaltig Machine-to-Machine-Kommunikation eigentlich ist. Sie ist nicht einfach zu beantworten. Einerseits benötigt die M2M-Kommunikation natürlich die notwendige Hardware, deren Herstellung nicht gerade umweltschonend ist. Man denke nur an die Lithiumgewinnung von Batterien oder Akkus. Andererseits können durch den richtigen Einsatz von M2M-Kommunikation Ressourcen geschont werden. Rahild Neuburger bezeichnet dieses Spannungsfeld als Trade-Off, da auf der einen Seite Ressourcen eingespart werden, auf der anderen Seite viel Energie erforderlich ist. Für sie ist M2M-Kommunikation gerade dann nachhaltig, wenn man dadurch problem- und kundenorientierter Prozesse steuern sowie Ausschuss und unnötige Schritte vermeiden kann.

„Ein Beispiel sind Schneekanonen, bei denen mithilfe von Sensoren die Schneedichte gemessen werden kann, sodass dann wirklich nur der Kunstschnee produziert wird, der tatsächlich erforderlich ist. So wird nicht wie früher einfach darauf losgeschneit. Das ist eine nachhaltige M2M-Kommunikation: Wenn die Sensoren der Schneekanonen Daten übermitteln und die Schneekanonen – oder der Mensch, der dahinter ist – in der Lage ist, das Ganze so zu steuern, dass der Kunstschnee problemorientiert produziert wird“, erklärt Neuburger.

Ein weiteres Beispiel sind die intelligenten Müllcontainer der Firma EcoWaste, die in der Schweiz und in Frankreich eingesetzt werden. Dort sind in die Müllbehälter Sensoren eingebaut, die den Füllstand messen und übermitteln. So kann mithilfe eines Algorithmus die Route des Müllautos optimal angepasst werden und die Müllentsorger müssen nicht stur nach Wochenplan ihre stetigen Routen fahren – das ist problemorientiert, zeitsparend und umweltschonend zugleich. Des Weiteren gibt es in der Schweiz eine Müllsteuer (die „Sackgebühr“ oder „Kehrichtsackgebühr“), die je nach Sack, Klebemarke oder Gewicht bezahlt werden muss. Die Ermittlung dieser Abgabe wird durch M2M-Kommunikation nun vereinfacht, indem „man an die Müllcontainer Chipkarten anbringt, die einen identifizieren. Wenn man dann Müll einwirft, wird das Gewicht direkt gemessen und an die verantwortliche Stelle übermittelt. So hat M2M-Kommunikation also den Mehrwert der Wegevermeidung, des kontrollierten Abtransports und gleichzeitig der Müllverhinderung, da automatisch die Steuer erhoben wird.“, erzählt Christian Henke, Head of Product bei EMnify, einem Dienstleister, der – ähnlich einem Mobilfunkanbieter – SIM-Karten sowie eine Plattform zur Verfügung stellt, damit die intelligenten Müllcontainer funktionieren.

Richtig eingesetzt kann M2M-Kommunikation also nachhaltig sein, Arbeiten erleichtern und sich positiv auf unsere menschliche Kommunikation auswirken – detaillierter, informativer, schneller und trotz allem noch von Angesicht zu Angesicht. Wir haben es selbst in der Hand.

Autorin

Natalie Weirich ist freie Autorin und lebt mit ihrer Familie bei Würzburg (natalie.weirich@csr-magazin.de)

M2M-Kommunikation versus IoT

Prinzipiell sind M2M-Kommunikation und IoT – das für Internet of Things steht – zwei unterschiedliche Begriffe, die sich im Laufe der Zeit aber immer mehr angenähert haben. Mittlerweile werden sie im Sprachgebrauch sogar häufig als Synonyme verwendet. Auf den Punkt gebracht: M2M-Kommunikation bezeichnet den automatisierten Informationsaustausch zwischen Endgeräten wie Maschinen, Robotern, Containern oder Fahrzeugen untereinander und/oder mit einer zentralen Anlauf- oder Leitstelle. IoT hingegen stellt die Verknüpfung eindeutig identifizierbarer physischer Objekte mit einer virtuellen Repräsentation in einer Internet-ähnlichen Struktur dar. Häufig steht hier mithilfe der Smartphone- oder Tablettechnologie die Unterstützung des Menschen im Fokus. Aufgaben sollen einfacher und komfortabler erledigt werden können. Da beide Technologien mittlerweile aber häufig an das Internet angeknüpft sind, sind die Übergänge von IoT und M2M-Kommunikation fließend.

Daten zur Entwicklung von M2M-Kommunikation

Wie stark die Industrie 4.0 in Deutschland zunehmen wird, hat Cisco Systems, ein Telekommunikationsunternehmen aus den USA, schon 2018 vorausgesagt. 2017 wuchs der mobile Datenverkehr um 34 Prozent, bis 2022 wird er um das Vierfache steigen. Dabei wird in diesem Zeitraum der Anteil der M2M-Module an allen vernetzten Geräten von 41 auf 60 Prozent steigen. Entsprechend sinken die Anteile von PCs (von 10 auf 6 Prozent), Tablets (von 5 auf 3 Prozent), Smartphones (von 18 auf 12 Prozent) und TV-Geräten (von 19 auf 14 Prozent). Weltweit wird der mobile Datenverkehr sich von 2017 bis 2022 verfünffachen, was einer jährlichen Wachstumsrate von 46 Prozent entspricht. Das heißt es wird mehr als 28 Milliarden vernetzte Geräte geben, wovon mehr als die Hälfte aller Geräte ausschließlich mit anderen Geräten (Machine-to-Machine) kommunizieren.


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