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„Transformationsprozesse müssen auch Bottom Up gestaltet werden“

Prof. Dr. Wolfgang Schuster (Foto: RNE)

Bildungsexperte Prof. Wolfgang Schuster im Interview zur „Corporate Educational Responsibility“

Stuttgart (csr-news) – Als Bildungsakteure kommen Unternehmen verstärkt in den Fokus. Auch weil die Digitalisierung Berufs- und Lebensverhältnisse kontinuierlich und grundlegend verändert. Prof. Wolfgang Schuster ist Vorsitzender der European Foundation for Education (EFE) und Experte für Bildungsthemen. CSR MAGAZIN sprach mit dem ehemaligen Stuttgarter Oberbürgermeister. Das Gespräch führte Achim Halfmann.

Die Fragen:

CSR NEWS: Wofür steht der Begriff „Corporate Educational Responsibility“?

Prof. Dr. Wolfgang Schuster: Den Begriff Corporate Social Responsibility verwenden wir schon lange. Hierbei geht es um die Verantwortung der Unternehmen für die Gesellschaft und für ihre eigenen Mitarbeiter – eine Verantwortung, die über gesetzliche Regeln und tarifrechtliche Absprachen hinausgeht.

Mit dem Begriff „Corporate Educational Responsibility” bezeichnen wir das Engagement von Unternehmen für die persönliche und berufliche Qualifizierung der Mitarbeiter. In Deutschland besitzt etwa die duale Ausbildung eine gut 100 Jahre alte Tradition, das duale Studium kennen wir seit etwa 40 Jahren. Es ist einer der wesentlichen Erfolgsfaktoren des deutschsprachigen Wirtschaftsraumes, dass Bildungssysteme und Unternehmen sich verzahnt haben.

Beim Bildungsengagement der Unternehmen geht es darum, Mitarbeiter bei den vielen Transformationsprozessen mitzunehmen. Denn in einer Wissensgesellschaft werden die Unternehmen am erfolgreichsten sein, die auf die motiviertesten und leistungsfähigen Köpfe zählen können.

An welche Transformationsprozesse denken Sie etwa?

Ich denke an die aktuellen Themen Digitalisierung und Klimaschutz. Beide lassen sich im Unternehmen nur umsetzen, wenn die Betriebe ihre Mitarbeiter qualifizieren und mitnehmen. Beim Klimaschutz sind naturwissenschaftlich-technisches Grundlagenwissen und Knowhow zum Ressourcenverbrauch und zu den Emissionen unerlässlich, um Veränderungen erfolgreich mitzugestalten.

Transformationsprozesse lassen sich nur bedingt Top Down gestalten, daher ist ein Bottom Up-Ansatz notwendig. Manchen großen Unternehmen fällt das schwer, Familienunternehmen gelingen solche Transformationsprozesse häufig leichter. Erfolgreiche Bottom Up-Gestaltung braucht qualifizierte Mitarbeiter, daher liegen Bildungsangebote im ureigenen Interesse der Unternehmen.

Kritiker befürchten, dass Unternehmensengagement im Bildungssektor zu einer Verzweckung und Eingleisigkeit von Bildung führt.

Langfristig denkende Unternehmen wissen, dass ihre Arbeitsplätze in fünf oder zehn Jahren anders aussehen werden als heute. Deshalb sind sie am breiten Kompetenzerwerb für ihre Mitarbeiter interessiert. Zunehmend gefordert sind Teamfähigkeit, Selbstlernfähigkeit, Agilität, Resilienz, intellektuelle Beharrlichkeit, analytische Fähigkeiten und die Kreativität, Sachverhalte neu zusammendenken zu können. Ich kenne die Diskussion um die „reine Lehre“ im Bildungssektor, die mag intellektuell interessant sein, bewähren muss sich Bildung aber im persönlichen wie beruflichen Alltag.

Wo ist das Engagement von Unternehmen im Bildungssektor aus Ihrer Perspektive besonders gefragt?

Kognitive und soziale Fähigkeiten zu vermitteln, das geht nur in Kombination von Theorie und Praxis. Daher halte ich die Kooperationen von Unternehmen mit Bildungsträgern in der dualen Ausbildung für so wichtig. Wir sollten duale Konzepte auf Berufsschul- und Hochschulebene in Theorie und Praxis weiterentwickeln. Das ist anspruchsvoll, doch wenn Unternehmen und Bildungsträger sich gut abstimmen, profitieren beide davon.

Nehmen Sie die Hochschulen: In Unternehmenskooperationen finden die Lehrenden spannende Forschungsfelder und damit die Chance, an relevante Forschungsergebnisse zu kommen, sowie Praxisfelder, in denen sich ihre Studierenden orientieren können. Und gerade für kleine und mittelständische Unternehmen bieten diese Kooperationen eine Möglichkeit, an Forschungsergebnisse zu kommen.

Sie sprechen die Hochschulebene an. Kritiker warnen vor einer „Akademisierung“ der Bildung.

Ich mag den Begriff „Akademisierung“ für duale Studiengänge nicht. Akademisierung – das ist ein PhD oder zumindest ein Master. Vor 20 Jahren startete der Bologna-Prozess, was nichts anderes ist als die Akzeptanz eines aus dem anglo-amerikanischen Bereich kommenden Bildungssystems, in dem der erste berufsqualifizierende Abschluss ein Bachelor ist.

Wer in Deutschland einen Gesellenbrief erwirbt, kann sich auf vielen Gebieten mit den Bachelor-Absolventen anderer Länder messen; es fehlt ihm aber die internationale Anerkennung. Es liegt deshalb im Interesse junger Menschen in Deutschland, berufsnahe Bachelor-Abschlüsse zu erwerben.

Unser deutsches Berufsbildungssystem mit seiner Durchlässigkeit und seinen Abstufungen finde ich hervorragend. Es wird den unterschiedlichen Begabungen und Entwicklungsgeschwindigkeiten junger Menschen gerecht. Wir sollten in dieses System – etwa in die technische Ausstattung der Berufsschulen – investieren und gleichzeitig die Türen zu höheren Bildungsabschlüssen offenhalten.

Und wir müssen uns Mühe geben, dieses System im Ausland außerhalb der deutschsprachigen Business-Community zu erklären. Leider fehlen bereits die Übersetzungen für deutsche Bildungsabschlüsse, vor allem für den Gesellen- und Facharbeiterschluss. Auch erscheint mir die Einordnung in das europäische Qualifikationssystem nicht den Kompetenzen angemessen, die unsere Absolventen der dualen Ausbildung erworben haben und im Beruf einbringen können.

Herzlichen Dank für das Gespräch!

Prof. Dr. Wolfgang Schuster ist Kuratoriumsvorsitzender des Deutschen CSR-Forums. Am 29. April wird er das 16. Forum eröffnen, das sich mit den Themenschwerpunkten „Digitalisierung“ und „Bildung“ beschäftigt. >> Das Programm


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