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Textil-Upcycling: Das ganz grosse Rad drehen

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Was haben Fahrrad und Recycling gemeinsam? Ein Weimarer Start-up kennt die Antwort: Unter dem Label Recyclist Workshop produzieren Lars Nüthen und Valentin Schmitt Alltagsmode und Fahrradsportbekleidung aus 100 Prozent recyceltem Material.

Die beiden Gründer sind begeisterte Fahrradfahrer – aus reiner Freude daran und weil es für einen verantwortungsvollen urbanen Lebensstil steht. Ihr Weimarer Büro befindet sich im BAUHAUS.EINS, einem sanierungsbedürftigen Haus aus der Gründerzeit, das die Stadt und die Universität in einem interdisziplinären Projekt nachhaltig sanieren.

Lars Nüthen, wie kam es zur Gründung eures Unternehmens im Jahr 2012?

Wir studierten damals Architektur an der Bauhaus-Universität und leidenschaftliche Fahrradfahrer sind wir schon immer gewesen. Also entstand die Idee in einer studentischen Fahrradwerkstatt. Wir überlegten, was man alles aus dem Material fertigen könnte, das hier herumlag und für den ursprünglichen Zweck nicht mehr zu gebrauchen war. Zuerst entwarfen wir einen Schuh aus Gummischläuchen. Wir benötigten Stoff für das Innenfutter und stießen in der Werkstatt auf alte Umzugsdecken aus recyceltem Vlies. So begannen wir, verschiedene Stoffe und Materialien und ihre Weiterverwendung zu erforschen. Wir nähten unsere ersten Vliespullis und gestalteten sie liebevoll mit Details wie etwa Glieder alter Fahrradketten. Durch die intensive Zusammenarbeit mit Studierenden anderer Fakultäten konnten wir gleich zu Beginn schon auf ein weitreichendes Netzwerk an Spezialisten verschiedener Gewerke zurückgreifen.

Warum habt ihr euch für ein hundertprozentiges Recycling entschieden?

Der Trend zur Biobaumwolle ist ein richtiger Schritt in Richtung Nachhaltigkeit, aber die Produktion der Baumwollfaser bleibt verantwortlich für einen gigantischen Wasser- und Energieverbrauch. Für uns ist das der Grund, die Zukunft der Textilindustrie nicht in der konventionellen Verarbeitung immer neuer Rohstoffe zu suchen, sondern uns ganz der Verarbeitung von Recyclingfasern zu widmen. So vermeiden wir Unmengen an Müll, sparen Tausende Liter Wasser und vermindern den Ausstoß von CO2.

Euer Produktionskonzept beruht auf dem Cradle-to-Cradle-Prinzip, das auf kontinuierliche Materialkreisläufe zielt. Dafür habt ihr direkt den Bundespreis Ecodesign bekommen. In welchem Kreislauf entstehen eure Produkte?

Für unsere Strickkollektion verarbeiten wir ein zu 100 Prozent aus Recyclingfasern hergestelltes Garn. Die Fasern entstammen den riesigen Abfällen aus der Textilproduktion. Ein perfekt abgestimmtes Gemisch aus 70 Prozent recycelter Baumwolle und 30 Prozent recycelten Plastikflaschen ermöglicht uns, auf Frischfasern zu verzichten. Für unsere Vlieskollektion verwenden wir einen Stoff aus grob zerfaserten Textilabfällen. Ohne komplizierte Trennverfahren werden Produktionsabfälle direkt wieder in die Stoffherstellung integriert. Dieses Verfahren gestattet uns, jedes unserer Kleidungsstücke am Ende seines Lebens wieder in den Recyclingkreislauf zurückzuführen.

Weshalb besteht eure Strickkollektion zum Teil aus künstlichen Fasern?

Recycelte Baumwollfasern sind kürzer als frische Fasern. Plastikfasern geben da dem Stoff den notwendigen Halt. Aus unserer Sicht ist dieser Stoff von einwandfreier Qualität und lässt sich wunderbar tragen. Aber viele ökologisch bewusste Konsumenten wollen keinerlei Plastikanteil in der Kleidung haben. Wir müssen deshalb etwas von unserer ursprünglichen Philosophie abrücken und arbeiten zurzeit an einem hundertprozentigen Baumwollstoff, der größtenteils aus gebrauchten und zu einem kleinen Teil aus frischen, stabileren Biofasern besteht.

Welche Rolle spielt für euch der Ort, an dem eure Sachen produziert werden?

Wo immer es möglich ist, arbeiten wir mit regionalen Unternehmen zusammen. So können wir höchste Arbeits- und Umweltstandards einhalten, und durch kurze Transportwege reduziert sich der CO2-Ausstoß. Unsere Pullis und Mützen werden deshalb in Thüringen gestrickt, das Vlies stellt eine Bautzener Firma her. Nähen lassen wir zurzeit in einer integrativen Näherei in Berlin und in einer Trikotmanufaktur bei Nürnberg. Manchmal können wir einen Arbeitsschritt aber nicht lokal realisieren. So gibt es in Deutschland nur noch wenige Garnhersteller, und keiner von ihnen kann Recyclinggarn herstellen.Deshalb beziehen wir dieses von einer spanischen Firma. Textilzulieferer mit größtmöglicher geografischer Nähe zum deutschen Firmenstandort sitzen heutzutage meistens in Südeuropa oder der Türkei. Was unseren Standort Weimar angeht: Unser Projekt wäre sicher nicht so einfach ins Rollen gekommen ohne das universitäre Netzwerk und die interdisziplinären Möglichkeiten in dieser größenmäßig überschaubaren Stadt. Für die meisten Probleme finden wir hier immer eine schnelle Hilfe.

Kann man von einem Upcycling-Trend in Deutschland sprechen?

Umweltbewusstsein und nachhaltiges Handeln sind in Deutschland schon lange wichtige Themen. Das Konsumverhalten ändert sich aber noch nicht in entsprechendem Maße. Angesichts der vergleichsweise hohen Preise für Upcycling-Produkte spielen die Kaufkraft beziehungsweise auch die Bereitschaft, für Nachhaltigkeit mehr zu zahlen, dabei eine große Rolle. Die Industrie stellt sich erst um, wenn ein wirtschaftlicher Mehrwert in Aussicht steht. Mittlerweile wird aber das Potenzial für die Textilproduktion teilweise erkannt, jedenfalls steigt die Zahl der Produzenten mit Recyclingfasern im Angebot allmählich. Leider sind die Garne und der Stoff bei weitem noch nicht so vielfältig wie bei der Verwendung herkömmlicher Rohstoffe, was uns bei der Gestaltung neuer Kollektionen noch immer eingeschränkt. Mit weiter schwindenden Rohstoffen wird aber die wirtschaftliche Relevanz von Re- und Upcycling in Zukunft immer wichtiger werden.

Anna Burck führte das Interview. Sie lebt als freie Autorin und Übersetzerin in Dresden.

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Copyright Text: Goethe-Institut, Anna Burck. Dieses Werk ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung-Keine Bearbeitung 3.0 Deutschland Lizenz und zuerst >> hier erschienen.


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