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Wirtschaftsethik: aus der Theorie in die Praxis

Neue Formate, Praxisarbbeit, Projekte – kreative Lehrangebote erleichtern den Praxistransfer.

Velbert (csr-news) – Das CSR MAGAZIN hat Hochschullehrer aus Deutschland, der Schweiz und Österreich danach gefragt, wie die Wirtschaftsethik in die Lehre eingebunden sein sollte, was eine Beschäftigung damit bewirken kann und wie es um die Nachhaltigkeit der Hochschulen selbst bestellt ist. Einen Übersichtsbeitrag dazu bringt die März-Ausgabe des CSR MAGAZIN. Hier veröffentlichen wir die Antworten der Hochschullehrenden im Volltext. Heute:

Wie gelingt der Transfer von der wirtschaftsethischen Lehre und Forschung an den Hochschulen in die Betriebe?

Prof. Harald Bolsinger (Hochschule für angewandte Wissenschaften Würzburg-Schweinfurt): Das geht nur durch Analyse echter Praxisfälle kombiniert mit echtem Tun. Praxislehr- und Praxisforschungsprojekte sorgen dafür, dass die Kompetenz des Forschungs- und Lehrpersonals auf hohem Niveau aber auf niederschwellige Art die Unternehmen erreicht, indem Herausforderungen der Realwelt mit Lösungen versehen werden. Das Forschungs- und Lehrpersonal muss auf Basis wissenschaftlich belastbarer Erkenntnisse sichtbar handeln, Position beziehen und Veränderungen anstoßen – gleichermaßen auf makropolitischer wie auf Unternehmensebene. Angewandte Forschung setzt um, verändert und reflektiert die Veränderung. Dieser Prozess erfolgt idealerweise mit Studierenden, Unternehmen und lehrenden Forscherinnen und Forschern gemeinsam. Der Theorie folgt immer die Konsequenz und Anwendung in der Praxis. Wenn wir lehren, dass die Sustainable Development Goals wichtig sind, brauchen wir auch ein Praxisbeispiel, wie diese in Unternehmen umgesetzt werden können – dann gehen wir automatisch auf die Suche nach externen Partnern, die hier als Transferunternehmen fungieren können. Und schon beginnt der Himmelskreislauf: Die Umsetzung beginnt, die Berichterstattung und Reflexion darüber beginnt und wird in der Lehre und in lokalen Medien diskutiert, was wieder bei weiteren Betrieben Interesse weckt.

Prof. Stefan Heinemann (FOM Hochschule): Von Formaten wie service learning bis zu Hochschulen für die Zielgruppe der Berufstätigen mit entsprechenden Inhalten reicht die Bandbreite. Zudem ist die partnerschaftliche Kooperation zwischen Unternehmen und Hochschulen ein gutes Mittel um einen überzeugenden Transfer zu sichern.

Prof. Estelle L.A. Herlyn (FOM Hochschule): Durch Abschlussarbeiten mit Praxisbezug, idealerweise aus dem Arbeitsumfeld der Studierenden. An der FOM gibt es häufig derartige Konstellationen. Nach den Vorlesungen zu Wirtschaftsethik und / oder Nachhaltigkeit gibt es immer wieder Studierende, die die Inhalte im Rahmen ihrer Abschlussarbeit vertiefen und mit der Praxis verknüpfen möchten. Außerdem: Durch Vortragstätigkeit. Durch Praxisprojekte mit Unternehmen. Durch Mitarbeit in Wirtschaftsverbänden, in meinem Fall dem Senat der Wirtschaft.

Prof. Dr. Ulrich Holzbaur (Hochschule Aalen): Durch gemeinsame Projekte und durch die Absolventen. Gut gebildete Absolventen sind die wichtigste Transferleistung der Hochschulen.

Prof. Annette Kleinfeld (Hochschule Konstanz): Über die Studierenden selbst: Zum einen, indem sie ihr Wissen an ihren künftigen Arbeitgeber herantragen bzw. dort einbringen, zum anderen während des Studiums über wiss. Qualifikationsarbeiten, die sie zu wirtschaftsethischen Themen in Unternehmen oder in enger Kooperation mit der Praxis schreiben. Wie gesagt: Die Offenheit der Arbeitgeber für die Themen nimmt kontinuierlich zu – nicht zuletzt, weil die junge Arbeitnehmer-Generation sie selbst nachfragt und einfordert!

Prof. Nick Lin-Hi (Universität Vechta): Unternehmerische Entscheidungen werden immer auch vor dem Hintergrund von Kosten-Nutzenüberlegungen getroffen. Diese Logik lässt sich nutzen, um Themen wie Nachhaltigkeit und CSR in die unternehmerische Praxis zu tragen. D.h. Unternehmen werden sich diesen Themen annehmen, wenn dies für sie mit Vorteilen verbunden ist. Ein starkes Argument in diesem Kontext kommt aktuell aus dem Bereich Personalmanagement. In Zeiten des zunehmenden Fachkräftemangels ist es für Unternehmen wichtig, ihre Arbeitgeberattraktivität zu steigern. Eben hier entfalten Nachhaltigkeit und CSR positive Effekte. Unternehmen, die gesellschaftliche Verantwortung übernehmen und zeigen können, dass sie mit ihrer Geschäftstätigkeit einen positiven Beitrag leisten, bieten „Arbeitsplätze mit Sinn“ an. Die aktuelle Forschung zeigt, dass Arbeit mit Sinn ein starker Werttreiber im Personalbereich ist, da es u.a. Arbeitszufriedenheit und Motivation im Job steigert, die Mitarbeiterbindung befördert und sich positiv auf Arbeitgeberattraktivität auswirkt.

Dr. Daniela Ortiz (FHWien der WKW): Am direktesten erfolgt dieser Transfer über die AbsolventInnen, die bestenfalls das erworbene Wissen in ihrer Tätigkeit umsetzen. Zusätzlich gelingt dies durch angewandte Forschungsprojekte, an denen Unternehmen direkt beteiligt sind (bspw. unser Projekt zu nachhaltigem und strategischem Management von KMU). Ein anderes Instrument bilden die Bearbeitung und Besprechung von „live cases“ im Rahmen von Lehrveranstaltungen: Hier können die Studierenden bspw. strategische Analysemethoden sowie Lösungskonzepte erproben (s. Antwort auf die erste Frage). Auch durch den Einsatz von UnternehmerInnen und PraktikerInnen als Vortragende und Lehrende wird eine Möglichkeit zum Transfer geschaffen.

Prof. Guido Palazzo (Universität Lausanne): Wir arbeiten in unseren Kursen eng mit der Praxis zusammen. Die Ausdifferenzierung in ein sehr breit gefächertes Kursangebot macht es möglich und notwendig, in die praktische Tiefe zu gehen und konkret an den Herausforderungen zu arbeiten, denen sich die Unternehmen heute gegenübersehen.

Prof. Stefan Schaltegger (Leuphana Universität Lüneburg): Wir organisieren verschiedene Praxis-Wissenschaftstransferformate, wie das Sustainability Leadership Forum (SLF) mit führenden Unternehmen in Deutschland, das Netzwerk „Nachhaltigkeitsinnovationen im Regionalen Mittelstand – NIREM“ mit etwas über 70 KMU in Norddeutschland sowie fokussierte Transferangebote wie das Innovationsnetzwerk nachhaltige Smartphones (InaS). In vielen Forschungsprojekten arbeiten wir mit Pilotunternehmen zusammen, in der Lehre binden wir auch Dozierende aus der Praxis ein und wir führen Workshops mit Studierenden in Unternehmen durch. Die Erfahrungen werden laufend evaluiert, um das Programm mit einer guten Mischung und Verlinkung von Theorie und Praxis laufend zu verbessern.

Prof. Markus Scholz (FHWien der WKW): Weitere Transfermöglichkeiten ergeben sich, wenn Unternehmen Einrichtungen mitfinanzieren, die sich mit dem Thema Wirtschaftsethik und Nachhaltigkeit auseinandersetzen. Wie bereits besprochen, muss dafür aber im Vorhinein die Transparenz und die Abgrenzung von Kompetenzen und Einfluss gegeben sein.

Prof. Andreas Suchanek (HHL Leipzig): Der banalste – und zugleich wichtigste – Praxistransfer erfolgt über die Studierenden als zukünftige Mitarbeitende der Unternehmen. Eine Chance besteht zudem darin, dass Unternehmen mit ihren hoch komplexen Praxisproblemen in die Lehre kommen, dass wir zuhören und gemeinsam Seminare gestalten und dass wir solche Problemstellungen auch in der Forschung berücksichtigen.

Eine weitere Chance sind die Praxisprojekte, die wir bei uns durchführen, in denen Studierende in Gruppen von drei bis sechs Personen beratend für bis zu einem halben Jahr in Unternehmen tätig werden. Diese jungen Leute – häufig mit interkultureller Erfahrung – bringen dabei für die Unternehmen wichtige Perspektiven ein; nicht nur – aber auch – zu wirtschaftsethischen Themen. So haben Studierende unter meiner Federführung ein großes Pharmaunternehmen beraten zum Konflikt „profitability vs. affordability of drugs“ – was für alle Beteiligten wichtige Einsichten hervorbrachte.

Prof. Rudolf Voller (Hochschule Niederrhein): Schwierige Unterfangen, wie wir zurzeit mit unserem Kompetenzzentrum erfahren müssen. Man kommt gut zu einem Austausch mit den Unternehmen, die schon auf dem Weg sind. Die noch nicht soweit sind, versuchen wir mit Workshop- Barcamp- und anderen Angeboten zu erreichen. Die besten Transferträger sind aber unsere Absolventen, deshalb muss Wirtschaftsethik mehr Eingang in die Lehre finden.


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