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Retweet-Button reflektiert nutzen

[exklusiv] Interview-Serie Digitale Ethik: Jürgen Geuter zur Ethik des Teilens

(Oldenburg /csr-news) – In der CSR NEWS-Interviewserie stellt Jürgen Geuter die Verantwortung des Einzelnen heraus. Geuter ist Informatiker und schreibt unter dem Namen tante im und zum Internet. Im Dayjob berät er Industrieunternehmen im Themenfeld Industrie 4.0. Mit ihm sprach Achim Halfmann.

CSR NEWS: Herr Geuter, ein zentrales Thema in Ihren Publikationen ist die Verantwortung des Einzelnen in den Social Media. Worum geht es dabei?

Jürgen Geuter: Am häufigsten nutze ich persönlich Twitter und dort – aber auch auf anderen Social Media Plattformen – wird die Bedeutung einer Ethik des Teilens deutlich. Die ethisch relevante Frage lautet: Wann ist es ok, auf den Retweet-Knopf zu drücken? Manche Nutzer bestreiten ihre Verantwortung für Retweets und sagen: „Ich leite nur etwas weiter“. Aber Weiterleitungen ohne Kommentar sind immer eine Empfehlung.

Und manchmal verhindert auch ein Kommentar nicht, dass die Persönlichkeitsrechte von Menschen verletzt werden. Nehmen sie die gehackten Bilder nackter Schauspielerinnen, die durch den Datendiebstahl die Kontrolle über diese Fotos verloren haben. Oder etwa die Propaganda-Videos der IS von ihren Hinrichtungen, in denen die Opfer ihrer Menschlichkeit beraubt werden. Wer solche Bilder auch in guter Absicht verbreitet, trägt dazu bei, dass Menschen so gesehen werden, wie sie nicht gesehen werden möchten. Ich möchte dafür sensibilisieren, dass Nutzer bewusster mit Retweets umgehen.

Ist es nicht auch eine Verantwortung von Social Media-Konzernen, dort einzugreifen und solche Bilder zu löschen.

Das haben sie lange Jahre nicht getan – mit Verweis auf eine falsch verstandene Meinungsfreiheit. Wer in der Gesellschaft gegen grundlegende Regeln verstößt, wird sozial isoliert. Wer mich Zuhause besucht, für den gelten bestimmte Regeln. Das erwarte ich auch von Social Media-Unternehmen: Sie sollen klarstellen, welche Regeln – welche Policies – auf ihren Plattformen gelten.

In einem zweiten Schritt gilt es dann, für die Einhaltung dieser Regeln zu sorgen. Bei Twitter etwa fällt mir auf, das nationalsozialistische Symbole in Deutschland gesperrt werden, international aber zugänglich bleiben. Warum ist das Unternehmen da nicht konsequent und löscht den Account? Entweder klare Regeln – oder „everything goes“.

Indem sie die Regeln auf ihren Plattformen bestimmen, besitzen Social Media-Konzerne eine große Machtfülle.

Die Unternehmen sollten den Menschen, die diese Plattformen nutzen, Einfluss auf die Gestaltung der Regeln geben. Das erfordert sicher einen anspruchsvollen Dialog und einen transparenten Dialogprozess. Die Unternehmen geben viel Geld aus, um die noch bessere Platzierung von Werbung zu erforschen. Da können sie auch Geld in die Entwicklung besserer Teilhabemodelle investieren.

Mehr Teilhabe ist auch möglich, wenn ich einen regelwidrigen Post oder Tweet melde. Ich erhalte dann eine meist sehr allgemeine Rückmeldung und habe keine Möglichkeit, die „allmächtige“ Entscheidung des Konzerns über die Löschung oder Nichtlöschung anzufechten.

Wenn Social Media-Nutzer mitgestalten wollen, erfordert das Medienkompetenz.

Die Begriffe „Medienkompetenz“ oder „digitale Kompetenz“ verwende ich nicht, weil sie meistens in einem negativen Zusammenhang verwendet werden. Mir geht es um ein bewusstes und überlegtes Handeln in den Social Media. Dort ist alles auf Geschwindigkeit angelegt: Der Retweet-Button bei Twitter und der Share-Button bei Facebook verleiten zu einer schnellen und unreflektierten Reaktion – besonders wenn etwas emotional berührt. Und deshalb ist es auch wichtig, dass wir uns gegenseitig ehrlich verhalten und uns sagen, wenn wir eine Grenze überschritten haben. Wenn Leute aus meinem Umfeld etwas verbreiten, das sie nicht verbreiten sollten, spreche ich sie darauf an und bitte sie um ein Statement, ob sie das bewusst getan haben oder nicht.

Dabei geht es nicht nur um die Inhalte selbst, sondern auch um deren Quellen. Wenn eine Nachricht aus zweifelhaften Quellen ins eigene Narrativ passt, neigen Menschen dazu, sie zu verbreiten. Aber wir sollten nicht zur Popularität zweifelhafter Quellen beitragen.

Menschen, die mir bei Twitter folgen, lassen mich Themen in ihre Gehirne schubsen. Deshalb sollten wir umsichtig sein. Wenn ich Inhalte tweete, die andere verletzen könnten, schicke ich eine Content-Warnung voraus, zum Beispiel „[Hier geht es um häusliche Gewalt.]“ Bei der Kommunikation in Social Media handeln wir in einem öffentlichen Raum, und da sollten wir sorgfältig sein.

Vielen Dank für das Gespräch!

Titelfoto: Michael Kohls


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