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Verantwortung von Unternehmen für Menschenrechtsverletzungen

Wenn von CSR die Rede ist, sind meist freiwillige Maßnahmen gemeint, mit denen Unternehmen ihrer gesellschaftlichen Verpflichtung gerecht zu werden versuchen. Stefanie Khoury and David Whyte untersuchen in ihrem Buch „Corporate Human Rights Violations – Global Prospects for Legal Action“, wie es um die juristische Verantwortung von Unternehmen für Menschenrechtsverletzungen bestellt ist.

Rezension: David Whyte/Stéphanie Khoury, Corporate Human Rights Violations – Global Prospects for Legal Action (Routledge, 2017)

Von Rechtsanwalt Holger Hembach

Bergisch Gladbach (csr-news) > Wenn von CSR die Rede ist, sind meist freiwillige Maßnahmen gemeint, mit denen Unternehmen ihrer gesellschaftlichen Verpflichtung gerecht zu werden versuchen. Stefanie Khoury and David Whyte untersuchen in ihrem Buch „Corporate Human Rights Violations – Global Prospects for Legal Action“, wie es um die juristische Verantwortung von Unternehmen für Menschenrechtsverletzungen bestellt ist. Sie kommen zu dem Schluss, dass es kaum Möglichkeiten gibt, Unternehmen für die menschenrechtlichen Folgen ihrer Aktivitäten rechtlich zur Verantwortung zu ziehen. Dabei sehen die Autoren einen inneren Widerspruch im internationalen Recht darin, dass Unternehmen sich zwar durchaus auf Menschenrechte berufen könnten, wenn sie die Verletzung eigener Rechte geltend machen, andererseits aber im internationalen Recht nicht als Träger menschenrechtlicher Pflichten angesehen würden. Die Menschenrechte wirkten damit zwar zugunsten der Unternehmen, nicht aber zu ihren Lasten.

In den ersten Kapiteln beschäftigen sich die Autoren mit den UN-Leitlinien für Wirtschaft und Menschenrechte.  Eine weitverbreitete Darstellung der Entstehung der UN-Leitlinien lautet ungefähr so: In den 90er Jahren geriet das Thema menschenrechtlicher Verantwortung von Unternehmen verstärkt in das öffentliche Bewusstsein, ausgelöst vor allem durch die Hinrichtung des Bürgerrechtlers Ken Saro-Wiwa, der auf die Folgen der Ölförderung im Nigerdelta aufmerksam gemacht hatte. Vielen glaubten, dass Shell zumindest eine Mitverantwortung für seinen Tod trage. Große internationale Menschenrechtsorganisationen begannen daraufhin, sich für die Etablierung menschenrechtlicher Standards für Unternehmen einzusetzen.

Die Vereinten Nationen reagierten. Der Generalsekretär der Vereinten Nationen beauftragte John Ruggie, Vorschläge zur Ausgestaltung der menschenrechtlichen Verantwortung von Unternehmen auszuarbeiten. Ruggie war ein Gegner rechtlich verbindlicher Pflichten für Unternehmen; er hielt eine freiwillige Selbstverpflichtung für die bessere Lösung. Deshalb entwarf er die UN-Leitlinien, die keine Pflichten für Unternehmen begründen, aber eine in der Wirtschaft und Zivilgesellschaft weithin akzeptierte Grundlage für die Bestimmung der Verantwortung von Unternehmen für Menschenrechte darstellen.

Internationale Kräfteverhältnisse haben sich verschoben

Stephanie Khoury und David Whyte erzählen eine andere Version der Geschichte: Der Ruf nach menschenrechtlicher Verantwortung für Unternehmen ist danach schon wesentlich früher laut geworden. Einerseits hätten internationale Gewerkschaftsvereinigungen schon seit den 50er Jahren begonnen, politischen Druck auszuüben um die internationale Einhaltung arbeitsrechtlicher Mindeststandards durchzusetzen. Vor allem aber hätten in den 70er Jahren viele lateinamerikanische und afrikanische Staaten Korruption und politische Einflussnahme durch transnationale Unternehmen beklagt. In den Vereinten Nationen hätte sich ein Konsens herausgebildet, dass Verhaltensregeln für international operierende Unternehmen geschaffen werden müssten. Allerdings hätten sich im Lauf der Zeit die Kräfteverhältnisse zwischen wirtschaftlich starken Staaten des „globalen Nordens“ und den ökonomisch schwächeren Staaten verschoben. Die Staaten des „Globalen Südens“ seien zunehmend darauf angewiesen gewesen, ausländische Direktinvestitionen anzuziehen. Dadurch habe sich der Fokus vom Schutz der Menschen vor den Unternehmen verschoben auf den Schutz der Unternehmen vor Eingriffen durch Staaten. Die Lobby für die Schaffung verbindlicher menschenrechtlicher Verpflichtungen sei schwach gewesen. Die UN-Leitlinien sind nach dieser Darstellung das Ergebnis einer gewaltigen Lobbyanstrengung durch Unternehmen, unterstützt von den großen Industrienationen, die die Unternehmen keinen juristischen Risiken aussetzen wollten. Vor allem der Global Compact, eine Gruppe von Unternehmen, die auf Initiative Kofi Anans gegründet wurde und die sich für nachhaltiges Wirtschaften eingesetzte, habe Vertretern der Unternehmen in unvergleichlicher Weise Zugang zu Mitarbeitern der Vereinten Nationen eröffnet. Die UN-Leitlinien seien keineswegs das allgemein anerkannte Mittel zur Stärkung der Menschenrechte im wirtschaftlichen Kontext, als das es gerne dargestellt werde. Vielmehr gebe es damals wie heute erhebliche Kritik, auch von Seiten von Menschenrechtsorganisationen.

Für die Autoren bringen die Leitlinien daher keinen echten Fortschritt im Bereich der Menschenrechte, sondern ermöglichen es Unternehmen, juristische Konsequenzen zu vermeiden, während sie gleichzeitig ihre gesellschaftliche Verantwortung reklamieren. Ein Beispiel für die mangelnde Effektivität solcher unverbindlicher Verhaltensregeln sind für Khoury and Whyte auch die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, mit denen sie sich im 3. Kapitel befassen. Auch die OECD-Richtlinien sind nicht bindend. Sie enthalten Empfehlungen für Unternehmen in Bereichen wie Menschenrechte, Korruptionsbekämpfung und Verbraucherschutz. Um die Einhaltung der Richtlinien zu gewährleisten, sehen sie die Einrichtung „nationaler Kontaktstellen“ vor. Bei diesen können sich Betroffene beschweren, die glauben, dass Unternehmen ihren Verpflichtungen nach den OECD-Richtlinien nicht gerecht geworden sind.

Schwache Institutionen und korruptionsanfällige Justiz

Die Autoren setzen sich en detail mit dem Ausgang von Beschwerdeverfahren auseinander, die initiiert worden sind. Sie kommen zu dem Ergebnis, dass die Beschwerde ein stumpfes Schwert ist. Von den untersuchten 281 Beschwerden, die zwischen 2002 und 2012 eingelegt wurden (und die zugleich den Großteil der insgesamt in diesem Zeitraum eingelegten Beschwerden ausmachen), führten nur etwas mehr als die Hälfte überhaupt dazu, dass die nationale Kontaktstelle den Fall annahm und Verhandlungen zwischen den Parteien stattfanden. In rund einem Viertel dieser Fälle wurde eine endgültige Entscheidung nicht erreicht, vor allem, weil die Unternehmen die Kooperation im Verfahren verweigerten, auf Anfragen nicht reagierten o.ä. In anderen Fällen wurde das Verfahren durch äußere Umstände wie Unternehmenskäufe oder Gesetzesänderungen. Zu einer von den Beteiligten akzeptierten Abschlussentscheidung kam es dagegen nur in 36 Fällen. Das 4.Kapitel ist der deliktsrechtlichen Verantwortlichkeit von Unternehmen gewidmet. Es geht also darum, ob die Opfer von Menschenrechtsverletzungen Schadensersatz erlangen können. Die Schwierigkeit liegt dabei darin, dass die Verletzungen der Menschenrechte sich of in Staaten ereignen, in denen die Institutionen schwach sind und die Justiz korruptionsanfällig. Daher versuchen Betroffene, die Unternehmen an ihrem Hauptsitz zu verklagen.

Die Autoren räumen dabei breiten Raum dem „Alien Tort Claims Act“ ein. Das ist ein Gesetz aus dem 18. Jahrhundert, demzufolge amerikanische Gerichte für Verletzungen von Menschenrechten zuständig sein können, die von nichtamerikanischen Unternehmen irgendwo in der Welt begangen werden. Betroffene von (angeblichen) Menschenrechtsverletzungen hätten schon in einigen Fällen versucht, auf Grundlage dieses Gesetzes Schadensersatzansprüche in den USA geltend zu machen. Letztlich habe aber der „Supreme Court“ den „Alien Torts Claims Act“ sehr eng ausgelegt, so dass derzeit die Aussichten schlecht seien, in den USA Schadensersatz zu erlangen. Im 5. Und 6. Kapitel setzen sich mit der Rolle von Unternehmen in internationalen Menschenrechtsgerichten auseinander. Sie konzentrieren sich dabei vor allem auf den Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte und den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.  Beide Gerichte haben verschiedentlich ausgesprochen, dass es eine staatliche Pflicht gibt, die Verletzung von Menschenrechten durch Unternehmen zu verhindern (oder sie zu ahnden, wenn sie eingetreten sind.) Damit kommen derartige Verletzungen als Auslösern von Verfahren vor internationalen Menschenrechtsgerichten zwar in Betracht. Diese werden aber letztlich wieder im Hinblick auf die Verantwortung des Staates geprüft, ganz wie es auch die UN-Leitprinzipen vorsehen, die eine staatliche Pflicht postulieren, die Verletzung von Menschenrechten zu verhindern. Den Schritt, die internationalen Menschenrechtsverträge so auszulegen, dass sie auch Unternehmen direkt binden und diese auch direkt zur Verantwortung gezogen werden können, hätten weder der EGMR noch der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte vollzogen.

Dagegen zeigen Khoury and Whyte auf, dass letztlich in beiden Gerichtshöfen Unternehmen den Schutz menschenrechtlicher Vorschriften in Anspruch nehmen können Der EGMR geht davon aus, dass juristische Personen selbst Träger von Menschenrechten sein können. Der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte gesteht juristischen Personen selbst zwar keine Rechte zu. Er betrachtet aber Eingriffe, die Unternehmen betreffen, in vielen Fällen als mittelbare Eingriffe in die Rechte der Teilhaber oder der Aktionäre des Unternehmens. Geht es beispielsweise um Enteignungen, könne dann zwar nicht das Unternehmen selbst Rechtsschutz vor dem Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte erlangen, wohl aber seine Aktionäre, weil die Enteignung letztlich den Wert ihrer Beteiligung an dem Unternehmen betreffe. Als Folge könnten Unternehmen in großem Umfang wirtschaftliche Interessen als Menschenrechte verbrämt geltend machen. Abschließend gegen die Autoren einen Ausblick und diskutieren mögliche Ansätze, um zu gewährleisten, dass Unternehmen ihren menschenrechtlichen Pflichten gerecht werden.

Das Buch leistet zweierlei: Erstens gibt es einen Überblick über wichtige juristische Probleme, die mit der Verantwortung von Unternehmen für Menschenrechtsverletzungen verbunden sind. Zweitens eröffnet es eine neue Perspektive auf die Diskussion um Wirtschaft und Menschenrechte. Wo Viele (und gerade auch interessierte Kreise) das Loblied der freiwilligen Selbstverpflichtung singen, ist es sicher nützlich, sich auch mit einer anderen Sicht der Dinge zu befassen. Eine lohnende Lektüre.


Holger Hembach ist Rechtsanwalt in Bergisch Gladbach Er berät zu Grund- und Menschenrechtsfragen. https://rechtsanwalt-hembach.de/


 


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