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Unternehmen stellen sich ihrer Vergangenheit

Die Geschichte eines Unternehmens ist ein entscheidendes Merkmal seiner Identität, seiner Kultur und prägt oftmals für lange Zeit sein Image. Inzwischen beschäftigen viele Unternehmen Historiker mit der Aufarbeitung und Darstellung ihrer Vergangenheit. Dabei kommt nicht nur der Glanz der Gründerjahre zum Vorschein.

Die Geschichte eines Unternehmens ist ein entscheidendes Merkmal seiner Identität, seiner Kultur und prägt oftmals für lange Zeit sein Image. Inzwischen beschäftigen viele Unternehmen Historiker mit der Aufarbeitung und Darstellung ihrer Vergangenheit. Dabei kommt nicht nur der Glanz der Gründerjahre zum Vorschein.

Von Thomas Feldhaus

„Geschichte ist Quatsch“, wird der legendäre Unternehmer Henry Ford gerne zitiert. Eine Sichtweise, die sich heutige Unternehmen nicht leisten können, denn nicht selten werden sie von ihrer Vergangenheit eingeholt. Das können Umweltvergehen in den 1960er und 70er Jahren sein, die bis heute einen Schatten aufs Unternehmensimage werfen, aber auch schwere Verstöße gegen die Menschenwürde in Zeiten der Nazi-Diktatur oder der DDR. Erst jüngst hat ein schwedischer Fernsehsender aufgedeckt, wie der Möbelhersteller Ikea von Zwangsarbeit politischer Häftlinge in der DDR profitiert haben soll. Heute gehört das Verbot von Zwangsarbeit zum Verhaltenskodex von Ikea und den meisten anderen Unternehmen, die sich dem Global Compact angeschlossen haben und sich zu den internationalen Kernarbeitsnormen bekennen.

Ein steiniger Weg

Geschichtsaufarbeitung ist eine heikle und langwierige Angelegenheit für Unternehmen, vor allem wenn es um die eigene Rolle in politischen Systemen – insbesondere Unrechtsregimen – geht. Neben der Wahrnehmung einer moralischen Verantwortung zählt dann die rechtliche Bewertung, beispielsweise für die Entschädigung von Zwangsarbeitern oder Enteigneten. Dies zeigt sich deutlich am Umgang mit der Geschichte des Zweiten Weltkrieges und des nationalsozialistischen Regimes. Es brauchte einen kompletten Generationswechsel, um die Realitäten dieser Epochen anzunehmen und angemessen darauf reagieren zu können. Erst in den 1990er Jahren und nach der Jahrtausendwende haben sich die meisten großen Unternehmen vorbehaltlos ihrer Geschichte genähert. Praktisch erhielten alle Firmen, die vor und während des Zweiten Weltkrieges größere Zahlen von Mitarbeitern beschäftigten, irgendwann auch Zwangsarbeiter zugewiesen. Aus einem einfachen Grund: Arbeitskräfte waren rar und wurden dringend benötigt, europaweit waren rund 20 Millionen Männer, Frauen und Kinder von Zwangsarbeit betroffen. So schleppte sich die Aufarbeitung zwischen Verdrängung und Unkenntnis bis in die jüngste Zeit und brauchte oftmals den Anschub von außen – vor allem durch Klagen Betroffener sowie eine neue Generation von Managern.

Inzwischen sind Entschädigungszahlungen geleistet, fast 4,5 Milliarden Euro wurden durch die Stiftungsinitiative der Deutschen Wirtschaft an die Opfer oder ihre Hinterbliebenen gezahlt. Allerdings war der Weg der Stiftung ein steiniger. Sie musste mit vielen Widerständen kämpfen, um letztlich die Unternehmen von ihrer Verantwortung zu überzeugen – am Ende waren 6.500 Unternehmen beteiligt. Der damalige Vorsitzende der Stiftungsinitiative der Deutschen Wirtschaft, Manfred Gentz: „Eine der Schwierigkeiten lag darin, unseren Kollegen die moralische Verantwortung der deutschen Wirtschaft insgesamt klar zu machen, unabhängig von der Schuld einzelner Unternehmen. Das Thema Zwangsarbeit war eine Belastung, die über der deutschen Wirtschaft schwebte und das Bild der Unternehmen auch im Ausland beeinflusste. Daher war uns daran gelegen, uns zu der historischen Verantwortung zu bekennen“.

Mehr als Hochglanzbroschüren

„In der Regel scheuen gerade die Unternehmen die ehrliche Auseinandersetzung mit ihrer Geschichte, die auch sonst die Zeichen der Zeit nicht erkannt haben und offene Diskussionen vermeiden“, schreibt der Wirtschaftshistoriker Hartmut Berghoff in seinem Buch „Moderne Wirtschaftsgeschichte“. Die anderen beauftragen Historiker, lassen ihre Geschichte nach wissenschaftlichen Kriterien durchleuchten und begnügen sich nicht nur mit Hochglanzbroschüren der PR-Abteilungen. Zu diesen Unternehmen gehören beispielsweise Daimler und VW. Als eines der ersten Unternehmen hat sich Daimler bereits Ende der 1980er Jahre seiner Verantwortung gestellt und zum 100-jährigen Firmenjubiläum eine Studie in Auftrag gegeben, die Schattenseite der Geschichte aufarbeiten sollte. Auch wenn die Anfänge selbst unter Historikern noch umstritten waren, setzten sie einen Bewusstseinswandel in Gang. Zu dieser Zeit war es noch durchaus üblich, unangenehme Seiten der Unternehmensgeschichte einfach auszublenden. Mehr als 270 ehemalige Zwangsarbeiter hatten die Historiker befragt und die eindeutige Verantwortung von Daimler belegen können. Der Konzern zahlte 20 Millionen DM an Einrichtungen, die den ehemaligen Zwangsarbeitern zugutekamen, lehnte aber individuelle Entschädigungszahlungen ab. Auch der Wolfsburger Volkswagen-Konzern hatte in erheblichem Umfang Zwangsarbeiter beschäftigt und verfuhr nach einer ersten Aufarbeitung durch den Historiker Hans Mommsen ähnlich wie Daimler. Inzwischen hat sich eine Vielzahl deutscher Großunternehmen mit seiner Geschichte während der Nazi-Diktatur beschäftigt, von der Allianz über C&A, Oetker bis hin zu den Hannoverschen Verkehrsbetrieben, die 788 Zwangsarbeiter beschäftigte.

Jetzt geht es um die DDR

Ganz anders, wenn auch nicht minder bedeutend, stellt sich das Thema Zwangsarbeit in der DDR dar, so wie es aktuell im Zusammenhang mit dem schwedischen Möbelbauer Ikea für Schlagzeilen sorgt. Nach Recherchen des schwedischen Fernsehsenders SVT hat Ikea in den 1970er und 1980er Jahren Möbel von politischen Häftlingen in DDR-Gefängnissen anfertigen lassen. „Wir nehmen die Anschuldigungen sehr ernst. Zwangsarbeit sei völlig inakzeptabel“, lautet die Reaktion von Ikea, man sei bereits mit der Aufarbeitung beschäftigt und können erst nach deren Abschluss über weitere Schritte reden. Dabei scheint Ikea nicht das einzige Unternehmen gewesen zu sein, längst werden auch andere Namen wie Karstadt, Neckermann oder Klöckner genannt. Dies bestätigt auch Rainer Wagner, Bundesvorsitzender der Union der Opferverbände Kommunistischer Gewaltherrschaft (UOKG). Er lädt Ikea zum Dialog ein, denn: „Ikea war bei weitem nicht das einzige westliche Unternehmen, für das DDR-Zwangsarbeiter geschuftet hatten. Aber Ikea ist das Erste, welches sich dieser Tatsache stellt“. Inzwischen verlangt der Chef der Stasi-Unterlagenbehörde, Roland Jahn, von deutschen Firmen Aufklärung. Seine Behörde stehe für Recherchen zur Verfügung. Wie diese ausgehen und ob am Ende Entschädigungszahlungen stehen, ist derzeit noch völlig offen. Bislang hat kein Unternehmen entsprechende Zahlungen in Aussicht gestellt. Dazu der Berichterstatter der FDP-Bundestagsfraktion, Patrick Kurth: „Ergebnis einer umfassenden und fairen Aufarbeitung können auch Entschädigungszahlungen sein. Solche müssen mit Firmen, die nachweislich von der Zwangsarbeit profitiert haben, vereinbart werden. Als Vorlage können dabei die guten Erfahrungen bei der Entschädigung von NS-Zwangsarbeitern dienen“.

Eine Übersicht zu allen Beiträgen des CSR MAGAZIN Nr. 7 (Juni 2012) finden Sie hier.


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