Autor des Beitrags: Dr. Christoph Schank, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Wirtschaftsethik (IWE) der Universität St. Gallen
Die Unternehmensethik ist ein Teilbereich der Wirtschaftsethik, deren Untersuchungsgegenstand das Wirken von Unternehmen, aber auch anderen wirtschaftlich handelnden Organisationen darstellt. Ihr Gegenstand ist die Verhältnisbestimmung von normativen Ansprüchen an wirtschaftlich handelnde Organisationen und ihrem Streben nach Gewinn(-maximierung). Die Kernfrage lautet daher, wie moralische Normen bei gleichzeitiger Gewinnabsicht wirksam werden können, oder anders ausgedrückt: wie eine gesellschaftlich legitimierte Gewinnerzielung möglich wird.
Die Unternehmensethik weist deutliche Überschneidungen mit dem Konzept der Unternehmensverantwortung, der Corporate Responsibility und des Corporate Citzenships auf.
1. Abgrenzung zur Ordnungs- und Individualethik
Innerhalb der Wirtschaftsethik stellt die Unternehmensethik damit die Mesoebene zwischen der ihr übergeordneten Makroebene und der ihr untergeordneten Mikroebene dar. Während auf der Makroebene (Ordnungsethik) eine Regelsetzung und Regulierung des Wirtschaftens durch die zumeist (über-)staatliche Rahmenordnung erfolgt, setzt sich die Mikroebene (Individualethik) mit dem Handeln von einzelnen Wirtschaftsakteuren als natürliche Personen (Führungskräfte, Mitarbeitende, Konsumierende etc.) auseinander. Zwischen diesen drei Ebenen herrschen dabei Wechselwirkungen vor, da Unternehmen mit ihren institutionalisierten Strukturen und ihrer Organisationskultur sowohl Organisationsmitglieder beeinflussen als auch dieses Gefüge gestalten (Mikroebene). Gleichzeitig sind Unternehmen und andere Organisationen immer in eine Rahmenordnung eingebettet, die Anreize und Grenzen für ihr Handeln setzt. Jedoch kann die übergeordnete Rahmenordnung auch von Akteuren der Mesoebene beeinflusst, bestätigt oder unterlaufen werden (Makroebene).
2. Unternehmen als moralische Akteure
Die Unternehmensethik impliziert eine Moralfähigkeit von organisationalen Kunstgebilden wie Unternehmen, die im Gegensatz zu natürlichen Personen keine klassischen Adressaten einer ethischen Verantwortungszuschreibung sind. Die Konzeption von Organisationen als eigenständige moralische Akteure ist aufgrund einer Reihe von Merkmalen in Analogie zur natürlichen Person denkbar (Joachim Fetzer):
- Organisationen sind weitgehend stabile, identifizierbare und kommunikationsfähige Gebilde, die anhand eines Namens und einer Adresse über verschiedene Kanäle adressiert werden und kommunizieren können.
- Organisationen weisen ein nach außen hin stabiles Erscheinungsbild auf, wecken mit ihrer Tätigkeit eine Erwartungshaltung und zeichnen sich durch eine organisationsindividuelle Reputation aus.
- Organisationen können wie natürliche Personen Verträge eingehen, müssen Steuern entrichten und können rechtlich sanktioniert werden.
- Organisationen weisen Gestaltungsmacht auf und können die Lebensbedingungen Dritter beeinflussen.
- Organisationen haben gerade in der Marktwirtschaft beträchtliche Freiheitsgrade und sind in ihrem Handeln nicht durch externe Parameter fremdbestimmt.
Werden diese Prämissen anerkannt, können Organisationen wie Unternehmen als autonome moralische Akteure akzeptiert werden und Analysegegenstand einer eigenständigen Unternehmensethik sein.
3. Unternehmensethik in der Moralökonomik (Karl Homann)
Karl Homann fokussiert auf die Frage, wie Moral in der Wirtschaft Geltungerlangen kann. Da in seiner Konzeption die Moral in den Spielregeln, d.h. der (über-)staatlichen Rahmenordnung, liegt und die Effizienz in den Spielzügen, d.h. dem Agieren von Unternehmen und anderen Organisationen auf Märkten, zu finden ist, liegt das Hauptaugenmerk seines Ansatzes auf den wirtschaftlichen Institutionen und ihren Anreizen, weniger jedoch auf Unternehmen und Individuen. Die Unternehmensethik umfasst hier zwei Aspekte: Unternehmen sollen individuell Moral bzw. moralische Innovationen verfolgen, wenn sich dadurch ein Effizienzgewinn erwirken lässt (individuelle Selbstbindung im Rahmen einer Wettbewerbsstrategie). Ein Beispiel hierfür wäre die Einführung von nachhaltigen Produkten, die dem Unternehmen neue Marktanteile erschließen oder es eine steigende Rentabilität erzeugen lassen. Ein zweiter Aspekt der Unternehmensethik ist die mit anderen Unternehmen gemeinsam verfolgte (Weiter-)Entwicklung der Rahmenordnung im Falle eines moralischen Regulierungsdefizits (kollektive Selbstbindung im Rahmen einer ordnungspolitischen Strategie). Kollektiv ist diese Form der Selbstbindung deshalb, da von Unternehmen nur dann moralisches Verhalten zu erwarten ist, wenn es ihnen wie im Falle der Wettbewerbsstrategie Gewinn verspricht, oder es zumindest nichts kostet. Ist die Rahmenordnung aber unvollständig und erlaubt etwa Gewinne durch unsittliche Praktiken wie Kinderarbeit oder Umweltzerstörung, müssen die von ihr betroffenen Akteure gemeinsam agieren, da ein besonders moralisches Handeln einzelner oder weniger Unternehmen mit Wettbewerbsnachteilen für diese Pioniere verbunden wäre. Eine kollektive Selbstbindung in einem engen Sinne liegt vor, wenn die Unternehmen die gestaltenden Akteure der Rahmenordnung, wie etwa den Staat, dazu aufrufen, die Defizite in der Rahmenordnung zu beseitigen. Hingegen liegt eine kollektive Selbstbindung im weiteren Sinne vor, wenn Unternehmen zu gemeinsamen Übereinkünften wie Branchenvereinbarungen kommen, um erkannte Missstände zu beseitigen. In diesem Fall wird auch von Soft Law gesprochen, da keine staatlichen sanktionsbewehrten Zwangsnormen vorliegen.
4. Unternehmensethik in der integrativen Wirtschaftsethik (Peter Ulrich)
Peter Ulrich setzt in seinem Verständnis der Unternehmensethik an dem Legitimitätsvorbehalt an, dem jedes wirtschaftliche Gewinnstreben unterliegt. Unternehmensethik wird hier nicht als strategisches Instrument zur (höheren) Gewinnerzielung gedacht, ist jedoch auch nicht schlicht als Korrektiv eines ansonsten ungezügelten Gewinnstrebens zu denken. Die Unternehmensethik nach Peter Ulrich fragt weder danach, wie sich mit einer Unternehmensethik höhere Gewinne erzielen lassen, noch wie diese einmal erzielten Gewinne schlussendlich verteilt werden. Von Bedeutung ist allein die Art der Gewinnerzielung. Dazu wird eine zweistufige Konzeption von Unternehmensethik herangezogen: Die a) erste Stufe der Verantwortung von Unternehmen ist die Geschäftsethik, welche die Suche nach rentablen Wegen legitimen und sozialökonomisch sinnvollen Wirtschaftens innerhalb der gegebenen ordnungspolitischen Rahmenbedingungen umfasst. Hierbei wird von Unternehmen ein selbstverantwortlich begrenztes Gewinnstreben erwartet, d.h. eine kategorische Selbstbindung an den Grundsatz, keine moralischen Rechte anderer Akteure zu verletzen (Legitimitätsprämisse). Es handelt sich hierbei um eine Pflichtenethik für Unternehmen (deontologischer Werteboden). Gleichzeitig sollen Unternehmen jedoch auch ein unternehmensethisch fundiertes Gewinnstreben verfolgen. Darunter wird die Suche nach solchen Geschäftsstrategien verstanden, die Ethik und Erfolg in einem Akt funktionaler Klugheit zusammenführen. Ähnlich wie bei der Wettbewerbsstrategie bei Karl Homann sollen Unternehmen also durchaus nach Produkten und Geschäftsfeldern suchen, die gleichzeitig moralisch und ertragreich sind. Jedoch muss das Unternehmen nach Peter Ulrich im Rahmen seiner Geschäftsethik auch dann moralisch handeln, wenn es sich nicht auszahlt, aber dadurch die Rechte Dritter gewahrt werden. Die b) zweite Stufe der Verantwortung stellt die Republikanische Unternehmensethik dar, in deren Rahmen Unternehmen dazu aufgerufen werden, sich für eine ethisch begründete ordnungspolitische Reform der Rahmenordnung einzusetzen. Solche Reformen werden notwendig, wenn (vermeintlich) systematische Sachzwänge Unternehmen in Dilemmasituationen führen oder gar Anreizstrukturen für unmoralisches Handeln vorliegen. Unternehmen tragen daher eine ordnungspolitische Mitverantwortung, die sie vor dem Hintergrund einer kritischen Öffentlichkeit verhandeln.
5. Kritik
Neben der grundlegenden Frage, ob Unternehmen als korporatistische Akteure überhaupt einer Ethik unterliegen, wird zumeist die Reichweite der Verantwortung oder die grundsätzliche Aufgabe von Unternehmen als kritischer Einwand innerhalb und gegen eine Unternehmensethik herangezogen. Milton Friedman – in seinem klassischen Aufsatz „The Social Responsibility of Business is to Increase its Profits” – und in jüngerer Zeit auch Horst Albach setzen letztendlich (gute) Unternehmensführung mit Unternehmensethik gleich. Die Verfolgung des Gewinnprinzips gehe untrennbar mit dem wirtschaftlichen Vernunftprinzip einher, da Unternehmertum eine gesellschaftlich erwünschte Funktion erfülle indem es in einer Welt knapper Ressourcen und potenziell unbegrenzter Bedürfnisse eine möglichst hohe Effizienz und somit eine hohe Bedürfnisbefriedigung herbeiführe. Eingriffe von außen oder Appelle an eine ethische Unternehmensverantwortung über die Gewinnerzielung hinaus werden in dieser Argumentation als Angriff auf die Freiheit und Autonomie von Unternehmen und ihren Eigentümern oder als systemfremder Eingriff in die wirtschaftlichen Prozesse („Moralpredigt“) gewertet. Sofern Unternehmen aber schlicht ihrer wirtschaftlichen Klugheit folgen und möglichst effizient hohe Gewinne erzielen, ermöglicht das dadurch realisierte Steuereinkommen einen demokratisch legitimierten Einsatz dieser Erträge. Werden Unternehmen aber aus moralischen Erwägungen in ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit beschnitten, stehen der Gesellschaft geringere Mittel für soziale oder ökologische Zielsetzungen zur Verfügung. Auch die häufig mit der Unternehmensethik assoziierte Forderung, Unternehmen sollen aus ihren Ressourcen soziale und ökologische Zielsetzungen für das Gemeinwesen verfolgen, wird angegriffen: Im Gegensatz zum demokratisch legitimierten Staat sind Unternehmen private Akteure, und auch ihr gemeinwohldienliches Wirken unterliegt einem geringeren Kontroll- und Rechtfertigungszwang.
6. Literatur
Albach, H. (2005): Betriebswirtschaftslehre ohne Unternehmensethik! In: Zeitschrift für Betriebswirtschaft, 75/9, S. 809-831.
Fetzer, J. (2004): Die Verantwortung der Unternehmung, Gütersloh.
Friedman, M. (1970): The Social Responsibility of Business Is to Increase Its Profits. The New York Times Magazine, 13. September
Göbel, E. (2006): Unternehmensethik. Grundlagen und praktische Umsetzung, Stuttgart.
Homann, K.; Blome-Drees, F. (1992): Wirtschaftsethik und Unternehmensethik, Tübingen.
Thielemann, U.; Weibler, J. (2007): Betriebswirtschaftslehre ohne Unternehmensethik? Vom Scheitern einer Ethik ohne Moral, in: Zeitschrift für Betriebswirtschaft, 77/2, S. 179-194
Ulrich, P. (2007): Integrative Wirtschaftsethik. Grundlagen einer lebensdienlichen Ökonomie, Bern et al.
7. Links
8. Expertennetzwerk
- Atze, Thomas
- Bolsinger, Prof. Dr. Harald
- Dörr, Dr. Saskia
- Fetzer, Prof. Dr. Joachim
- Hellmann, Eike Bernhard W.
- Priebe, Martin
- Scholz, Prof. (FH) Dr. Markus
- Veldung, Susanne
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