Kiel (csr-news) > Schon im vergangenen Sommer gab es erste Anzeichen der Unzufriedenheit. Die Tierschutzorganisation PROVIEH äußerte öffentlich ihre Kritik an der Initiative Tierwohl, zu deren Mitgründern sie gehört. „Die konstruktiven Ratschläge von PROVIEH finden leider keine Berücksichtigung mehr,“ stellte Udo Hansen, Vorstandmitglied von PROVIEH und Mitglied des Beraterausschusses der Initiative damals verbittert fest. Doch Hansen hielt an der Initiative fest, wollte aus dem Inneren zum Wohl der Tiere weiter mitarbeiten.
Jetzt ist Schluss damit. PROVIEH gab heute seinen Austritt aus der Initiative Tierwohl bekannt. „Wir haben uns diese Entscheidung nicht leicht gemacht“ sagt Hansen. „Wir hatten eine Vision, in die wir sehr viel Engagement, Kraft und reichlich guten Willen gesteckt haben.“ Am Ende konnte und wollten die Tierschützer über die, nach ihrer Einschätzung, zu geringen Kriterien für mehr Tierwohl, nicht hinwegschauen. „Vom ursprünglich erarbeiteten Tierwohlkonzept blieb nach Gründung der Gesellschaft am Ende zu wenig Tierschutz übrig“, begründet die Organisation ihre Entscheidung.
Plötzliche Richtungswechsel kaum nachvollziehbar
Irritiert, aber mit Bedauern reagierte die Initiative Tierwohl auf die Entscheidung von PROVIEH. „Wir hätten uns gewünscht, dass ProVieh weiter aktiv an der Gestaltung der Initiative Tierwohl mitarbeitet und sich nicht aus der Verantwortung für einen machbaren Wandel zieht“, sagt Alexander Hinrichs, Geschäftsführer der Initiative Tierwohl. „Damit würden sie sich hinter die vielen tausend Landwirte stellen, die schon heute mehr Tierwohl in ihren Betrieben umsetzen.“ Vor allem der plötzliche Richtungswechsel ist für Hinrichs kaum nachvollziehbar. „Noch vor kurzem haben wir gemeinsam mit einigen Mitgliedern des Beraterausschusses, darunter auch ein Vorstandsmitglied von ProVieh, die Weiterentwicklung der Initiative erörtert. Dabei ging es u.a. um die Ausgestaltung des Kriterienkatalogs und die strategische Ausrichtung sowie um die Berücksichtigung der Vorschläge von ProVieh.“
Die Wirksamkeit der Tierwohlkriterien zu hinterfragen sei für die Initiative nicht nachvollziehbar. Es sei von Beginn an um eine Umsetzbarkeit für möglichst viele Betriebe gegangen. „Das war auch PROVIEH bekannt“. Doch die Tierschützer zweifeln inzwischen an, dass die Priorität beim Tierwohl liegt. Vielmehr ginge es darum, vielen Betrieben möglichst billig Tierwohl per Audit zu bescheinigen. „So verwundert es nicht, dass die ITW ihr jährlich zur Verfügung stehendes Budget von vielen Millionen Euro für flächendeckendes „Alibi-Tierwohl“ verschwendet“, heißt es in der Begründung der Organisation. Beispielsweise würde der Ringelschwanz als wichtigster Tierwohlindikator bei der ITW aktuell keine Rolle mehr spielen. Die Bereitstellung von Raufutter, ursprünglich als Pflicht geplant, wird nur zur Wahl gestellt. Andere Tierwohlmaßnahmen wie Einstreu, weiche Liegeflächen und Auslauf ins Freie würden voraussichtlich ab 2018 nicht mehr bonitiert. Dasselbe gelte auch für die alternativen Verfahren zur betäubungslosen Ferkelkastration. Insgesamt seien die Grundvoraussetzungen für die Teilnahme an der Initiative auf niedrigstem Niveau festgesetzt worden.
Millionen Euro für flächendeckendes „Alibi-Tierwohl“
Mit rund 85 Millionen Euro pro Jahr trägt die Initiative Tierwohl nach eigenen Angaben dazu bei, dass es in rund 3.200 Betrieben mit 12,9 Mio. Schweinen, 232 Mio. Hähnchen und 8,5 Mio. Puten mehr Tierwohl gibt. Die jüngst veröffentlichten Tierschutzverstöße in einem einzelnen schweinehaltenden Betrieb seien für die Initiative Tierwohl nicht tolerierbar. „Wir haben unmittelbar mit einem Sonderaudit reagiert und den Betrieb ausgeschlossen. Wir nehmen den Vorfall zum Anlass, kurzfristig die Vorgaben und das Kontrollsystem der Initiative Tierwohl zu prüfen und anzupassen“, so Hinrichs.
Erst vor wenigen Wochen ist der Deutsche Tierschutzbund aus der Initiative ausgetreten und hatte ebenfalls deutlich Kritik am System und den Kriterien geübt. Jetzt ist keine weitere Tierschutzorganisation in der Initiative vertreten. Damit dürfte es erstmal schwierig sein, die verlorene Glaubwürdigkeit zurückzugewinnen. Aber Hinrichs zeigt sich offen und will auch weiterhin den Dialog mit Tierschutzorganisationen suchen und aktiv vorantreiben.