Frankreich verbietet seinen Supermärkten, brauchbare Lebensmittel wegzuwerfen. Was sie nicht verkaufen können, sollen sie entweder spenden oder anders verwerten. Auch hierzulande wächst der Widerstand gegen Lebensmittelverschwendung. Die Verbraucher werfen selbst am meisten weg.
Von Jürgen Buscher
Ein seltenes Bild: Abgeordnete aller Parteien in der französischen Nationalversammlung beschlossen gemeinsam ein Gesetz, das die Verschwendung von Lebensmitteln im Großhandel eindämmen soll. Großhändler müssen ihre unverkäuflichen Lebensmittel in Zukunft spenden oder recyceln. Jeder große Lebensmittelmarkt muss hierfür einen Vertrag mit einer Organisation abschließen, die Lebensmittel an Bedürftige verteilt. Zugleich wurde den Märkten verboten, ihre Reste mit Desinfektionsmitteln zu übergießen und sie so ungenießbar zu machen.
Das jetzt beschlossene Gesetz ist Teil eines „Nationalen Pakts gegen Lebensmittelverschwendung“. An erster Stelle steht dabei die Prävention: Der richtige Umgang mit Lebensmitteln und ihr Wert sollen Unterrichtsthema in französischen Schulen werden. Schulkantinen sollen ihre Abfälle reduzieren. Jedes Jahr wird ein Preis für gelungene Maßnahmen gegen Lebensmittelverschwendung verliehen.
Spenden an Bedürftige
Überschüssige Lebensmittel sollen möglichst an Bedürftige gespendet werden. Davon profitieren Organisationen wie die „Restos du Coeur“ (Restaurants der Herzen), die Nahrung an Bedürftige verteilen. Sie begrüßen das neue Gesetz, befürchten aber, in Zukunft mehr Lebensmittel abnehmen zu müssen, als sie lagern können.
Was nicht gespendet werden kann, soll als Tiernahrung, als Kompost oder zur Energiegewinnung aus Biomasse genutzt werden. Die französische Regierung will bis 2025 die Menge der verschwendeten Lebensmittel halbieren. Zurzeit werden pro Franzose 20 bis 30 kg Lebensmittel im Jahr mit einem Wert von 12 bis 20 Millionen Euro verschwendet.
Deutsche verschwenden mehr
Die Deutschen verschwenden sogar noch mehr. 82 kg Lebensmittel pro Kopf und Jahr landen hierzulande im Abfall. „Das ist ein gesellschaftlicher wie ökologischer Skandal“, so Jochen Brühl, Vorsitzender des Bundesverbands Tafel Deutschland. Nach Schätzungen wären zwei Drittel der Lebensmittel noch verwertbar.
Insgesamt werden in der EU jährlich 89 Millionen Tonnen Lebensmittel verschwendet. Die EU hat deshalb 2014 zum „Jahr gegen Lebensmittelverschwendung“ erklärt. Eine europäische Richtlinie zur Reduzierung von Lebensmittelabfällen scheitert aber bisher an unterschiedlichen Definitionen und Zählmethoden.
Nach Angaben der EU verursachen die Verbraucher 37 Millionen Tonnen und damit gut 40% der Verschwendung. Für weitere 39% ist die Lebensmittelindustrie verantwortlich, 14% entfallen auf Großverbraucher (Gastronomie, Schul- und Betriebskantinen) und 5% auf den Einzelhandel.
Der WWF kommt in einer aktuellen Studie auf noch höhere Zahlen. Demnach werden in Europa über 100 Tonnen Lebensmittel im Jahr weggeworfen. Weltweit gehen sogar 1,3 Milliarden Tonnen Lebensmittel verloren, das sind 30 bis 40% aller verfügbaren Nahrungsmittel. Für Deutschland kommt der WWF auf 18 Millionen Tonnen, die entlang der Lieferkette verloren gehen. Am größten ist der Verlust bei Getreideprodukten sowie bei Obst und Gemüse.
Vermeidbare Klimaschäden
Würden die in Deutschland verschwendeten Lebensmittel gar nicht produziert, könnten damit 2,6 Millionen Hektar Agrarfläche eingespart werden. Allein dadurch würden 26 Millionen Tonnen CO² weniger freigesetzt. Durch Transport und Verarbeitung der nicht konsumierten Lebensmittel fallen weitere 22 Millionen Tonnen CO² an. Weltweit werden durch verschwendete Lebensmittel mehr als 3,3 Milliarden Tonnen Treibhausgase emittiert.
Der WWF betont aber, dass die Datenlage zu diesem Thema sehr dünn ist und Forscher überwiegend auf Schätzungen angewiesen sind. Dasselbe gilt für die Menge an Lebensmitteln, die nicht den im Handel geltenden Normen entsprechen und deshalb als unverkäuflich gelten. In der Landwirtschaft werden solche Produkte meist direkt als Tierfutter oder Dünger verwertet. „Das brauchen wir auch alles“, so Michael Lohse, Pressesprecher des Deutschen Bauernverbands. „Sonst müssten wir mehr Dünger kaufen.“ So genutzte Lebensmittel seien darum nicht verschwendet.
Der Verlust wertvoller Ware schadet den Unternehmen. Im Juni einigten sich die im Konsumgüterforum CGF zusammengeschlossenen führenden Lebensmittel- und Getränkekonzerne, ihren Nahrungsabfall von 2016 bis 2025 um die Hälfte zu reduzieren. Dem CGF gehören 400 Unternehmen aus Einzelhandel und Lebensmittelindustrie an. Darunter sind viele Global Player wie Nestle, Unilever und Coca Cola.
Tafeln erhalten Zulauf
Seit über 20 Jahren kämpfen die Tafeln in Deutschland gegen Lebensmittelverschwendung. Sie vergeben ehrenamtlich Lebensmittel gratis oder gegen einen kleinen Kostenbeitrag an Bedürftige. Heute gibt es bundesweit gut 920 Tafeln, die in über 3000 Läden und Ausgabestellen etwa 1,5 Millionen Bedürftige mit Lebensmitteln versorgen. Mehr als die Hälfte der Tafeln gehören zu sozialen Trägern wie Caritas, AWO und Diakonie, die anderen sind als Vereine organisiert. Die Zahl ihrer Nutzer wächst, besonders unter Kindern, Jugendlichen und Senioren. Alleinerziehende und Migranten nutzen besonders häufig die Angebote der Tafeln.
Obwohl rund 60.000 ehrenamtliche Helfer für die Tafeln arbeiten und immer mehr Ausgabestellen entstehen, deckt das Angebot an Lebensmitteln nie den Bedarf der Empfänger. Die Tafeln können den Speiseplan ihrer Nutzer nur ergänzen und zugleich für eine finanzielle Entlastung sorgen. Darüber hinaus bieten viele Tafeln Kochkurse an und manche geben Kochbücher heraus.
Alternative Foodsharing
Der Verein Foodsharing organisiert den Tausch und die Verteilung von Lebensmitteln größtenteils über das Internet. Anders als die Tafeln fragt er nicht nach der Bedürftigkeit seiner Nutzer. Der Regisseur Valentin Thurn hatte sich in seinem Dokumentarfilm „Taste the waste“ mit Lebensmittelverschwendung beschäftigt. Daraufhin gründete er 2012 den Verein Foodsharing. 2014 schloss sich der Verein mit der von Raphael Fellmer gegründeten Initiative der LebensmittelretterInnen zusammen. Inzwischen hat die Website über 90.000 Nutzer aus dem deutschsprachigen Raum. Jeder kann sich dort anmelden und eigene Lebensmittel anbieten.
Eine Karte zeigt die digitalen Essenskörbe sowie die über 300 Sammel- und Abholstellen des Vereins. 8.000 ehrenamtliche Foodsaver retten und verteilen Lebensmittel. Der Verein kooperiert mit 1.500 Betrieben, täglich werden 1.000-mal Lebensmittel abgeholt. 80.000 Menschen beziehen regelmäßig Lebensmittel von Foodsavern.
Ein Teil der eingesammelten Lebensmittel geht an karitative Organisationen wie die Tafeln. Foodsharing hat im April einen Kooperationsvertrag mit dem Bundesverband Deutsche Tafel geschlossen. „Wir ergänzen uns, wo wir können“, so Raphael Fellmer. Die Foodsharing-Software und das Konzept sollen noch in diesem Jahr Open Source zur Verfügung gestellt werden, so dass andere Initiativen weltweit sie nutzen können. „Das besondere an Foodsharing ist, dass wir versuchen, so viel wie möglich zu bewegen und dabei so unbürokratisch und geldfrei wie möglich zu agieren“, so Fellmer.
Zu gut für die Tonne
Initiativen wie die Tafeln und die Foodsaver sammeln vor allem im Handel und in Betrieben Lebensmittel ein. Den größten Anteil an der Verschwendung von Lebensmitteln haben aber allen Studien zufolge die Verbraucher. Die Gründe sind vielfältig: Planlose Einkäufe, falsche Lagerung etc.. Oft wird das Mindesthaltbarkeitsdatum missverstanden und Lebensmittel werden nach dessen Ablauf unnötigerweise weggeworfen.
Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) will mit der Informationskampagne „Zu gut für die Tonne“ das Bewusstsein für den Wert von Lebensmitteln stärken. Für Ideen und Projekte gegen Lebensmittelverschwendung wird ab 2016 ein Preis vergeben. Eine App liefert unter anderem Rezepte und einen Einkaufsplaner. Die Webseite www.zugutfuerdietonne.de bietet viele Informationen über Lebensmittelverschwendung und Tipps, wie man sie vermeidet. Im Rahmen der Aktion „Restlos genießen“ sollen Restaurants ihren Gästen anbieten, Reste mit nach Haus zu nehmen. Das BMEL und das Infoportal Greentable bieten „Beste-Reste-Boxen“ dafür an.
Restlos genießen
Unter demselben Motto „restlos genießen“ läuft in Österreich und der Schweiz eine Aktion zur Verwertung von Essens- und Haushaltsresten. In Oberösterreich veranstaltet Umwelt-Landesrat (Landesminister) Rudi Anschober Kochshows unter dem Motto „Kochtopf statt Mistkübel“. Darin verarbeitet er unverkäufliche, aber essbare Ware aus dem Handel zu Gerichten, die gegen eine Spende an die Zuschauer verteilt werden. Außerdem führt er gemeinsam mit dem Handel und Großküchen Projekte zur Eindämmung der Lebensmittelverschwendung durch.
Braucht Deutschland ein Gesetz nach französischem Vorbild? Der Bundesverband Deutsche Tafel sieht – ebenso wie die Bundesregierung – keinen Bedarf. „In Deutschland wird ein solches Gesetz aus unserer Sicht nicht benötigt“, so Brühl. „Es funktioniert auch ohne Gesetz.“
Wichtig ist vor allem die Aufklärung der Verbraucher. Daneben sind wissenschaftliche Studien nötig, um zu erfahren, wo in der Lieferkette wie viele Lebensmittel warum verloren gehen. Das Ziel, die Lebensmittelverschwendung bis 2025 zu halbieren, sollte für ganz Europa gelten. Damit Essen in Zukunft dahin kommt, wo es hingehört.
Jürgen Buscher
ist Volkswirt und freier Journalist. Er lebt zurzeit in Osnabrück.
juergen.buscher@csr-magazin.net