Berlin (csr-news) > „Die Machtverschiebung im Agrar- und Lebensmittelsektor ist mittlerweile zu eindeutig und ihre Konsequenzen zu erheblich, als dass sie ignoriert werden könnte“, schreibt der ehemalige Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen für das Recht auf Nahrung, Olivier De Schutter, in der aktuellen Studie des Fair Trade Advocacy Office. Die politische Stimme der internationalen Fair-Handelsbewegung in Brüssel hat sich darin mit Machtkonzentration und unlauteren Handelspraktiken in landwirtschaftlichen Wertschöpfungsketten beschäftigt. Es geht um die Frage: Wer hat die Macht im Lebensmittelsektor?
Das Wachstum der Lebensmittelketten in den vergangenen Jahrzehnten und die zunehmende Konsolidierung ganzer Wertschöpfungsketten haben zu einem grundsätzlich neuen Beschaffungswesen geführt. Es sind nicht mehr die Produzenten die für ihre Waren einen Abnehmer suchen, sondern Käufer fordern die Waren, von denen sie glauben, dass der Markt sie benötigt. Jene Unternehmen, die die Wertschöpfungsketten kontrollieren, entscheiden, welche Waren angeboten werden, und gestalten entsprechend ihre Lieferketten. Das führt zu wenigen Gewinnern und zahlreichen Verlierern, vor allem bei Kleinerzeugern. Die Studie liefert einen detaillierten Einblick in die Entwicklungen und Marktgefüge landwirtschaftlicher Wertschöpfungsketten. „Eine Handvoll Konzerne fungiert immer häufiger als „gatekeeper“ am Zugang zu hochwertigen Märkten reicher Länder, was es für Kleinbauern zusehends schwieriger macht, Teil dieser Wertschöpfungsketten zu werden“, schreibt Olivier De Schutter.
Machtkonzentration verhindert fairen Wettbewerb
Dabei sind längst nicht nur Kleinerzeuger im globalen Süden betroffen, sondern die Bedingungen haben sich auch für Betriebe in Europa verschlechtert. „Speziell für landwirtschaftliche Produktionsketten seien Mindeststandards für eine gerechte Globalisierung überfällig“, so Dieter Overath, Geschäftsführer von TransFair. Overath verweist auf die Ergebnisse der aktuellen Studie: „Die extreme Machtkonzentration verhindert Wettbewerb und damit faire Preise und Bedingungen. Darunter leiden insbesondere Kleinbauernkooperativen, deren Existenzgrundlage von ihren Exporten abhängt.“ Overath sieht daher die Regierungen wichtiger Importländer, vor allem der G7, in der Bringschuld: „Wenn soziale Mindeststandards kein Lippenbekenntnis bleiben sollen, müssen die G7 Transparenz in Lieferketten sicherstellen und sich für existenzsichernde Einkommen und Löhne einsetzen.“
Quelle: Studie „Who’s got the power? Tackling imbalances in agricultural supply chains
Wenige Konzerne kontrollieren den Markt
Misereor-Geschäftsführer Thomas Antkowiak weist auf menschenunwürdige Arbeitsbedingungen in Lieferketten hin. „Im Textilsektor hat erst das Unglück der Textilfabrik Rana Plaza in Bangladesch dazu geführt, dass Politik und Medien aufgewacht sind. Menschenrechtsverletzungen und unhaltbare Lebens- und Arbeitsbedingungen sind aber genauso auf Zuckerrohrfeldern auf den Philippinen und bei Kakaobauern in Nigeria, Kamerun und der Elfenbeinküste bittere Realität.“ Wie die Studie zeigt, kontrollieren beispielsweise nur drei Konzerne die Hälfte der globalen Kakao-Verarbeitung und fünf weitere Konzerne den Schokoladenmarkt. Alle stammen aus den G7-Ländern oder der Schweiz. „Diese Konzerne sind in der Pflicht, durch sorgfältige Prüfung dazu beizutragen, dass es in ihren Zulieferketten nicht zu Menschenrechtsverletzungen kommt. Dazu brauchen wir in den G7 Ländern gesetzliche Regelungen. Hier ist auch die Bundesregierung gefordert“, so Antkowiak.
Keine wettbewerbsrechtlichen Werkzeuge
Die massive Machtkonzentration in landwirtschaftlichen Wertschöpfungsketten sei nicht zufällig, sondern auf vielen unterschiedlichen Stufen weit verbreitet. Vier unterschiedliche Kontrollstrukturen der Großabnehmer hat die Studie ausgemacht, die vertikale Integration, strukturelle Abhängigkeitsverhältnisse, Beziehungsnetzwerke und modulare Wertschöpfungsketten. „Anhand dieser Strukturen haben Käufer die anderen Akteure der Kette über Zulieferer bis hin zur Produktion im Griff, weit entfernt vom Modell eines vollständigen Wettbewerbs des Marktes“, heißt es in der Studie. Und diese Nachfragemacht, bzw. deren Missbrauch, führt nicht selten zu unlauteren Handelspraktiken sowohl im Handel als auch entlang der gesamten landwirtschaftlichen Wertschöpfungskette. Bislang sei die europäische Wettbewerbspolitik nicht dazu in der Lage, den daraus resultierenden Problemen angemessen zu begegnen. Vorhandene rechtliche Instrumente lägen nur fragmentarisch vor, ein kohärentes wettbewerbsrechtliches Instrumentarium existiert nicht. Als positives Beispiel für die Einhaltung von Sozial- und Umweltstandards verweist die Studie auf den Fairen Handel. „Die Prinzipien des Fairen Handels – langfristige Verträge, kostendeckende Preise und transparente Handelsbedingungen – sollten Grundlage des gesamten Handels sein“, fordert daher Robin Roth, Vorstandsvorsitzender des Forums Fairer Handel. Die Hauptakteure des fairen Handels in Deutschland (Forum Fairer Handel e.V., Gepa, Misereor, TransFair e.V. und der Weltladen-Dachverband e.V.) fordern deshalb die Bundesregierung auf, soziale Mindeststandards in globalen Lieferketten auf dem G7-Gipfel durchzusetzen.
Diese Vorschläge zur Regulierung der Nachfragemacht enthält die Studie:
- Förderung eines ausgeglicheneren Machtverhältnisses in landwirtschaftlichen Wertschöpfungsketten
- Verbesserung der Transparenz landwirtschaftlicher Wertschöpfungsketten
- Erneuerung des Regelwerks der europäischen Wettbewerbspolitik
- Einführung strengerer Durchsetzungsmechanismen und die Beendigung unlauterer Handelspraktiken
- Einführung und Umsetzung fairer Handelspraktiken
Zum Download:
- englische Originalfassung der Studie „Who’s got the power? Tackling imbalances in agricultural supply chains
- Deutsche Zusammenfassung “Wer hat die Macht?”