Bonn (csr-news) > Was macht gutes Leben aus? Diese Frage wird immer dann gestellt, wenn es um Alternativen für die Wohlstandsmessung geht. Bislang wird noch immer am Bruttoinlandsprodukt BIP als zentralem Indikator festgehalten. Doch daneben haben sich weitere Ansätze entwickelt, die ein breiteres Verständnis vom Wohlstand einer Gesellschaft haben. Vor dem Hintergrund der Verhandlungen zur Post-2015-Agenda für eine nachhaltige Entwicklung haben die zivilgesellschaftlichen Organisationen Global Policy Forum und terres des hommes den Report „Gut leben global“ veröffentlicht und darin das breite Spektrum alternativer Ansätze der Wohlstands- und Armutsmessung vorgestellt.
Im September 2015 wollen die Vereinten Nationen die Post-2015-Agenda für nachhaltige Entwicklung beschließen. Einen zentralen Baustein dieser Agenda bilden zukünftige Ziele für nachhaltige Entwicklung, die SDGs. Sie sollen universelle Gültigkeit besitzen und sind damit auch für Deutschland relevant. Zu den wesentlichen Fragen gehört dabei, mit welchen Indikatoren sich Wohlstand, Armut und nachhaltige Entwicklung am besten messen lassen. Neu ist die Suche nach der richtigen Messung für Lebensqualität nicht. Aber sie hat an Bedeutung gewonnen, zu oft wird das BIP als nicht ausreichende Größe dafür betrachtet. Aktuell hat die Bundesregierung wieder einen Bürgerdialog gestartet, in dem genau diese Fragen erörtert werden sollen. In dem Report „Gut leben global“ betrachten die Autoren die Alternativen zum BIP und wie diese einen Beitrag für Post-2015-Nachhaltigkeitsziele liefern können. „Im Post-2015-Prozess wird eine wesentliche Herausforderung darin bestehen, die SDGs durch ein Set aussagekräftiger Zielvorgaben und Indikatoren zu ergänzen“, schreiben die Autoren. „Dabei muss das Rad nicht neu erfunden werden. Vielmehr kann auf den Erfahrungen der diversen Initiativen aufgebaut werden, die sich mit alternativen Armuts-, Wohlstands- und Fortschrittsmaßen befassen“. Damit würde sich auch die Chance eröffnen, die häufig isoliert stattfindenden Diskussionen unter dem Dach der Vereinten Nationen zusammenzuführen.
Das BIP wird meist vor allem als ein Wachstumsindikator wahrgenommen und genau daran entzürnt sich auch die Kritik. Zu ungenau würden beispielsweise Leistungen jenseits des Produktionskapitals erfasst, obwohl diese in modernen Volkswirtschaften immer stärker verbreitet sind. Tätigkeiten jenseits der offiziellen Waren- und Dienstleistungsströme, wie etwa Freiwilligenarbeit würden gar nicht erfasst, obwohl deren Wert für eine Volkswirtschaft ohne Zweifel. Und die Wohlstands mindernden Aktivitäten also beispielsweise die Verschmutzung der Umwelt werden nur unzureichend berücksichtigt. Im Gegenzug erfährt auch der Wert einer intakten Umwelt keine ausreichende Beachtung. All diese Aspekte werden in Alternativen mehr oder weniger umfangreich berücksichtigt. Manche Ansätze widmen sich dabei nur einzelnen Dimensionen der Nachhaltigkeit, andere versuchen all diese Aspekte in einem einzigen Index abzubilden, wie beispielsweise der ökologische Fußabdruck oder der Nationale Wohlfahrtsindex. Dann gibt es auch Ansätze, die unterschiedliche Indikatorensets gleichberechtigt nebeneinanderstehen lassen. „Sie gehen auf diese Weise methodischen Problemen aus dem Weg, wie etwa der wechselseitigen Abhängigkeit einzelner Dimensionen oder der Frage der richtigen Gewichtung verschiedener Teilindikatoren“, schreiben die Autoren. Trotz aller Vor- und Nachteile der einzelnen Ansätze, sie haben Gemeinsamkeiten um den gesellschaftlichen Wohlstand und eine nachhaltige Entwicklung zu bewerten, von denen die Überwindung der Schwächen des BIP-Ansatzes als Erstes zu nennen ist. Geeignete Indikatoren sollten aber auch die drei klassischen Dimensionen der Nachhaltigkeit umfassen und sie sollten gesellschaftliche Ungleichgewichte berücksichtigen. Zudem sollten sie eine Zukunftsperspektive haben und nicht nur die Bedürfnisse der gegenwärtigen Generationen berücksichtigen. Das Ziel muss es sein, nicht alles unter ökonomischen Gesichtspunkten zu betrachten. Vielmehr geht es darum, die bestehenden ökonomischen Ansätze um nicht-ökonomische Aspekte zu ergänzen. Außerdem geht es um einen Blick über die eigenen Landesgrenzen hinaus. „Die Verantwortlichkeit der eigenen Gesellschaft für das globale Wohlergehen sollte ebenso einbezogen werden, wie die Auswirkungen globaler Phänomene auf die eigene Situation“, schreiben die Autoren. Sind die Voraussetzungen erfüllt, dann können Systeme zur Messung des gesellschaftlichen Wohlstands und nachhaltiger Entwicklung ein wichtiges Instrument politischer Steuerung sein. Die Diskussionen und Verhandlungen in den nächsten Monaten werden zeigen, in welchem Umfang es gelingt, diese Aspekte des gesellschaftlichen Wohlbefindens in den globalen Nachhaltigkeitszielen zu berücksichtigen. Erklärtes Ziel ist es, das BIP zumindest um einzelne Aspekte zu ergänzen.
Der Report „Gut leben global“ bietet eine gute Grundlage, um sich mit den unterschiedlichen Ansätzen zu befassen. Auf 60 Seiten werden alternative Formen der Armutsmessung vorgestellt, wie etwa der multidimensionale Armutsindex MPI, der Armut weiter fasst, als nur unter einer bestimmten Einkommensgrenze zu liegen. Es werden Konzepte zur Vermessung der Natur vorstellt, zu denen beispielsweise auch der Ansatz des ökologischen Fußabdrucks zählt. Zudem präsentiert der Report einige Ansätze zur Messung der Nachhaltigkeit einer Gesellschaft, beispielsweise den Better Life Index der OECD. Darüber hinaus behandelt ein Kapital nationale Ansätze wie den Wohlstandsindikatorensatz der Enquete-Kommission „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität“. Der zweite Teil widmet sich der Diskussion über die Post-2015-Nachhaltigkeitsziele. Er erklärt, worum es dabei geht, informiert über den Stand der Debatte in den Vereinten Nationen und skizziert Elemente eines möglichen Sets von Nachhaltigkeitszielen für Deutschland. Wesentliche Bestandteile sind dabei Ziele und Indikatoren zur internationalen Verantwortung Deutschlands und seinem Beitrag zur globalen Nachhaltigkeit.