Das Konzept Creating Shared Value (CSV) gilt als Basis für die nächste Innovationswelle und fußt auf der Idee, gesellschaftliche und wirtschaftliche Interessen als gemeinsame Grundlage von Management zu verbinden. Die Väter von CSV, Michael Porter und Mark Kramer, wollen mit ihrer non-profit Beratungsfirma FSG Social Impact Consultants und ihren Kunden nicht weniger als den Kapitalismus revolutionieren.
Von Tong-Jin Smith
Den Stein ins Rollen brachten Michael Porter und Mark Kramer mit einem Artikel, der im Dezember 2006 im „Harvard Business Review“ erschien. Darin argumentierten die Gründer von FSG Social Impact Consultants, dass sich Unternehmen von der Kurzfristigkeit, von Quartalsberichten und der Orientierung am reinen Shareholder Value verabschieden müssen, wenn sie langfristig erfolgreich sein wollen. Vielmehr sollten sie gesellschaftliche Interessen ins Zentrum ihres unternehmerischen Handelns stellen und ihren Profit nicht auf Kosten von Gesellschaft und Umwelt erwirtschaften, sondern durch die Lösung sozialer Probleme und zugunsten aller eine gemeinsame Wertschöpfung erzielen. Auf Englisch: Creating Shared Value (CSV).
Indem ein Unternehmen seine Strategie auf die Verbindung zwischen Wirtschaft und Gesellschaft einstellt, nutzt es seine Ressourcen und Expertise, um zu wachsen und gleichzeitig einen Beitrag zur gesellschaftlichen Wertschöpfung zu leisten. Dafür kann es entweder seine Produkte und Märkte neu konzipieren, die Produktivität in seiner Wertschöpfungskette neu konfigurieren oder operative Investitionen tätigen, wobei der Return on Investment mittel- und langfristig angelegt ist.
Nicht neu, sondern komplizierter?
Auch wenn „doing well by doing good“ keineswegs eine neue Erkenntnis ist, haben Porter und Kramer der Idee einen Namen gegeben und damit vor allem einen akademischen Diskurs ausgelöst. Kritiker werfen ihnen vor, mit ihren Veröffentlichungen nur für ihre Unternehmensberatung zu werben und den Kapitalismus nicht wirklich neu zu erfinden. Denn schon Adam Smith und die Ökonomen des frühen 19. Jahrhunderts formulierten „Glück“ als das Ziel jeglichen wirtschaftlichen Handels. Für sie war die Anhäufung von Reichtum kein Selbstzweck, sondern Teil einer Unternehmensstrategie, die von Moral und sozialer Verantwortung geprägt war. Auch biete CSV gegenüber gängigen CSR-Theorien nichts Neues, wie Unternehmenscoach Natalie Junge formuliert: „Platt gesagt, ist CSR die Rechtfertigung und Basis, während CSV ein Managementansatz ist. Letztendlich ist CSV keine Alternative zu CSR, sondern ein Wettbewerbsinstrument.“
Besonders kritisch sieht Antonio Vives, Professor in Stanford, die Idee von CSV. Ihre Implementierung sei schwieriger und restriktiver als die von CSR, weil alle Aktivitäten eines Unternehmens gleichzeitig eine wirtschaftliche und soziale Wertschöpfung erzielen sollen. Dagegen spreche sich das existierende CSR-Paradigma für das Teilen erwirtschafteter Werte aus. Es verlange soziale und wirtschaftliche Wertschöpfung, erkenne aber an, dass nicht alle Aktivitäten eines Unternehmens beides gleichzeitig schafft. „Alle Unternehmen müssen ihre Strategie, inklusive der CSR, an den Zeitgeist und an ihre Stakeholder anpassen“, so Vives. „Manchmal erzeugen sie nur wirtschaftliche Werte, manchmal nur soziale, manchmal beides. Dabei unterscheiden sich die Strategien und Möglichkeiten von KMU sehr von denen multinationaler Konzerne sowie von Unternehmen, die in Entwicklungs- oder Schwellenländern operieren, wo die Erwartungen und Bedürfnisse der Gesellschaft ganz andere sind. Am Ende müssen Unternehmen Verantwortung für ihre Auswirkungen auf die Gesellschaft übernehmen. Das Wie ist Teil der individuellen Strategie.“
Andererseits stehen die Väter von CSV nicht allein da. “Es gibt eine Art Sehnsucht nach Strategien, die gesellschaftliche Verantwortung in den Mittelpunkt unternehmerischen Handelns stellen“, sagt Natalie Junge. So argumentiert etwa Constance Bagley von der Yale Universität, dass Unternehmenslenker rechtlich verpflichtet sind, im Interesse ihres Unternehmens zu handeln. Was keinesfalls eine möglichste hohe Dividende für Aktionäre bedeute – ohne Rücksicht auf die Auswirkungen, die ein solches Wirtschaften auf Arbeitnehmer, Kunden, Lieferanten, die Umwelt und die Gesellschaft haben kann.
Innovative, nachhaltige Lösungen finden
„Unser derzeitiges Paradigma für die Rolle von Unternehmen innerhalb der Gesellschaft funktioniert nicht“, sagt Valerie Bockstette, Direktorin der gemeinnützigen-Beratungsgesellschaft FSG in Genf. „Wir sind schon fast 10 Milliarden Menschen, wir überkonsumieren unsere natürlichen Ressourcen, Gesundheits- und Bildungssysteme sind überlastet – auch in der entwickelten Welt -, die Arbeitslosigkeit nimmt zu. Die Liste lässt sich unendlich weiterführen. Andererseits nutzen Unternehmen nur wenige Wettbewerbsmechanismen: Kostensenkung, Standortwechsel, Downsizing, langfristige Ziele werden zugunsten kurzfristiger Profite geopfert und so weiter. Dieses Modell funktioniert nicht. Wir brauchen ein neues, das relevante gesellschaftliche Anliegen ins Zentrum unternehmerischer Wertschöpfung stellt.“ Möglich sei das, wenn ein Unternehmen die gesellschaftlichen Bedürfnisse erkennt und nutzt, die mit seinem langfristigen Wettbewerbsvorteil verbunden sind. Es könne – ganz kapitalistisch – Innovationen hervorbringen und nachhaltige Lösungen finden. „Das funktioniert“, sagt Bockstette. „CSV funktioniert, weil es die unternehmerische Wertschöpfung neu definiert.“
Dabei betont sie, dass unternehmerische Verantwortung für die Gesellschaft nicht neu, sondern schon lange Teil der Realität sei, egal ob in Form philanthropischer Arbeit oder als CSR. Der große Unterschied zwischen CSR und CSV sei aber die Mentalität, die Art und Weise, in der soziale Verantwortung wahrgenommen wird. „Traditionell ist unternehmerisches Engagement in der Gesellschaft eine Art Tauschhandel“, so Bockstette. Demnach engagieren sich Unternehmen sozial und geben einen Teil ihres Profits an die Gesellschaft zurück, um ihren guten Ruf zu stärken oder weil es “richtig“ ist. So gesehen ist Engagement für Gesellschaft und Umwelt ein Kostenfaktor für Unternehmen.
Unternehmerische Strategie als Antrieb
„Shared Value ist anders“, erläutert Bockstette. „Hier geht es nicht um einen Tauschhandel, sondern um einen Wettbewerbsvorteil, um Ertragssteigerung, Kostensenkung und die Verbesserung von Wachstumschancen. Der Antrieb ist nicht Reputation, sondern unternehmerische Strategie. Das Engagement wird nicht als kostenintensive Umverteilung gesehen, sondern als Investment mit Ertragserwartung. Insofern setzt hier keine CSR-Abteilung Projekte um, die den Erwartungen der Stakeholder entsprechen oder eine gute Pressemitteilung abgeben, sondern ein komplettes Unternehmen handelt innovativ und nachhaltig, um gesellschaftlichen Herausforderungen zu begegnen.“
So wie BMW, das sich vom Automobilhersteller zum Anbieter nachhaltiger Mobilität wandelt, oder Siemens, zu dessen Kerngeschäft es gehört, Lösungen zu finden – von Urbanisierung bis Klimawandel. „Die Mentalität von Shared Value ist bei vielen deutschen Unternehmen schon lange Teil ihrer DNA“, sagt Bockstette. „Auch wenn sie eine andere Terminologie verwenden, sind viele durch die Lösung gesellschaftlicher Kernprobleme wirtschaftlich erfolgreich.“
Eine Verbindung zwischen wirtschaftlichem Erfolg und gesellschaftlichem Nutzen schafft auch Nestlé. Der Konzern zahlt den Kakaobauern an der Elfenbeinküste, mit denen er arbeiten, nicht einfach ein paar Euro mehr pro Kilo für ihre Ernte, sondern engagieren sich vor Ort, damit die Bauern ihre Erträge und somit ihr Einkommen nachhaltig steigern können.
„Kritiker mögen behaupten, dass die Bauern von uns abhängig sind, aber dem ist nicht so“, erläutert Achim Drewes, Public Affairs Manager bei Nestlé. Es sei eher so, dass sie sich von den Kleinhändlern befreien können. Möglich machen das neue Pflanzen von Nestlé sowie eine Professionalisierung der Bauern durch Schulungen zu Anbaumethoden, Schattenpflanzen, den Umgang mit Unkraut und Schädlingen. Lieferantentreue erziele der Lebensmittelriese dagegen mit Qualitätsprämien.
Mangelnde Transparenz in der Lieferkette
„Der Ausgangspunkt für uns war die mangelnde Transparenz in der Lieferkette“, erläutert Drewes. „Der Kakaoanbau in Westafrika ist eng verknüpft mit sozialen Problemen wie Kinderarbeit, Migration und Armut. Auch gibt es eine ganze Reihe von Zwischenhändlern, die den Kleinbauern die Kakaobohnen abkaufen und anschließend meist unsachgemäß lagern und weiterverarbeiten. Da wir aber jetzt und in Zukunft hochwertigen Kakao für unsere Schokolade benötigen, haben wir beschlossen, 2009 den Cocoa Plan zu starten.“ Dieser beinhalte für zunächst zehn Jahre eine Investition von rund 80 Millionen Euro in Pflanzenforschung, Schulungen und Prämien für die Bauern, Bereitstellung von leistungsfähigen Kakaopflanzen und den Aufbau einer transparenten Lieferkette vom Bauern bis ins Schokoladenwerk.
Als begleitende Maßnahme unterstützt Nestlé seine Partner-Kooperativen beim Bau von Brunnen und Schulen. „Ganz im Sinne einer langfristigen Partnerschaft“, so Drewes. Dafür nutzt das Unternehmen seine langjährige Erfahrung aus dem Kaffeeanbau und seine Expertise in konventioneller Agrartechnik, sowie lokales Wissen aus dem 2009 eingerichteten Forschungszentrum in Abidjan und von NGOs. Im Ergebnis hat Nestlé eine zuverlässige, nachhaltige Quelle für Kakao, während die Kleinbauern ihren Lebensstandard heben und ihre Kinder statt in die Plantagen zur Schule schicken können. Eine Win-Win-Situation.
Ein anderes Beispiel bietet der Pharmakonzern Bayer: Die Anzahl der tschechischen Jugendlichen, die sich für MINT-Fächer interessiert, ist landesweit drastisch zurückgegangen – ein Problem für das Unternehmen. Woher soll die nächste Generation von Wissenschaftlern und Ingenieuren kommen? Wer wird in 20 Jahren für Bayer in Tschechien arbeiten? Anstatt zu lamentieren, machte man sich auf die Suche nach der Ursache des Problems. Am Ende stellte sich heraus, dass es weder an den Lehrern noch an der Anzahl der angebotenen Kurse lag, sondern am langweiligen Unterrichtsmaterial. Die Lösung lautet also neues, spannendes Material zu erstellen. Ein Prozess, an dem sich Bayer aktiv beteiligt. „Für Bayer ist das eine Investition in die Zukunft“, sagt Valerie Bockstette. Anders gesagt: CSV ist CSR als praktische Unternehmensstrategie.