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Lebensmittelindustrie: Eine Branche wehrt sich -aktualisiert-

Die Ernährungsindustrie ist mit einem Umsatz von mehr als 163 Milliarden Euro und rund 550.000 Beschäftigten der viertgrößte Industriezweig in Deutschland. Immer öfter aber gerät die Branche durch Skandale in die Kritik und ist inzwischen unter Dauerbeschuss von Organisationen wie Foodwatch. Nach jahrelanger Vogel-Strauß-Politik will man sich nun mit einer gemeinsamen PR-Offensive wehren.

Köln (csr-news) > Die Ernährungsindustrie ist mit einem Umsatz von mehr als 163 Milliarden Euro und rund 550.000 Beschäftigten der viertgrößte Industriezweig in Deutschland. Immer öfter aber gerät die Branche durch Skandale in die Kritik und ist inzwischen unter Dauerbeschuss von Organisationen wie Foodwatch. Nach jahrelanger Vogel-Strauß-Politik will man sich nun mit einer gemeinsamen PR-Offensive wehren.

„79% der Verbraucher sind der Meinung, dass die Lebensmittel in Deutschland gut bis sehr gut sind“, schreibt die Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie in ihrem aktuellen Jahresbericht. „Doch schaut man auf die Image- und Vertrauenswerte der Branche – so können die Ergebnisse nicht zufriedenstellen. Die kritische Berichterstattung über Lebensmittel in den Medien, insbesondere über industriell hergestellte Produkte, hinterlässt negative Spuren im Meinungsbild der Deutschen“. Die Branche ist aufgeschreckt und genervt von der ständigen Kritik an ihren Produkten, zu Unrecht fühlt sie sich verurteilt. Dabei scheint in der Branche oftmals das Prinzip zu gelten, was rechtlich erlaubt ist, ist schon in Ordnung. Mit dieser Haltung wird Kritikern geradezu in die Hände gespielt.

Erst in dieser Woche hat Foodwatch den Negativpreis „Goldener Windbeutel 2012“ an den Babynahrungshersteller Hipp verliehen. An der Wahl zur dreistesten Werbelüge des Jahres haben sich, nach Angaben von Foodwatch, mehr als 130.000 Verbraucher beteiligt. Hipp wird vorgeworfen, entgegen allen Ernährungsempfehlungen, extrem zuckerhaltige Früchtetees für Kleinkinder zu vertreiben. „Hipp steht mit seinem Namen auch für Verbrauchertäuschung und Umsatz ohne Rücksicht auf die Ernährungsbedürfnisse kleiner Kinder“, erklärte Oliver Huizinga von Foodwatch, bei der Preisverleihung am Firmensitz von Hipp in Pfaffenhofen. Diese Kritik weist Hipp zurück und nahm den Preis auch nicht an. In einer Erklärung des Unternehmens heißt es: „Fakt ist, dass Hipp die kritisierten Produkte gar nicht bewirbt. Folglich müsste sich der Vorwurf der „Werbelüge“ allein auf die Angaben auf der Verpackung beziehen. Auf der Verpackung aber wird transparent und für den Verbraucher deutlich erkennbar der Zuckergehalt der Produkte angegeben. Von einer „Werbelüge“, wie die Organisation es nennt, kann also nicht die Rede sein“. Weiter erklärte das Unternehmen sich bei der Zusammensetzung des Tees an die Empfehlungen des, von der Bundesregierung geförderten, aid Infodienstes zu halten. Schon einen Tag später die erneute Schlappe für Hipp. Der aid wehrte sich gegen die Vereinnahmung und wunderte sich über die Auslegung seiner wissenschaftlichen Empfehlungen. Hipp hat seinen Tee mit einer vom aid empfohlenen Schorle verglichen. Diesem Vergleich widersprach der aid in einer Erklärung. Dort heißt es: „Zuckergranulat-Tees sind keinesfalls mit einer selbst zubereiteten Fruchtsaftschorle zu vergleichen, da die Schorle keinen zugesetzten Zucker enthält“. Punktsieg für Foodwatch? Eher Verbraucherverwirrung als Verbraucheraufklärung nennt das der Spitzenverband der deutschen Lebensmittelwirtschaft, BLL: „Die Aktion ist populistisch, in ihrer Wortwahl überzogen und inhaltlich fragwürdig. Sie zielt einzig und allein darauf ab, einzelne Produkte bewusst zu diskreditieren, um ein möglichst großes Medienecho hervor zu rufen“. Und weiter heißt es: „Foodwatch zeigt damit einmal mehr, dass die Organisation zu einem konstruktiven Dialog nicht in der Lage ist“.

Die Branche will sich nicht mehr gefallen lassen, immer wieder vorgeführt zu werden. Aufklärung muss her, in Form einer gemeinsamen PR-Offensive, die den Arbeitstitel „Plattform Lebensmittel“ trägt. Das Projekt wurde schon vor geraumer Zeit angekündigt, eine Konzeption kam aber nur sehr schleppend voran. Ein schwieriger Weg liegt hinter den Initiatoren, es galt, die unterschiedlichen Interessen der extrem heterogenen Branche auf eine Formel zu bringen, immerhin sieben Verbände sollen am Projekt mitwirken. Zudem verfolgen die Beteiligten teilweise sehr unterschiedlich Interessen. Schließlich sollen sich alle Stufen der Wertschöpfungskette Lebensmittelherstellung sowie die unterschiedlichsten Unternehmensgrößen auf eine Position einigen. Nun soll es im dritten Quartal losgehen, eine PR-Agentur ist bereits mit der Konzeption beauftragt. Nachdem die Handelsunternehmen Rewe und Edeka im Frühjahr ihre Finanzierung zusagten, war der Weg frei, inzwischen hat man sich auch auf eine Satzung geeinigt. Aktuell liegt die Federführung beim „Bundesverband der Deutschen Ernährungsindustrie“ (BVE) und beim „Bund für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde“ (BLL), Sprecher der Initiative ist der Vorstandsvorsitzende der Nestle Deutschland AG, Gerhard Berssenbrügge. Ziel der Initiative ist die Aufklärung über Herausforderungen und Prozesse der Lebensmittelherstellung. Im Visier vornehmlich die Medien. Nun darf man gespannt auf die ersten Ergebnisse warten, ein einfaches Unterfangen ist es nicht.

 

Foto: Hipp-Sprecherin Sandra Hohenlohe bei der versuchten Übergabe des „Goldenen Windbeutel 2012“ durch Foodwatch.

 


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Kommentar

  • Ach, die arme Ernährungsindustrie – keiner versteht sie! Man könnte natürlich die Missstände (mangelhafte Produktdeklarationen, falsche Werbeaussagen, Verpackungsmogeleien, zweifelhafte Rezepturen usw.) beseitigen – aber PR ist sicherlich billiger ;-(

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