CSR_NEWS Inklusion Modeindustrie

Wie steht es um die Inklusivität der Modebranche?

Foto: (c) Andi Weiland | Gesellschaftsbilder.de

Fashion Council Germany lehnt Mitgliedschaft eines inklusiven Kinderlabels ab

Berlin (csr-news) – Der Fashion Council Germany gilt in der Modewelt als einflussreicher Verein und ist für die Durchführung der Berlin Fashion Week zuständig. Wofür er nicht zuständig ist, das sind inklusive Kindermodelabel. Einen Mitgliedschaftsantrag von Wombly lehnte der Verein ab. Die Begründung: „Unser Antragsausschuss fand Eure Brand und Vision wirklich überzeugend, allerdings haben sie sich dann doch dagegen entschieden, da wir Euch nicht das richtige Netzwerk bieten können.“

Hinter Wombly steht die Modedesignerin Lina Phyllis Falkner, die das adaptive – an die Bedürfnisse von Kindern mit Behinderungen angepasste – Modelabel 2022 gemeinsam mit der Bekleidungstechnikerin Lena Katharina Förster gründete. Seit dem vergangenen Sommer sind die Wombly-Produkte am Markt.

In ihrem Umfeld hatten die beiden erlebt, dass es an Kleidungsangeboten für Kinder mit Beeinträchtigungen fehlt. Professionelle Mode und Kleidung für diese Kinder anzubieten, das ist die Vision von Wombly. „Wir sind in sehr engem Kontakt mit Eltern und fragen viel nach“, sagt Falkner. Eltern werden in das Unternehmen eingeladen, um Produktideen zu besprechen.

Herausforderung Nachhaltigkeit

Eine Herausforderung für das Startup besteht darin, überhaupt gesehen zu werden. Falkner dazu: „Unsere Zielgruppe sehr nischig.“ Social Media-Kanäle würden von großen Marken mit großen Werbebudgets dominiert.

Nachhaltigkeit ist bei Kinderbekleidung ein großes Thema – auch bei Wombly. „Wir versuchen das Unternehmen so nachhaltig wie möglich aufzustellen“, sagt Falkner. Produziert werde ausschließlich in Europa und nur mit öko-zertifizierten Stoffen. Schwierig werde es allerdings bei den Trims – den Zubehörteilen wie Reißverschlüssen, Knöpfen und Gummibändern. Hier gebe es wenig nachhaltige Angebote und diese seien teilweise so teuer, dass sich ein Produkt damit nicht verkaufen ließe.

Im Fashion Council Germany will Wombly Mitglied werden, weil der Verein ein sehr zentrales Netzwerk in der deutschen Bekleidungsindustrie sei, so Falkner. Die Bewerbungszulassung für zahlreiche Branchenpreise und die Teilnahme an Netzwerkevents hänge an dieser Mitgliedschaft. Zudem biete der Verein Mentoring an.

Fashion Council Germany: keine hilfreichen Kontakte

Die Mitgliedschaft hatte Lina Phyllis Falkner im vergangenen Sommer für ihr Unternehmen beantragt und vom Fashion Council Germany eine Ablehnung erhalten. Im Dezember bat sie um ein Gespräch und erhielt darauf keine Rückmeldung. „Durch Personalwechsel und Weihnachtszeit sind wir dieser Anfrage leider bis heute nicht nachgekommen“, teilte eine Sprecherin des Fashion Council Germany gegenüber CSR NEWS mit und begründete die Ablehnug des Mitgliedsantrags von Wombly damit, „dass wir schlichtweg keine Kindermodemarken oder andere hilfreiche Kontakte in diesem Segment als Mitglied haben.“

Wie steht es um die Inklusivität der deutschen Modebranche? CSR NEWS hat weitere Expertinnen und Experten befragt.

„Auf Augenhöhe mit Menschen mit Behinderung“

Anna Flemmer ist Mode-Designerin und berät Labels in Sachen inklusiver Mode. „Inklusive Mode entsteht auf Augenhöhe mit Menschen mit Behinderung“, sagt Flemmer. Das sei etwas anderes als adaptive Mode, die sich nach bestimmten Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen richte oder bestimmte Attribute erfülle. Inklusiver Mode „entwickelt sich langsam, aber viel ist noch nicht auf dem Markt“, so die Mode-Designerin.

Diversität und Inklusion würden allerdings oft als Buzzwords benutzt. „In ihren Kampagnen zeigen Label gerne einmal Menschen mit Behinderungen.“ Die Marken seien aber nicht wirklich inklusiv, wenn sie in ihrer Belegschaft keine Menschen mit Behinderungen beschäftigten oder der Eingang zu ihren Shops durch Treppenstufen oder stabile Türen erschwert werde. Flemmer weiter: „Da fehlt es mir an Ernsthaftigkeit.“

In der Modebranche müsse noch ein Bewusstsein dafür geschaffen werden, worum es bei Inklusion geht – was aktuell nicht einfach sei. „Die Branche steckt in einer tiefen Krise, für zahlreiche Unternehmen besteht ein hohes Insolvenzrisiko“, so Flemmer. Das verringere die Bereitschaft der Unternehmen, Wege in Richtung Inklusion einzuschlagen.

Für inklusive Mode-Startups sei es wichtig, das Vertrauen der Community zu gewinnen. Flemmer berichtet, Menschen mit Behinderungen hätten auch schlechte Erfahrungen mit neuen Labeln gesammelt – wenn Gründerinnen und Gründer nur Geld machen wollten und etwa erwartet hätten, dass ihre Zielgruppe Expertise kostenlos bereitstelle. Flemmer sieht auch bei den Marken Zurückhaltung: „Größere Brands sind bei Kooperationsanfragen inklusiver Startups auch deshalb vorsichtig, weil sie befürchteten, ein unpassendes Wording zu verwenden und dann ein negatives Feedback aus der Community zu erhalten.“

Shop-Gestaltung als Hindernis

Was nicht geschehen wird, wenn Menschen wie Nadine Rokstein eingebunden sind. Rokstein ist Content Creatorin, Aktivistin für Inklusion und blind – und nicht über das falsche, sondern das fehlende Engagement von Modeanbietern enttäuscht. Mit Anna Flemmer steht sie in regelmäßigem Austausch. „Blinde und sehbehinderte Menschen werden stark vernachlässigt, wenn es um visuelle Dinge geht“, sagt Rokstein. In Online-Modeshops fehle häufig ein Alternativtext zu Bildern oder die Farben einer Kleidung seien nur sehr oberflächlich beschrieben. In den lokalen Shops wünscht sich Rokstein QR-Codes auf den Etiketten, mit denen Beschreibungen abgerufen werden könnten.

„Blinde sollten alleine shoppen gehen können, wenn sie es möchten – auch ohne Assistenz“, so Rokstein. Davon sei die Praxis aber noch weit entfernt. „Ich war noch in keinem Laden, in dem es Orientierungshilfen für blinde oder sehbehinderte Menschen gibt.“ Im Gegenteil erweise sich die Shop-Gestaltung häufig als hinderlich für sehbehinderte Menschen, wenn etwa der Boden stark blende.

Beim Design sei es für Blinde wichtig, wie sich Kleidung anfühle. Die Inklusions-Aktivistin weiter: „Wenn Kleidungsstücke ein besonderes Merkmal besitzen – einen Aufdruck, eine Spitze oder einen Stoff, der sich auf eine bestimmte Weise anfühlt -, dann weiß ich, was ich im Kleiderschrank vor mir habe.“

Rokstein erblindete mit 16 Jahren. „Gerade in der Anfangszeit, als ich blind geworden bin, wären eindeutige Merkmale in meinen Kleidungsstücken hilfreich gewesen, denn manche habe ich auf links oder falsch herum angezogen“, berichtet sie. Und nicht nur bei den Anbietern, sondern auch in der Öffentlichkeit brauche es einen Einstellungswandel. „Mir wird oft gespiegelt: Dir kann es doch egal sein, wie du aussiehst – du siehst es ja eh nicht“, berichtet Rokstein. Dabei hätten Blinde dasselbe Bedürfnis, gut angezogen zu sein, wie alle anderen Menschen.

Nicht als „Rolli-Moden“ oder „Molli-Moden“ ausschreiben

Marcus Graubner ist der Vorsitzende von ABiD (Allgemeiner Behindertenverband in Deutschland). Bei Inklusion gehe es nicht um das Besondere, sondern darum, ein ganz normaler Teil der Gesellschaft zu sein, sagt er. „Moden für Menschen mit Behinderungen müssen nicht als Rolli-Moden oder Molli-Moden ausgeschrieben sein.“ Inklusive Angebote seien Angebote für alle.

Menschen mit Behinderung, die als Modedesigner tätig sind, kenne er nicht. Graubner weiter: „Wir müssen da rein, um Angebote für uns selbst zu schaffen.“ Menschen mit Behinderungen müssten Mut aufbringen und noch mehr in die Gesellschaft hineinstrahlen.“


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