Bonn (csr-news) – „Die meisten Arbeiter:innen in pakistanischen Bekleidungsfabriken werden um ihren rechtmäßigen Lohn betrogen“, heißt es in einem von den Menschenrechtsorganisationen European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) und Femnet im Dezember vorgelegten Bericht. Die Probleme kennt Nasir Mansoor, stellvertretender Generalsekretär des pakistanischen Gewerkschaftsdachverbands National Trade Union Federation (NTUF), der auf Einladung der Berichtsverfasser und der Rosa Luxemburg Stiftung derzeit in Deutschland Gespräche führt. Das seit Anfang 2023 in Deutschland geltende Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz habe die Bereitschaft der globalen Brands zum Zugehen auf pakistanische Gewerkschaftsverbände verbessert. „Sie sprechen jetzt mit uns“, sagt Mansoor gegenüber CSR NEWS. Erstmals sitze man zusammen, um konkrete Probleme zu lösen. Der Gewerkschafter weiter: „Wir sehen einen quantitativen Wandel, aber noch keinen qualitativen Wandel.“
Der Bericht „Keine Verträge, keine Rechte: Wie die Modeindustrie ihre Arbeiter:innen um Mindestlöhne betrügt“ beruht auf einer Studie, bei der zwischen Januar und Juni 2023 eine Stichprobe von 357 Beschäftigten befragt wurden, die in für internationale Marken und Einzelhändler produzierenden Fabriken arbeiten. Für die von der NTUF in der Provinz Sindh, einem Zentrum der Bekleidungsproduktion in Pakistan, durchgeführte Umfrage wurden betroffene Arbeiter:innen geschult und als Interviewer:innen eingesetzt. „Auch wenn die Ergebnisse dieser Befragungen nur exemplarischen Charakter haben, geben sie einen aufschlussreichen Einblick in die allgemein vorherrschenden Arbeitsbedingungen in der Textilindustrie in Karatschi und Umgebung“, heißt es im Bericht. Für diese Einblicke werden sich vom Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz betroffene Unternehmen interessieren:
Von den Befragten hatten 97% keinen schriftlichen Arbeitsvertrag erhalten. Wenn Beschäftigte ihr Beschäftigungsverhältnis nicht nachweisen, können sie sich nicht gewerkschaftlich organisieren. Der gewerkschaftliche Organisationsgrad sein auch deshalb niedrig, so Mansoor. Durchschnittlich gebe es nur in jeder 300sten Fabriken eine Arbeitnehmervertretung.
Rund 85% waren entweder nicht sozial- oder rentenversichert oder wussten nicht, ob sie es sind. 80% der befragten Beschäftigten erhielten keine Lohnabrechnungen. Und mindestens 28 % erhielten weniger als den gesetzlichen Mindestlohn für ungelernte Arbeiter:innen von zum Befragungszeitpunkt 25.000 PKR (etwa 116 Euro).
Einen wesentlichen Teil zu den Problemen trägt das sogenannte „Contracting System“ bei: 29% der befragten Arbeitnehmer:innen waren nicht bei den Fabriken selbst, sondern bei Dritten beschäftigt. Das erleichtert es den Produzenten, sich bei ausbleibenden Aufträgen von diesem Personal zu trennen.
Für den Gewerkschafter Nasir Mansoor steht fest, dass sich internationale Marken deutlich stärker für die Rechte pakistanischer Textilarbeiter:innen engagieren müssen, wenn sie ihren gesetzlichen Sorgfaltspflichten gerecht werden wollen. Zwar hätten sich Arbeitnehmerrechte in Pakistan weiter verbessert – auf dem Papier. Das Problem sei jedoch deren Umsetzung: Da fehle es an einer funktionierenden Exekutiven.
Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz sieht zum Beispiel die Einrichtung von Beschwerdeverfahren bei direkten und indirekten Zulieferern vor. „Im Moment gibt es keinen funktionierenden Beschwerdemechanismus – nirgendwo.“ Es gebe dazu jedoch Gespräche mit internationalen Modemarken. Mansoor weiter: „Der Ball rollt jetzt.“