München > Weltweit gibt es nach Schätzungen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) über 3 Milliarden Arbeitnehmer. Davon ist ein erheblicher Teil in einer globalen Lieferkette beschäftigt. Die Sicherstellung ökologischer und sozialer Standards in der Lieferkette gehört heute zu den großen Herausforderungen von Unternehmen. In einem Positionspapier hat die Rating-Agentur oekom research die Arbeitsbedingungen unter die Lupe genommen.
Die Rahmenbedingungen, unter denen Arbeitnehmer ihre Tätigkeit ausüben, sind von Staat zu Staat sehr unterschiedlich. Über 189 Übereinkommen und 201 Empfehlungen zu den Rechten von Arbeitnehmern hat die ILO seit ihrer Gründung verabschiedet, weltweit, also in allen Mitgliedsstaaten, gültig sind jedoch die wenigsten. Als Mindeststandard haben sich die Kernarbeitsnormen etabliert, deren Umsetzung in einer Reihe von Schwellen- und Entwicklungsländern allerdings deutliche Lücken aufweist. Beispielsweise das Thema Arbeitssicherheit, laut ILO kommen weltweit jährlich rund 2,3 Millionen Menschen durch Arbeitsunfälle oder arbeitsbedingte Erkrankungen ums Leben. Viele Arbeitnehmer können kaum von ihrer Arbeit existieren, rund 39 Prozent (in Zahlen etwa 1,2 Milliarden) müssen von weniger als zwei US-Dollar pro Tag leben. Über 215 Millionen Kinder werden weltweit beschäftigt, rund die Hälfte davon in Bereichen, die als gefährlich eingestuft werden. In vielen Ländern, vor allem in den südamerikanischen, werden gewerkschaftliche Tätigkeiten unterbunden, nicht selten auch mit Gewalt.
Eine Situation, die für Produzenten und Handelsunternehmen schnell zum Problem werden kann. Allerdings hat sich die Zahl der Unternehmen, die von ihren Zulieferern klare arbeitsrechtliche Zusagen erwarten und diese auch überprüfen in den letzten zwanzig Jahren deutlich erhöht. Dennoch gelten die Einkaufspraktiken wie extremer Preisdruck, kurze Lieferverträge und die just-in-time Produktion als Hauptverursacher für Arbeitsrechtsverletzungen. Dies wird besonders in den Branchen deutlich, in denen die Hersteller über eine besondere Marktmacht verfügen und diese gegenüber ihren Lieferanten ausspielen. Das Thema ist komplex und kompliziert, deshalb haben sich in vielen Branchen Initiativen gegründet, um über den Dialog mit allen Beteiligten Änderungen herbeizuführen. Dazu gehören beispielsweise die „Ethical Trading Initiative“ (ETI) und die „Business Social Compliance Initiative“ (BSCI) für den Einzelhandel, die „Fair Labor Association“ (FLA) für die Textilwirtschaft und weitere. Fortschritte sind erkennbar, wirklich durchgreifende Verbesserungen hat es aber noch nicht gegeben.
Dies zeigt sich zum Beispiel in der IT-Industrie. In einer aktuellen Branchenanalyse hat oekom research 205 Unternehmen dieser Branche anhand von ökologischen und sozialen Kriterien analysiert. Nur 54 konnten sich überhaupt für ein umfassendes Rating qualifizieren. Die Probleme der Branche sind beispielhaft, Verlagerung der Produktion in Billiglohnländer mit den Begleiterscheinungen – mangelnde Arbeitssicherheit, Zwangsüberstunden, schlechte Bezahlung sowie mangelhafte Umweltstandards. Knapp 43 Prozent der Hersteller von Handys und Computern verstoßen gegen internationale Arbeitsnormen. Schwerwiegende arbeitsrechtliche Kontroversen wie Kinderarbeit, Diskriminierung und inakzeptable Arbeitsbedingungen wurden im Rahmen der Analyse bei jedem fünften Unternehmen nachgewiesen. Ein Fazit der Analyse: Auch wenn sich die großen Hersteller ihrer Verantwortung inzwischen bewusst sind, lassen sich die Probleme nicht von heute auf morgen lösen. Philipp Rühle, Branchenanalyst bei oekom: „Es wird also noch einige Zeit dauern, bis interessierte Verbraucher wirklich nachhaltige IT-Produkte erwerben können“. Denn neben den arbeitsrechtlichen Problemen gibt es auch ökologische Schwachstellen. Fast alle untersuchten Konzerne haben zwar riskante Inhaltstoffe in ihren Produkten verringert. „Noch ist aber nicht abzusehen, wann die Computer-Industrie vollständig auf die Verwendung gesundheits- und umweltschädlicher Substanzen verzichtet“.