Vechta (csr-magazin) – Extreme Wetterereignisse, verheerende Überschwemmungen und Flutkatastrophen – keine Seltenheit für Monsunregionen. So haben die Volksrepublik China und andere südostasiatische Länder bereits seit Jahrtausenden mit Überschwemmungen und Dürreperioden zu kämpfen. „Wir haben in China lange darauf vertraut, dass die graue, künstliche Infrastruktur aus Rohren und Beton das Wasserproblem einschließlich Überschwemmungen und Dürre lösen kann, aber das kann sie nicht“, sagt Kongjian Yu, einer der renommiertesten Landschaftsarchitekten Chinas, Professor an der Peking-Universität und Gründer des Planungsbüros Turenscape in Peking. Yu sieht dringenden Handlungsbedarf: „Unsere Bestrebungen, mithilfe von kanalisierten Rohrsystemen und Betonmauern das städtische Wasserproblem zu lösen, verschlimmern es nur. Wir müssen das Problem systematisch angehen“.
Von Isabelle Batke und Friederike Fischer
In der Tat basiert das herkömmliche Hochwassermanagement, dessen Ursprung sich in den europäischen Ländern findet, zum Großteil auf Rohrsystemen für eine schnellstmögliche Beförderung des Wassers in die Kanalisation sowie auf Betonmauern an Fließgewässern, die vermeiden sollen, dass das Wasser über die Ufer tritt. Denn durch den hohen Grad an Flächenversiegelung kann nur ein geringer Teil des Regenwassers in unseren Städten im Boden versickern. „Diese konventionelle Lösung der Wasserbauingenieure ist ein Business-as-usual-Modell“, erklärt Yu. Dabei haben die jüngsten Hochwasserkatastrophen gezeigt, wozu das führt: Das Wasser sammelt sich an, bis es überläuft. Keine ausgesprochen nachhaltige Lösung, um Fluten vorzubeugen. Welche Alternativen gibt es?
Das CSR MAGAZIN will jungen Autoren eine Stimme geben. In dieser Ausgabe berichten zwei Teams aus dem Masterstudiengang “Transformationsmanagement in ländlichen Räumen” der Universität Vechta angesichts zunehmender Starkregenereignisse über das Konzept der “Schwammstadt”.
Die Kunst des Überlebens
Yu ist sich sicher: Wenn wir künftig Flutkatastrophen vermeiden wollen, müssen wir mit der und nicht gegen die Natur wirtschaften. Die Lösung? Ein Schwamm. Schwämme haben eine nützliche Funktion: Sie können Wasser aufsaugen, für eine Weile speichern und bei Bedarf wieder abgeben. Diese Funktion sollen nun auch ganze Städte erfüllen können. Nicht umsonst ist Yu bekannt als der Mann hinter dem Konzept der Schwammstadt (engl.: Sponge City). Eine Schwammstadt zeichnet sich dadurch aus, die Natur mit ihrer lebendigen Landschaft anstelle eines künstlichen und betonierten Infrastruktursystems zur Bewältigung von Überschwemmungen und Dürren zu nutzen. Hier wird ein klares Ziel verfolgt: dem Wasser mehr Raum zu geben. Dies kann unter anderem durch Entsiegelung, Versickerungs- und Grünflächen, Fassaden- und Dachbegrünung, Entwässerungsmulden und eine insgesamt grüne Infrastruktur erreicht werden. Eine Klimaanpassungsstrategie, die einen natürlichen Wasserkreislauf schafft und zugleich eine erhebliche Verbesserung des Stadtklimas mit sich führt.
„Das Schwammstadt-Konzept basiert auf ganzheitlichem, ökologischem Denken, es ist eine naturbasierte Lösung für ein Problem, mit dem wir alle heute weltweit konfrontiert sind“, erklärt Yu. „Schwammstadt bedeutet, dass wir uns an die Natur und an extreme Klimasituationen anpassen, die Stadt sollte widerstandsfähig sein. Wenn Wasser fällt, sollte die Stadt es lokal zwischenspeichern, wiederverwenden oder aufsaugen können. So stehen auch für Dürreperioden Wasserreserven zur Verfügung. Ich nenne das die Kunst des Überlebens“. Das Konzept der Schwammstadt wird bereits in zahlreichen chinesischen Städten eingeführt. China hat sich ein ehrgeiziges Ziel gesetzt: Bis 2030 sollen über zwei Drittel chinesischer Städte als Schwamm fungieren. Nachdem China in der Vergangenheit das herkömmliche Hochwassermanagement und den Bau der Städte aus europäischen Ländern übernommen hat, scheint es nun an der Zeit für Europa, sich ein Beispiel an Chinas Städten zu nehmen.
Europäische Schwammstädte: das Vorbild Niederlande
Schwammstädte in Europa sind keinesfalls eine Utopie. Die Niederlande gehen als Vorbild voran und zeigen, wie Schwammstädte auch in Europa erfolgreich implementiert werden können. Die heftigen Regenfälle und Überschwemmungen, die in Deutschland und Belgien viele Todesopfer forderten, haben die Niederlande glimpflich überstanden. Woran liegt das?
Unsere holländischen Nachbarn haben sich bereits eingehend mit dem Konzept der Schwammstadt auseinandergesetzt und sind uns bei der Umsetzung ein beträchtliches Stück voraus. Dies wohl nicht von ungefähr, wenn man beachtet, dass über ein Viertel der Niederlande unter dem Meeresspiegel liegt. Schon vor zwanzig Jahren wurden hier die ersten Maßnahmen eingeführt. Heute gibt es dort Städte, die über zwanzig Maßnahmen implementiert haben, sagt Floris Boogaard, Professor für Spatial Transformations an der Hanze University of Applied Sciences in Groningen. Nach Angaben der Northern Netherlands Climate Initiative hat die Hanze bereits mehr als 25 Jahre Erfahrung mit Schwammstädten und ist weltweit an deren Umsetzung beteiligt. So beschäftigt sich Boogaard schon seit Jahren mit den Möglichkeiten einer Anpassung von Städten an das Klima. Dabei werden über die üblichen Konzepte zur Vorbeugung einer Überschwemmung hinaus innovative Ansätze in zwei unterschiedlichen Living Labs ausprobiert. Doch Innovationen wie das Konzept der Schwammstadt bringen auch Schwierigkeiten mit sich. Wasserdurchlässige Bürgersteige, sogenannte Permeable Pavements, benötigen beispielsweise kontinuierliche Wartung. Bedenken bezüglich der Implementierung von Schwammstädten sieht Boogaard jedoch an anderer Stelle: „Die eigentliche Herausforderung besteht nicht in der technischen Umsetzung, sondern in der Verhaltensänderung und der Überzeugung der Menschen, dass der neue Weg hin zu einer Schwammstadt und weg von grauer Infrastruktur möglich ist. Es ist erkennbar, dass Schwammstadt-Maßnahmen in besonders kleinen Gemeinden mit wenigen an der Planung beteiligten Personen und Nähe zu Entscheidungsträgern besonders schnell zur Umsetzung kommen.“
„Ich denke, auch in Deutschland ist es heute an der Zeit, ökologische Lösungen voranzutreiben.“
Ist ein einfacher Schwamm die Antwort auf die jüngsten Hochwasserkatastrophen in Deutschland? Wenn es nach Yu geht, macht Deutschland bereits einige sehr gute Dinge: „Ihr habt eine sehr gute Regenwasserbewirtschaftung und eine viel bessere Situation in Bezug auf das öffentliche Wissen und Experten in Deutschland. Im Vergleich zu anderen Teilen der Welt seid ihr intellektuell viel weiter. Gleichzeitig habt ihr eine sehr starke Ingenieurstradition und gut ausgebildete Ingenieure. Aber der Klimawandel bedeutet, dass wir alles ändern müssen und dass wir andere Modelle brauchen.“ Die jüngsten Hochwasserkatastrophen haben gezeigt, dass die graue Infrastruktur Extremwetterereignissen nicht standhalten kann. „Mit einer Schwammstadt, die sich an das Klima anpasst, ist man bei einer Flut nicht auf Beton angewiesen, sondern auf das Natursystem, das viel widerstandsfähiger ist.“
Um unsere Städte nachhaltig an das Klima anzupassen, sollten wir laut Yu also auch in Deutschland eine natürliche Landschaftsgestaltung wählen: Flächen entsiegeln, Fließgewässer entkanalisieren und renaturieren, Betonmauern entfernen. Kurz: unsere Städte in Schwämme verwandeln. China und die Niederlande machen es uns vor. „Wann immer die Flut kommt“, so Yu, „wird die Natur übernehmen. Ich denke, auch in Deutschland ist es heute an der Zeit, ökologische Lösungen voranzutreiben.“
Weiterführende Links:
- https://www.turenscape.com/en/project/index/4.html
- https://radiichina.com/sponge-cities-architect-yu-kongjian/
- https://www.deltaplatform.nl/en/missions/living-labs
- https://www.dw.com/de/klimawandel-afrika-nachhaltige-stadtentwicklung-mosambik-beira-hochwasser-zyklon-idai/a-57581155
Isabelle Batke und Friederike Fischer
studieren im Masterstudiengang “Transformationsmanagement in ländlichen Räumen” an der Universität Vechta
trm.vechta@gmail.com