Berlin > Selbsthilfeverbände im Gesundheitsbereich erhalten Zuwendungen von pharmazeutischen Unternehmen und wollen dabei ihre Unabhängigkeit und Neutralität bewahren. Nun so können sie für die Betroffenen glaubwürdige Berater bleiben. Deshalb haben die Mitgliedsverbände der BAG SELBSTHILFE und des FORUMs chronisch kranker und behinderter Menschen im PARITÄTISCHEN Gesamtverband Leitsätze erarbeitet, die Grenzen des Zulässigen aufzeigen. Ein seit 2005 bestehendes Monitoring-Verfahren soll die Einhaltung dieser Leitlinien sicherstellen. In dem Verfahren werden mögliche Verstöße überprüft und Mitglieder beraten, um zukünftige Verstöße zu vermeiden. Der nun vorgelegte 2. Jahresbericht zum Monitoring-Verfahren gibt Einblicke in das Spannungsfeld zwischen Fremdfinanzierung und Unabhängigkeit. Die Monitoring-Ausschüsse haben im vergangenen Jahr 13 Fälle entschieden, weitere Verfahren sind noch in der Bearbeitung. Beispiele:
Fehlende Kontrolle: Verstoß
Ein Selbsthilfeverband erhielt die sechsstellige Zuwendung eines Pharmaunternehmens für ein sogenanntes Schwestern-Projekt: Finanziert werden sollte der Einsatz von indikationsspezifischen Schwestern in Krankenhäusern. Empfänger der Zuwendung des Pharma-Unternehmens war das jeweilige Krankenhaus, abgewickelt werden sollten die Zahlungen jedoch über die Konten der Selbsthilfeorganisation. Diese hatte keinen Einfluss auf die Auswahl der Schwestern und konnte lediglich in begrenztem Umfang deren Arbeitsplatzbeschreibungen mitgestalten. Die Zuwendung des Pharmaunternehmens machte rund ein Viertel des Haushalts der Selbsthilfeorganisation aus. Der Monitoring-Ausschuss befand: Dieses Vorgehen verstößt gegen die Leitlinien. „In allen Bereichen der Zusammenarbeit mit Wirtschaftsunternehmen muss die Selbsthilfeorganisation die volle Kontrolle über die Inhalte der Arbeit behalten und unabhängig bleiben“, heißt es dort. In einem anderen Fall entschied der Ausschuss zugunsten der Selbsthilfegruppe:
Entlastung nach einseitigem Fernsehbericht
Ein Fernseh-Magazin stellte 2008 die Beratungsarbeit einer Selbsthilfeorganisation zu einem Medikament als fragwürdig dar. Auf der Homepage fehle ein Hinweis auf die Nebenwirkungen des Medikamentes. Der Sender zeigte wenige Szenen aus einem heimlich gefilmten Gespräch, in dem sich Journalisten als Eltern eines Jugendlichen mit entsprechendem Krankheitsbild ausgaben, sowie ein sehr kurzes Interview mit einem Vorstandsmitglied. Diese Personen hätten als Mitglieder des Verbandes nicht auf Suizidalität als Nebenwirkung des Medikaments hingewiesen, hieß es dazu. Der Verband hatte – und darin lag die Brisanz – innerhalb von zwei Jahren Spenden des entsprechenden Pharmaunternehmen in vierstelliger Höhe erhalten.
Der Verband teilte dazu mit: Die Beraterin sei durch mehrfache gezielte Nachfragen der Journalisten animiert worden, sich positiv zu dem Medikament zu äußern: Sie habe sich auch umfangreich zu den Nebenwirkungen des Medikaments geäußert, was in dem Beitrag nicht wiedergegeben worden sei. Der Fernsehsender habe sich zudem geweigert, das vollständige Videomaterial zu dem vermeintlichen Beratungsgespräch sowie zum Interview mit dem Vorstandsmitglied zur Verfügung zu stellen. Und der Verband konnte darstellen, dass der Anteil der Pharmaspende an seinem Gesamtetat in den beiden betroffenen Jahren unter 3 Prozent lag. Daraufhin sah der Monitoring-Ausschuss keinen Ansatzpunkt für einen Leitlinienverstoß. Zur Diskussion stand folgender Leitsatz: „In Kooperationen mit Unternehmen der pharmazeutischen Industrie, Anbietern von Heil- und Hilfsmitteln sowie Dienstleistungen und anderen Unternehmen, die Produkte für behinderte und chronisch kranke Menschen herstellen oder vertreiben, wird auf eine eindeutige Trennung zwischen Informationen der Selbsthilfeorganisation, Empfehlungen der Selbsthilfeorganisation und Werbung des Unternehmens geachtet. Die Selbsthilfeorganisationen informieren über Angebote, beteiligen sich aber nicht an der Werbung.“
40 Prozent Finanzierung sind zu viel
Auch ohne äußeren Anlass recherchierte die Monitoring-Gruppe und stieß dabei auf den folgenden Verstoß: Die im Verband der forschenden Arzneimittelhersteller organisierten Pharmaunternehmen hatten 2009 erstmals die an Selbsthilfeorganisationen geleisteten Zuwendungen veröffentlicht. Sie folgten damit europäischen Vorgaben. Der Monitoring-Ausschuss analysierte diese Veröffentlichungen und stieß dabei auf einen Verband, der Zuwendungen von Pharmaunternehmen in Höhe von über 40 Prozent seines Haushaltvolumens erhalten hatte. Das gefährdet die Unabhängigkeit und verstößt gegen die Leitsätze, so der Ausschuss.
Das Monitoring-Verfahren soll nicht nur Verstöße feststellen, sondern auch neue verhindern. Dazu wurden ein Muster zur Selbstauskunft für Wissenschaftliche Beiräte entwickelt und eine Arbeitshilfe mit Erläuterungen zu den Leitsätzen aktualisiert. „Die Verbände können jetzt noch einfacher als bislang konkrete Vorhaben anhand der Arbeitshilfe überprüfen und einschätzen“, so Burkhard Stork, Leiter der Bundesgeschäftsstelle der Deutschen Morbus Crohn/Colitis ulcerosa Vereinigung DCCV e.V. und Vorsitzender des Monitoringausschusses.