Die Corona Krise hat uns als Gesellschaft vor ungeahnte Herausforderungen gestellt. Sie ist wahrscheinlich die größte Herausforderung, mit der wir uns in Deutschland seit dem zweiten Weltkrieg konfrontiert sehen. Unternehmen verstehen sich als Teil dieser Gesellschaft und haben in Deutschland eine lang zurückreichende Engagement-Tradition. Auch aktuelle Beispiele wie die Flutkatastrophe im Sommer 2021 zeigen, dass sich Unternehmen und besonders deren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter engagieren wollen. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind nicht nur Angestellte, oftmals sind sie auch Engagierte, die sich zum Beispiel im ortsansässigen Verein für ihre Mitmenschen einsetzen. Unternehmen nehmen das wahr und Tendenzen zeigen, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter seit Beginn der Krise immer mehr in deren Fokus rücken. Damit verwischen Grenzen, die vorher klarer gezogen wurden: Das Engagement kehrt sich nach innen und rückt damit näher an die Verantwortungsübernahme für das Kerngeschäft – also klassisches CSR – heran.
Von Joris-Johann Lenssen, Elena Dobler, Luisa Gerber und Olga Kononykhina
„Monitor Unternehmensengagement“ und die Corona-Krise
Der Monitor Unternehmensengagement erhebt regelmäßig repräsentative Daten zum Engagement der deutschen Wirtschaft und liefert vertiefende Analysen zu einzelnen Branchen oder Themenbereichen. Für die Erhebung während der COVID-19-Pandemie wurden Daten der Befragung aus 2018 (Stichprobengröße: 7.279 Unternehmen) mit Daten aus März (477 Unternehmen) und November 2020 (689 Unternehmen) verglichen sowie eine Analyse des Engagements der größten deutschen Unternehmen aus dem ersten Quartal des Jahres 2021 zugrunde gelegt. Zudem wurde eine Befragung der DAX40-Unternehmen durchgeführt. Die nächste große Erhebung ist für Anfang 2022 geplant. Den vollen Bericht der vergangenen Befragungen gibt es hier: www.unternehmensengagement.de/insights
Selbstanspruch der Unternehmen ist gestiegen
Doch wie sehen Unternehmen ihre eigene Rolle in der Gesellschaft – insbesondere, wenn sie selbst vor existenziellen Herausforderungen stehen? Man könnte vermuten, dass der oft zitierte Satz „The business of business is business“ von Milton Friedman (1) gerade in Zeiten einer Krise mehr in das Zentrum des Denkens von Entscheidungsträgern rückt. Jedoch zeigen die erhobenen Daten, dass hier einen deutlichen Trend in die andere Richtung gibt:
In der Befragung im Jahr 2018 gaben durchschnittlich 46 Prozent der Unternehmen an, sich gesellschaftlich zu engagieren. Zwei Jahre später, im November 2020, ist dieser Wert trotz der Ausnahmesituation im Rahmen der Corona-Krise erst auf 54 und dann 57 Prozent gestiegen. Bei Großunternehmen ist dieses Bewusstsein einer Verantwortung für gesellschaftliches Engagement noch ausgeprägter. Waren es vor der Pandemie bereits 61 Prozent, stimmten im November 2020 72 Prozent, also knapp drei von vier Unternehmen, zu, eine Verantwortung zu haben, sich für die Gesellschaft zu engagieren (Abbildung 1).
Wichtig bleibt zu erwähnen, dass es bei der Frage um ein Selbstverständnis von Unternehmen geht, also um die grundsätzliche Einstellung/Haltung. Es wird dabei interessant sein, zu beobachten, ob und wie dieser Anspruch auch in Zukunft umgesetzt wird.
Unternehmen wollen einen Beitrag leisten
Die qualitative Analyse der Daten zeigt, dass sich seit Beginn der Krise der Fokus vieler Unternehmen nach innen richtet. Die Komplexität von beispielsweise der Vereinbarkeit von Familie und Beruf erreicht im Angesicht von geschlossenen Schulen und Kitas eine unbekannte Größe. Nun zeigt sich für viele Angestellte, welche Arbeitgeber tatsächlich flexibel und unterstützend agieren. Um alles unter einen Hut zu bringen, haben Unternehmen Verständnis für ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und gewähren eine ungeahnte Flexibilität. Beispiele dafür sind die Gleitzeiten für Eltern bei Kita- oder Schulschließungen und das heute zur Normalität gewordene Homeoffice.
Besonders durch die pandemiebedingte Isolation ist den Unternehmen die Gesundheit und das Wohlbefinden von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern besonders wichtig geworden. Sowohl die physische als auch die psychische Gesundheit sollen durch verschiedene Maßnahmen wertgeschätzt und unterstützt werden. Auch psychische Gesundheit wird inzwischen vermehrt vorbeugend angesprochen. So auch die Stimme eines befragten Unternehmens:
„Wir ermutigen tagtäglich unsere Mitarbeiter, dass auch diese Krise ein Ende finden wird und wir sie gemeinsam bestehen werden. Wir haben soziale Gesprächsforen eingerichtet, um Mitarbeitern, die psychisch an der Krise leiden, zu helfen. Finanzielle und soziale Härten in den Familien unserer Mitarbeiter meistern wir gemeinsam mit ihnen und stehen als Unternehmen fest an der Seite unserer Mitarbeiter.“ (mittleres Unternehmen)
Auch im Kerngeschäft wird ein Beitrag geleistet und der Zusammenhalt in der Gesellschaft unterstützt. So werden zum Beispiel Aufschübe oder längere Fristen für Forderungen gewährt, einander geholfen, um Digitalisierung voranzutreiben oder Innovation durch neue Produktentwicklungen vorangetrieben. Hier einige Beispiele von befragten Unternehmen:
„Unser gesellschaftliches Engagement ist es, eine neue Geschäftsidee des Recyclings knapper Rohstoffe erstmals wirtschaftlich zu implementieren.“ (kleines Unternehmen)
„Aufschub beziehungsweise Gewährung von größeren Fristen von/bei Zahlungsanforderungen.“ (mittleres Unternehmen)
„Unterstützen von Firmen, die unter Corona leiden, durch Inanspruchnahme auch von (Dienst)Leistungen, die nicht zwingend benötigt würden.“ (Großunternehmen)
Stimmungsbild während der Krise ändert sich
Um ein Stimmungsbild der Unternehmen zu ihrem Engagement in der Corona-Krise zu bekommen haben wir Unternehmen gefragt, wie sich die Krise auf ihr gesellschaftliches Engagement ausgewirkt hat. Außerdem wurde abgefragt, ob die Unternehmen mit ihrem Engagement zufrieden waren – beziehungsweise inwiefern der Eindruck besteht, dass das Engagement das Unternehmen in der Krise geprägt hat. (2)
Ergebnisse dieser Analyse zeigen, dass in Branchen und Unternehmen, die von der Corona-Krise hart getroffen wurden, vor allem der existenzielle Fortbestand und damit die Sicherung von Arbeitsplätzen im Vordergrund stehen. Gesellschaftliche Engagementprojekte rücken dabei eher in den Hintergrund und einige Betriebe bedauern das sehr. Sie sorgen sich jedoch weitaus mehr um die Existenz des Unternehmens und im Zuge dessen um die Existenz der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Dieses Überleben der Unternehmen und die damit verbundene Sicherung von Arbeitsplätzen wird von vielen Befragten auch als gesellschaftliche Unternehmensverantwortung aufgefasst.
Unternehmen, die nicht um ihren Fortbestand fürchten müssen, scheinen trotz oder gerade wegen der Krise eine intrinsische Motivation zu entwickeln, ihr Engagement zu verstärken.
„Unser gesellschaftliches Engagement wird sich aufgrund der Krise sicherlich noch weiter verstärken, da wir in Not geratene Mieter:innen, Vereine etc. weiterhin unterstützen werden und gerade dann, wenn staatliche Hilfen auslaufen beziehungsweise enden.” (Großunternehmen)
Wertet man die Gesamtheit der offenen Antworten aus, zeigt sich trotz der prekären Situation eine hoffnungsvolle und positive Stimmung der Unternehmen. (3) Dennoch hat sich das Stimmungsbild zwischen März 2020 und November 2020 deutlich verändert.
Während im März vor allem kleine Unternehmen der Situation positiv entgegengetreten sind (70 Prozent), sehen diese im November des gleichen Jahres durch die COVID-19-Pandemie deutlich seltener positive Auswirkungen auf ihr gesellschaftliches Engagement zukommen (nur noch 34 Prozent). Obwohl große Unternehmen anfangs eher skeptisch waren, ihr gesellschaftliches Engagement fortführen zu können (negativ 47 Prozent), sagen im November 2020 nur noch 24 Prozent, also eins aus vier Unternehmen, dass sich die Pandemie negativ auf ihr Engagement auswirken könnte. Sie bilden also eine stabile Grundlage für die Fortführung vieler Engagementprojekte für die Gesellschaft und unterstützen teilweise auch mehr regionale Geschäftspartner.
„Die Ausrichtung unseres Unternehmens hat sich durch die Corona-Krise nicht grundlegend geändert. Wir achten aber wieder mehr darauf, regionale Geschäftspartner zu beauftragen und somit zu unterstützen.“ (kleines Unternehmen)
Stimmungsbild Zufriedenheit mit dem eigenen Engagement
Vor dem Hintergrund des nach Innen gerichteten Fokus der Unternehmen und wirtschaftlichen Mehrbelastung während der Krise überrascht es nicht, dass klassische Formen des Engagements wie Geld-, Sach- und Zeitspenden zurückgegangen sind. Viele Unternehmen haben ihre Spenden in 2020 deutlich zurückgefahren, trotz allem ist diese Engagementform immer noch weit verbreitet.
Es überrascht nicht, dass Unternehmen im Angesicht des oben genannten Selbstanspruchs vermehrt unzufrieden mit der Entwicklung ihres Engagements sind. Die Frage, ob sie mit dem eigenen Engagement der vergangenen sechs Monate zufrieden sind, haben im März 2020 noch 80 Prozent der Unternehmen positiv beantwortet. Im November 2020, also ein halbes Jahr nach Beginn der Corona-Krise, ist diese Zustimmung auf nur noch 53 Prozent gesunken. Auffallend hierbei ist, dass es in diesem Kontext keine hervorstechenden Unterschiede hinsichtlich der Größe der Unternehmen zu geben scheint – mit Ausnahme der DAX Unternehmen, welche mit ihrem Engagement durchweg zufrieden waren. (4)
Einige Unternehmen, die mit ihrem Engagement nicht zufrieden waren, gaben an, dass sie es eher aus Vorsicht und weniger aus Notwendigkeit zurückgefahren haben:
„Rückwirkend hätte es mehr sein können, aufgrund der Unsicherheit war man in vielen Bereichen vorsichtig.“ (Mittleres Unternehmen)
„Nicht ganz zufrieden, wir hätten aus heutiger Sicht mehr tun können.“ (kleines Unternehmen)
Fazit und Ausblick
Das gesellschaftliche Engagement der Unternehmen in Deutschland hat sich während der Corona-Krise gewandelt. Das berühmte eingangs angeführte Zitat von Friedmann bewahrheitet sich insofern, als dass die Unternehmen in dieser Krisenzeit primär Verantwortung fürs eigene Kerngeschäft übernehmen und das darüber hinausgehende Engagement zurückfahren. Obwohl sich auf der einen Seite der Selbstanspruch zu mehr gesellschaftlichem Engagement erhöht hat, gehen klassische Engagementformen zurück und der Fokus richtet sich auf die eigenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und deren Umfeld. Vor dem Hintergrund überrascht es nicht, dass die Zufriedenheit der Unternehmen mit dem eigenen Engagement während der Krise im Vergleich zu vor der Krise zurückgegangen ist. Trotzdem scheint immer noch circa die Hälfte von ihnen mit dem eigenen Engagement zufrieden zu sein.
Werden die Unternehmen in der Breite in Deutschland ihr Engagement an den eigenen Anspruch anpassen und wenn ja, mit welchen Engagementformen? Wie wird die deutsche Wirtschaft und dabei insbesondere der Mittelstand mit der Herausforderung der Transformation zu nachhaltigem Wirtschaften umgehen? Was bedeutet dies für das Verhältnis von gesellschaftlichem Engagement und der Verantwortung für das eigene Kerngeschäft (ökonomisch, ökologisch, sozial)? Und welche Themen wie Social Intrapreneurship oder strategisches Corporate Volunteering spielen an dieser Schnittstelle eine besonders wichtige Rolle? Diese und andere Fragen möchten wir 2022 mit der neuen Erhebung des „Monitor Unternehmensengagement“ beantworten.
Mehr Informationen, die vollständige Studie und Teilanalysen zu verschiedenen Bereichen finden Sie unter: www.unternehmensengagement.de/
Anmerkungen
(1) Milton Friedman: Eine Friedman-Doktrin – Die soziale Verantwortung von Unternehmen besteht darin, ihre Gewinne zu steigern (veröffentlicht 1970). In: New York Times. 13. September 1970, ISSN 0362-4331
(2) Um diese offenen Fragen gesamtheitlich auswerten zu können und ein holistisches Stimmungsbild der Einschätzungen und Antworten der Unternehmen zu bekommen, haben wir unsere Auswertung auf zwei Methoden der qualitativen Textanalyse gestützt: einer maschinenlernen-basierten, Textklassifikation unter Nutzung des GPT-3 Tools von Elicit (elicit.org) sowie einer Sentiment-Analyse, welche den Grad der Negativität und Positiviät der Antworten misst.
(3) Begriffe wie „unterstützen/Unterstützung, möglich, stark, helfen, Bereitschaft“ spiegeln ein positives Sentiment wider und kommen wesentlich häufiger in den Antworten vor als negative Begriffe wie zum Beispiel „Einschränkung, fehlen, schwierig“.
(4) Zur Bewertung der Aussagen wurden hier Begriffe wie „zufrieden, Zusammenhalt, stark, möglich, helfen, Unterstützung“, aber auch „unzufrieden, schlecht, schwierig, fehlen, einschränken“ aufgefasst.
Autoren
Joris-Johann Lenssen
Projektleiter Unternehmensengagement und Verantwortung, ZiviZ im Stifterverband
joris.lenssen@stifterverband.de
Elena Dobler
Projektmanagerin (McKinsey& Company Beraterin im Social Leave), ZiviZ im Stifterverband
elena.dobler@live.de
Luisa Gerber
Praktikantin Wirkungsmanagement, ZiviZ im Stifterverband
luisa.gerber@stifterverband.de
Olga Kononykhina
Data Scientist, ZiviZ im Stifterverband
olga.kononykhina@stifterverband.de
Dieser Text ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 International Lizenz