Gute und verantwortungsvolle Unternehmensführung und gesellschaftliche Verantwortung der Unternehmen sind definitiv keine Wahlkampfthemen. Keine Partei verfolgt ein strukturiertes Konzept als Teil eines neuen Ordnungsrahmens oder Förderkonzeptes für unternehmerisches Handeln. Best practices von Großunternehmen und das Ausrollen dieser Konzepte in den Mittelstand haben keine Konjunktur. Eine systematische Aufarbeitung, welche Rolle den Unternehmen, ihrer inneren Verfassung und ihren Aufgaben in der Zivilgesellschaft zukommen, hat offensichtlich nicht stattgefunden.
Ein Gastbeitrag von Reinhold Kopp.
„Wahlprogramme sollen zeitlich begrenzte Handlungsperspektiven für anstehende politische Problemlagen der kommenden Legislaturperiode festlegen. Wahlprogramme dienen in den seltensten Fällen den Bürgern als Lektüre, wohl aber den Journalisten als Vorlage“ (Andrea Römmerle, Direkte Kommunikation zwischen Parteien und Wählern, S. 52). An dieser Messlatte gemessen sind die Adressaten der Wahlprogramme nicht eindeutig: Polemik und schwer verständliche Texte wechseln sich ab; Geduld für umfangreiches Lesematerial ist jedenfalls erforderlich. So um die 90 Seiten sind Standard; lediglich Bündnis 90/ die Grünen benötigen einen deutlich größeren Umfang, um ihren Weg aus der Krise, den „Grünen Neuen Gesellschaftsvertrag“, zu erläutern. Die Linke hingegen, geführt von zwei ausgesprochen demagogischen Talenten, begnügt sich mit 38 Seiten zugespitzter Formulierungen. „Regierungsprogramm“ bezeichnen realistischerweise nur CDU und SPD ihre Angebote an die Wähler, da zumindest eine dieser Parteien in einem 5-Parteien-Parlament zur Regierungsbildung benötigt wird.
Seit den Wirtschaftsskandalen und Unternehmenszusammenbrüchen an der Wende zum neuen Jahrtausend finden die Themen gute Unternehmensführung und gesellschaftliche Verantwortung unter den Stichworten Corporate Governance und Corporate Social Responsibility großen Widerhall in der politischen und wissenschaftlichen Diskussion. Freiwillige Selbstverpflichtungen der Wirtschaft und eine anhaltend rege Gesetzgebung, zuletzt das Gesetz zur Angemessenheit der Managervergütung, konkretisieren die Verantwortlichkeiten der Unternehmensorgane und fordern strikte Compliance. Seit der weltweiten Finanzkrise hat sich dieser Impetus verstärkt; im Fokus stehen ein neuer Ordnungsrahmen für die internationalen Wirtschafts- und Finanzmärkte ebenso wie strenge Anforderungen an individuell verantwortliche Unternehmensführung. Inwieweit schlagen sich diese Themen auch in den Wahlprogrammen der Parteien nieder?
Das Regierungsprogramm 2009-2013 der CDU benennt unter dem Eingangskapitel „Zusammenhalt schafft Zukunft“ als Ursachen für die weltweite Wirtschafts- und Finanzkrise das Fehlen eines soliden Ordnungsrahmens und individuelle Verantwortungslosigkeit. Das Programm zieht daraus den Schluss, dass man international eine Wirtschaftsordnung braucht, die von Verantwortungsbewusstsein getragen wird und sich an den Prinzipien des „ehrbaren Kaufmanns“ orientiert. Diese verantwortungsbewusste Wirtschaftsordnung wird gleichgesetzt mit der Sozialen Marktwirtschaft. Wenig später heißt es, dass Wertschöpfung und Wertschätzung zusammengehören und diese Prinzipien international verankert werden sollen. Unmissverständlich lehnt die CDU es ab, dass der Staat unternehmerische Entscheidungen an sich zieht. Die CDU tritt dafür ein, dass der Staat Hüter der Ordnung ist. Er muss helfen, dass die Selbstheilungskräfte der Wirtschaft neu geweckt werden. Soweit der allgemeine ordnungspolitische Teil.
Unter der Überschrift „Faire Regeln für internationale Finanzmärkte und Weltwirtschaft“ wird der ehrbare Kaufmann nochmals bemüht; aber nur in dem Sinne, dass er die Prinzipien Vorsicht und Vorsorge zugrunde zu legen hat. Weitere Hinweise, wie Unternehmensführung und –kontrolle gestärkt oder weiterentwickelt werden können, welche Instrumente dafür eingesetzt werden könnten und wie freiwillige Verantwortung gefördert werden soll, finden sich nicht. Entweder hält die CDU das Thema Unternehmensverfassung und Integrität der Unternehmensprozesse für abgearbeitet oder sie betrachtet es im Hinblick auf das Interesse der Wähler als nicht relevant. Auch das Thema gesellschaftliche Verantwortung kommt nicht vor. Unter dem Stichwort „zur aktiven Bürgergesellschaft ermutigen“, taucht lediglich die Stärkung des Ehrenamtes auf, nicht aber der Beitrag der Wirtschaft in der Zivilgesellschaft.
Dabei würden eigenverantwortlicher Spielraum für Unternehmen und die Förderung gesellschaftlicher Verantwortung der Wirtschaft gut zueinander passen. Die CDU hatte das Thema aber auch in der laufenden Legislatur kaum besetzt. Gesellschaftliche Verantwortung (CSR) hatte sie im Koalitionsvertrag dem von der SPD geführten Arbeitsministerium überlassen; weder Kanzleramt noch Wirtschaftsministerium interessierten sich für die Entwicklung des Themas, das bei nachhaltig orientierten Investoren, der Zivilgesellschaft und der Presse auf immer größeres Interesse stößt.
Das Regierungsprogramm der SPD strebt ein nachhaltiges Deutschland an, mit einem Gleichgewicht zwischen wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Zielen. Im Gegensatz zum beliebten Managerbashing einiger prominenter Akteure der Partei heißt es zunächst, dass für viele langfristig denkende Unternehmer und Manager Leistung und Verantwortung zusammengehören. Unter der Überschrift „Neustart der Sozialen Marktwirtschaft“ wird das Programm schärfer und kritisiert, dass der – begrifflich auch von der Linken ständig benutzte – Marktradikalismus das Unwesen der immer höheren Renditen, des Kurzfristdenkens in Teilen der Wirtschaft und die Maßlosigkeit bei der persönlichen Vergütung zur Grundbedingung des Wirtschaftens verursacht. Jeder Versuch, Regeln, Transparenz und Kontrolle durchzusetzen, würde als falsche Einmischung in das freie Spiel der Kräfte denunziert. Kein Wort zur Tatsache, dass sowohl die rote/grüne als auch die große Koalition seit dem KontraG 1998 in erstaunlicher Kontinuität eine Vielzahl von neuen Regeln für die Unternehmensführung umgesetzt haben.
Im Gegensatz zur CDU ist das SPD-Programm an vielen Stellen deutlich konkreter, was Unternehmensführung und gesellschaftliche Verantwortung betrifft. Es fordert (die inzwischen umgesetzte) Begrenzung von Managergehältern und die Begrenzung der steuerlichen Abzugsfähigkeit dieser Gehälter oberhalb 1 Mio EUR.
Das Programm fordert den Vorrang für eine am langfristigen Erfolg ausgerichteten Unternehmensführung (Bilanzen und Rechnungslegung für Langfristigkeit und Nachhaltigkeit), die Verantwortung von Unternehmen gegenüber Gemeinwohl und Arbeitnehmern (so bereits geltendes AktG) und die bessere Ausbildung von Managern hinsichtlich Verantwortungsgefühl und sozialer Kompetenz. Freiwillige Initiativen der Wirtschaft sollen unterstützt werden. Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft sollen sich um gemeinsame Grundlagen für nachhaltiges Wachstum bemühen. Verantwortlich handelnde Unternehmen und Banken würden langfristig bessere Ergebnisse, höhere Qualität liefern und motiviertere Arbeitnehmer haben. Überraschend wird auch ein Bewertungsmaßstab für „gute Arbeit“ (Human Potential Index) eingeführt. Selbstverständlich betont die traditionelle Partei der abhängig Beschäftigten die Sozialpartnerschaft, die Ausweitung der Mitbestimmung und mehr Rechte für Betriebsräte.
Die SPD profitierte offensichtlich von ihrer Ressortzuständigkeit für gesellschaftliche Verantwortung (CSR) und konkretisiert Leitlinien der Nachhaltigkeit auch für die Unternehmensführung.
Interessant ist weiter, dass die SPD ein gesetzliches Lobbyregister verlangt.
Die FDP stellt erwartungsgemäß die Soziale Marktwirtschaft heraus, deren Leistungsfähigkeit nicht in Frage zu stellen sei. Staatliche Ordnungspolitik setze die Rahmenbedingungen, solle sich aber von immer mehr und weitergehenden Regulierungen freihalten. Der Staat müsse sich aus der Wirtschaft zurückziehen. Als einzige Partei verlangt die FDP deutlich eine finanzielle Haftung der Manager in der Finanzwelt, die unverantwortliche Risiken eingegangen sind. Das Programm schlägt Verhaltenskodices für Führungskräfte vor, die in Übereinstimmung mit unseren gesellschaftlichen Werten und Normen stehen. Die Vorstandsvergütung sei neu auszurichten, bestehende Schadensersatzansprüche müssten durch den Aufsichtsrat auch tatsächlich geltend gemacht werden; dazu müsse das materielle Recht verschärft werden, was etwas kryptisch bleibt. Weiter finden sich konkrete Vorschläge zur Corporate Governance, wie kleinere Aufsichtsräte, eine Mindestwartefrist von 3 Jahren beim Wechsel zum AR-Vorsitzenden, Begrenzung auf 5 AR-Mandate pro Person und die Professionalisierung der Kontrollorgane mit einem Hinweis auf den Deutschen Corporate Governance Kodex. Mit einem Seitenhieb auf die Betriebsräte, die sich ebenfalls der Transparenz und einem Ehrenkodex unterwerfen müssten, erweist sich die FDP wieder als arbeitgeberfreundlich. Freiwillige CSR-Konzepte und andere Formen der gesellschaftlichen Verantwortung werden nicht angesprochen.
Die Länge des Programms von Bündnis 90/Die Grünen steht in einem umgekehrt proportionalen Verhältnis zu Ausführungen zum Untersuchungsgegenstand Unternehmensführung und gesellschaftliche Verantwortung. Der neue Gesellschaftsvertrag wird mit mehr Demokratie und weniger Lobbyismus verbunden, wobei man sich offenbar auf die negative Wirkung des Begriffs Lobbyismus verlässt, ohne die Fehlentwicklungen im Einzelnen zu beschreiben. Zur Unternehmensverfassung findet lediglich Erwähnung, dass das Unternehmensinteresse im Aktienrecht konkretisiert werden müsse und dass man sich Wirtschaftsdemokratie durch die Stärkung der Kleinaktionäre erwartet. Eine überraschende Annäherung an die SPD besteht darin, dass Mitbestimmung und Betriebsräte gestärkt werden müssten. Ansonsten finden sich Annäherungen an die soziale und ökologische Wirtschaftsordnung der SPD, ergänzt um die Begrifflichkeit der humanen Wertschöpfungsbasis. Freiheit im Sinne grüner Marktwirtschaft meine nicht die Abwesenheit von Regulierung. Unsere Wirtschaft brauche ein neues Fundament; dabei dürfe man sich keine Denkverbote auferlegen, Viele Aussagen bleiben also sehr plakativ. Das gilt z. B. auch für „Schluss mit Manager-Boni“ oder „die Spielhölle der Finanzjongleure wird geschlossen“ (eine Anlehnung an den Wortgebrauch der Linken); starke Worte erlauben aber keine konkrete Einblicke in gestaltende Maßnahmen.
Die Linke fordert unter einem Zitat von Karl Marx eine neue Wirtschafts- und Sozialordnung. Alle Banken sollen dem Gemeinwohl dienen. Später wird gefordert, dass alle privaten Banken vergesellschaftet werden sollen. Die Sozialbindung des Eigentums solle auch auf betrieblicher Ebene gelten, was immer das heißen mag. Wiederholt werden Wirtschaftsdemokratisierung und Belegschaftsbeteiligung angemahnt, die Gewerkschaften sollen ein Verbandsklagerecht erhalten.
Da der Staat Einfluss auf die Wirtschaft nehmen soll, staatliche Hilfen in Eigentumsanteile oder Mitarbeiterbeteiligungen umgewandelt werden sollen, bleibt kein Raum für eine bessere Governance und Verantwortungsübertragung an Unternehmensorgane, denen pauschal nur Gier und Profitstreben unterstellt wird. Die Demokratisierung aller Lebensbereiche bleibt ein Schlagwort, das zu Eingriffen des Staates in alle Lebensbereiche herhalten muss, eine lebendige Zivilgesellschaft unter Beteiligung der Unternehmen aber nicht in die Gestaltungsperspektive einbezieht. Also schlicht Fehlanzeige im Hinblick auf den Untersuchungsgegenstand.
Fazit:
Gute und verantwortungsvolle Unternehmensführung und gesellschaftliche Verantwortung der Unternehmen sind definitiv keine Wahlkampfthemen. Keine Partei verfolgt ein strukturiertes Konzept als Teil eines neuen Ordnungsrahmens oder Förderkonzeptes für unternehmerisches Handeln. Best practices von Großunternehmen und das Ausrollen dieser Konzepte in den Mittelstand haben keine Konjunktur. Vorrangig ist die Suche nach einem neuen Ordnungsrahmen für die internationalen Finanz- und Wirtschaftsbeziehungen und die verbale Schlacht um die nationale Wirtschaftsordnung. Eine systematische Aufarbeitung, welche Rolle den Unternehmen, ihrer inneren Verfassung und ihren Aufgaben in der Zivilgesellschaft zukommen, hat offensichtlich nicht stattgefunden. Es verwundert, dass ein Feld jahrelanger aktiver gesetzgeberischer und sonstiger Aktivitäten (gerade hat die Bundesregierung nach jahrelanger Diskussion einen Public Corporate Governance Kodex beschlossen) keiner tieferen politischen Erörterung wert ist. Unsere Fragestellung wird offenbar als „Expertenwissen“ gewertet, das breiteren Wählerschichten nicht ausgebreitet werden muss. Im Hintergrund mag auch mitschwingen, dass Selbstverpflichtungen und freiwilligen Verhaltensstandards generell keine besondere Bedeutung zugemessen wird angesichts des behaupteten Managerversagens, das sich alle Parteien – allerdings in stark unterschiedlicher Akzentuierung – zu Eigen gemacht haben. Die pauschale Aversion von SPD, Grünen und Linken gegen Lobbyismus scheint Misstrauen zu signalisieren gegenüber dem stärkeren Engagement der Unternehmen in der Zivilgesellschaft jenseits des reinen Mäzenatentums.
Die „Klientelpartei“ FDP setzt sich immerhin mit Einzelfragen der Corporate Governance auseinander, ohne dessen Funktion als Steuerungsinstrument für werteorientierte Unternehmensführung, Transparenz und öffentliche Vertrauensbildung auszuloten. Sie vergibt die Chance, neue Formen der Governance mit „soft law“ oder Ko-Regulierung zu propagieren.
Immerhin unternimmt die SPD den ansatzweisen Versuch, Unternehmensführung mit Nachhaltigkeit in Beziehung zu bringen Die angesprochenen Ziele bleiben aber letztlich ein Torso, dem umzusetzende Handlungsperspektiven fehlen. Lediglich bei CSR haben die in den letzten 2 Jahren verstärkten Initiativen des Arbeitsressorts Eingang in das Regierungsprogramm der SPD gefunden. Ein wirkliches Angebot zum Dialog mit zahlreichen Stakeholdergruppen in dem Feld der gesellschaftlichen Verantwortung der Wirtschaft wird damit aber nicht verbunden.
Reinhold Kopp ist Fachanwalt für Arbeitsrecht in der HEUSSEN Rechtsanwaltsgesellschaft mbH Berlin und Honorarprofessor an der UMC Potsdam (FH). Email des Autors: r.kopp@umc-potsdam.de