Als in Deutschland im März 2020 Kontaktbeschränkungen erlassen wurden und Geschäfte schließen mussten, haben die Bürgerstiftungen schnell reagiert. Mit vielfältigen Hilfsangeboten haben sie daran mitgewirkt, die Folgen der Pandemie abzumildern. Die Angebote, anfangs als direkte Reaktion auf den ersten Lockdown entstanden, wurden verstetigt und weiterentwickelt. Im Laufe des Jahres 2020 haben vier von fünf Bürgerstiftungen mindestens ein Corona-Hilfsangebot bereitgestellt. Ein Drittel der Bürgerstiftungen haben diese Hilfen sogar zum Schwerpunkt ihrer Arbeit gemacht. (1) Dabei sind die Angebote der Bürgerstiftungen so vielfältig wie die Folgen der Corona-Krise selbst.
Von Jonas Rugenstein
Schaubild 1: Was Bürgerstiftungen in der Corona-Krise tun
Ein wesentlicher Teil der Corona-Hilfsangebote der Bürgerstiftungen besteht in der Bereitstellung von finanzieller Unterstützung. Damit sollen die ökonomischen Folgen der Pandemie für Kulturschaffende, Soloselbstständige, aber auch gemeinnützige Organisationen abgemildert werden. Finanziert werden die Hilfsangebote entweder aus Mitteln der Bürgerstiftung oder durch eigens eingerichtete Hilfsfonds. Bürgerstiftungen werben dabei zielgerichtet Spenden von Privatpersonen und Unternehmen ein und verteilen diese Hilfsgelder dort, wo sie vor Ort gebraucht werden.
Die Bürgerstiftungen sind aber nicht nur als Vermittlerinnen von privaten Corona-Hilfsgeldern aktiv geworden. Sie sind ebenso Anlaufstellen für all diejenigen, die anderen während der Krise mit ihrer Zeit helfen wollen. Knapp ein Drittel der Bürgerstiftungen koordinieren und vermitteln lokale Hilfsangebote wie beispielsweise den Einkaufsservice für ältere Menschen. Nicht selten passen sie bereits seit Jahren bestehende und erprobte Projekte auf die Herausforderungen der aktuellen Situation an.
Die Bürgerstiftungen haben ihre Hilfsangebote im Laufe der Pandemie immer wieder dem Bedarf vor Ort angepasst. Als im Frühjahr 2021 Gesichtsmasken ein knappes Gut waren, haben die Bürgerstiftungen vielerorts reagiert und die Produktion von Stoffmasken von Privatpersonen unterstützt. Sie haben Material gesammelt, die Arbeiten koordiniert und die fertigen Masken verteilt. Ein Problem, das im Frühjahr 2021 durch die flächendeckende Versorgung mit FFP2-Masken nicht mehr besteht. Dafür entstehen neue Herausforderungen, beispielsweise bei der Buchung eines Impftermins, und so haben sich einige Bürgerstiftungen dieses Problems angenommen. Sie unterstützen ältere Impfberechtigte dabei, einen Termin im Impfzentrum zu erhalten, und organisieren mitunter auch die Fahrt dorthin.
Möglich wird die schnelle und am jeweiligen Bedarf ausgerichtete Hilfe, weil alle Bürgerstiftungen über breit angelegte Stiftungszwecke verfügen. Sie sind ein Wesensmerkmal einer Bürgerstiftung und ermöglichen, flexibel dort zu helfen, wo Hilfe benötigt wird. (2) Ein weiterer Faktor für die Stabilität der Bürgerstiftungen in Krisensituationen ist ihr breit verzweigtes Netzwerk. Durch viele Kontakte in die lokale Zivilgesellschaft und Wirtschaft wissen die Bürgerstiftungen, wo Unterstützung gebraucht wird und wo die Ressourcen für die Bewältigung der Herausforderungen liegen.
Nähe unter Einhaltung des Abstandsgebots
Dass Bürgerstiftungen schnell und pragmatisch helfen, ist eine Geschichte der Corona-Krise. Eine andere lautet, dass die Bürgerstiftungen durch die Folgen der Corona-Pandemie besonders stark herausgefordert sind. Denn egal ob operativ oder fördernd tätig, ihr Engagement beruht fast immer auf menschlicher Nähe und persönlichen Kontakten. Dementsprechend sind fast alle Arbeitsbereiche der Bürgerstiftungen negativ von der Pandemie betroffen. Am stärksten spüren die Bürgerstiftungen die Auswirkungen dort, wo am meisten Begegnungen stattfinden: bei der Durchführung von Veranstaltungen und Projekten sowie bei der Zusammenarbeit in den Gremien.
Negativ betroffen ist ebenfalls das Einwerben von Spenden. Für die Bürgerstiftungen wichtige Fundraisingaktionen, wie beispielsweise ein Spendenlauf oder das Bürgerfrühstück, konnten im Jahr 2020 nicht wie gewohnt durchgeführt werden. Bei der Analyse der Spendeneinnahmen zeigt sich, dass die Folgen der Corona-Pandemie die Bürgerstiftungen unterschiedlich stark treffen. Während gut ein Drittel der Bürgerstiftungen im Frühjahr 2020 im Zusammenhang mit Corona erfolgreich Spenden eingeworben hat, hatten zwei Drittel zu diesem Zeitpunkt keine oder nur sehr wenig Spenden eingeworben.
Schaubild 2: Wie Bürgerstiftungen die negativen Auswirkungen der Corona-Krise spüren
Insgesamt sind rund 27.000 Ehrenamtliche in den Bürgerstiftungen aktiv: in den Gremien, in operativen Projekten und bei Aktionen. (3) Die Gewinnung von und Zusammenarbeit mit Ehrenamtlichen war im Frühjahr 2020 noch eine vergleichsweise kleine Herausforderung für Bürgerstiftungen. Die Hilfsbereitschaft in der Bevölkerung war zu diesem Zeitpunkt groß und die Bürgerstiftungen eine Anlaufstelle für viele Freiwillige. Im Laufe des Jahres 2020 ändert sich diese Situation jedoch. Viele der Projekte konnten nicht wie gewohnt durchgeführt werden und je länger die Pandemie dauert, umso mehr wird die Gewinnung und Bindung von Ehrenamtlichen auch für Bürgerstiftungen ein Problem. Ein Trend, der sich bei vielen gemeinnützigen Organisationen in Deutschland zeigt. (4)
Digitalisierung als Chance und Herausforderung
Bei der Bewältigung der aktuellen Herausforderungen spielt die Digitalisierung eine immer größere Rolle. Rund 40 Prozent der Bürgerstiftungen messen der Digitalisierung und der mobilen, dezentralen Zusammenarbeit eine hohe Bedeutung zu. Das sind doppelt so viele wie vor der Corona-Krise. Während des ersten Lockdowns erlebten viele Bürgerstiftungen eine Digitalisierung im Schnelldurchlauf. Sie findet in nahezu allen Arbeitsbereichen statt und reicht von der Bereitstellung virtueller Projekte und Angebote für Ehrenamtliche über digitale Fundraisingevents bis zur virtuellen Vorstandssitzung inklusive Beschlussfassung.
Der Prozess der Digitalisierung wird von vielen Bürgerstiftungen positiv wahrgenommen. (5) Hier liegt bei allen Problemen, welche die Corona-Krise mit sich bringt, auch eine Chance für die Bürgerstiftungen. Mit dem aktuellen Digitalisierungsschub modernisieren sich die Bürgerstiftungen und machen ihre Arbeitsweise damit zukunftsfähig. Für künftige Generationen von Engagierten werden sie hierdurch attraktiver.
In den kommenden Jahren wird es darauf ankommen, dass alle Bürgerstiftungen dazu in der Lage sind, die aktuell stattfindenden Veränderungen nachzuvollziehen und zu bewältigen. Denn schon jetzt gibt es Anzeichen dafür, dass einige Bürgerstiftungen besser mit den Folgen und Erfordernissen der Corona-Krise zurechtkommen als andere. Die unterschiedlich ausfallenden Spendeneinnahmen sind ein Indikator hierfür.
Für allzu große Sorge besteht im Blick auf die Bürgerstiftungen derzeit aber kein Grund. Denn selbst wenn die Corona-Krise noch länger dauern sollte, mit ihrem Stiftungsmodell bringen die Bürgerstiftungen gute Voraussetzungen mit, um die anstehenden Herausforderungen zu bewältigen. Ihre Krisenfestigkeit haben sie in den vergangenen 25 Jahren bereits mehrfach unter Beweis gestellt und im vergangenen Jahr konnten sie erneut zeigen, dass in schwierigen Zeiten auf sie Verlass ist.
Jonas Rugenstein
ist Programm-Manager Umfragen & Analysen bei der Stiftung Aktive Bürgerschaft
jonas.rugenstein@aktive-buergerschaft.de
Bürgerstiftungen
sind lokale Mitmach-Stiftungen. Mit Geld, Zeit und Ideen engagieren sich Menschen in ihnen ehrenamtlich für ihre Gemeinde, Stadt oder Region. Sie schaffen Bleibendes, indem sie langfristig einen Kapitalstock aufbauen, um aus den Erträgen und durch zusätzliche Spenden lokale gemeinnützige Vereine und Initiativen zu fördern oder eigene Projekte umzusetzen.
Anmerkungen:
(1) Die Zahlen in diesem Text stammen, wenn nicht anders gekennzeichnet, aus dem von der Stiftung Aktive Bürgerschaft herausgegebenen „Report Bürgerstiftungen. Engagement in der Corona-Krise 2020“. Sie sind das Ergebnis einer repräsentativen Onlinebefragung, die im Frühjahr 2020 unter den 415 Bürgerstiftungen in Deutschland durchgeführt wurde. Alle Ergebnisse online unter: www.aktive-buergerschaft.de/reportbuergerstiftungen.
(2) Arbeitskreis Bürgerstiftungen des Bundesverbandes Deutscher Stiftungen: 10 Merkmale einer Bürgerstiftung, 2000.
(3) Stiftung Aktive Bürgerschaft: Report Bürgerstiftungen. Zusammenarbeit mit Ehrenamtlichen 2018, 2018; online abrufbar unter: https://www.aktive-buergerschaft.de/wp-content/uploads/2018/09/ReportBuergerstiftungen2018_erweiterteFassung.pdf.
(4) Kai Hoff u.a.: Weniger Handlungsspielräume trotz besonderer Leistungen, herausgegeben von ZiviZ im Stifterverband, 2021; online abrufbar unter: https://www.ziviz.de/corona.
(5) Christiane Biedermann/Stefan Nährlich: Digitale Bürgerstiftung, in: Stiftung & Sponsoring, 01/2021.
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