Bundesentwicklungsminister Gerd Müller forderte seit Jahren, „Made in Germany“ solle nicht nur für beste Qualität, sondern auch für die Wahrung der Menschenrechte stehen. Nun liegt endlich ein Regierungsentwurf für ein deutsches Lieferkettengesetz vor. Er wirkt zwar wie ein fauler Kompromiss, gibt aber dennoch den Start in die richtige Richtung. Die EU will bald nachlegen und ein schärferes Gesetz auf den Weg bringen.
Von Alice Gumppenberg
Die verantwortungsbewusste und nachhaltigkeitsorientierte Gestaltung der Lieferkette ist kein Exotenthema mehr. Im vergangenen Jahr ließ sich gut beobachten, wie sich die Grenzen des Nachhaltigkeitsmanagements in Unternehmen zunehmend in die Lieferketten hinein verschieben. Denn es wächst die Erkenntnis, dass die mit der Wertschöpfung verbundenen ökologischen und sozialen Herausforderungen nur durch eine Zusammenarbeit entlang der Lieferkette gelöst werden können.
Mangel an Menschenrechten ist eklatant
Laut einer aktuellen Studie der Universität Chicago (1), arbeiten noch immer rund 1,5 Millionen Kinder unter katastrophalen Bedingungen auf Kakaoplantagen in Westafrika, wo rund 70 Prozent des in Deutschland verarbeiteten Kakaos angebaut werden. Deutsche Verbraucher:innen müssen also davon ausgehen, dass in ihrer Schokoladentafel mit hoher Wahrscheinlichkeit ausbeuterische Kinderarbeit steckt. Schokoladenhersteller wie Mars und Nestlé hatten bereits vor 20 Jahren im sogenannten Harkin-Engel-Protokoll versprochen, die schlimmsten Formen der Kinderarbeit bis 2005 zu beenden. Und zuletzt hatte die Industrie eine Reduzierung der Kinderarbeit um 70 Prozent bis 2020 in Aussicht gestellt.
Daraus geworden ist aber nichts, wie die genannte Studie belegt, und Kinderarbeit hat in den letzten zehn Jahren nicht abgenommen. Im Gegenteil: Der Anteil an arbeitenden Kinder in landwirtschaftlichen Haushalten (z. B. Kakaoproduktion) stieg signifikant um 16 Prozent. So leben weltweit noch immer rund 25 Millionen Menschen in Zwangsarbeit und mehr als 150 Millionen Kinder zwischen fünf und siebzehn Jahren arbeiten, anstatt in die Schule zu gehen. Das Hauptproblem liegt in den Vorstufen der Lieferketten, die meist außerhalb der Landesgrenzen angesiedelt sind. Doch Formen von Zwangsarbeit kommen auch in Deutschland vor – von schlecht bezahlten Saisonkräften in der Landwirtschaft über Zeitarbeiter:innen in der Industrie bis hin zu Lohnarbeiter:innen von Sub-Unternehmen in der Fleischindustrie.
Gesellschaftlicher Wertewandel fordert Umdenken
Dabei zeigt sich: Produktherkunft und Verarbeitung werden als Einflussfaktor für die Kaufentscheidung immer relevanter. Auch die Nachfrage an nachhaltigen Produkten in Deutschland steigt. Umweltbewegungen wie „Fridays for Future“ verstärken das veränderte Konsumverhalten, wirken sie doch tief in das gesellschaftliche Bewusstsein hinein. So wird Nachhaltigkeit für 70 Prozent der Verbraucher:innen in den kommenden fünf Jahren an Bedeutung zunehmen. Und genauso viele Verbraucher sind bereit, für nachhaltig produzierte Waren mehr zu bezahlen. (2)
Nach einer Umfrage des Logistikdienstleisters Hermes (3) sind sich auch die Verantwortlichen in den Unternehmen dieses Wandels bewusst: Gut zwei Drittel schreiben Nachhaltigkeitsaspekten im eigenen Supply-Chain-Management (SCM) eine hohe Bedeutung zu. 71 Prozent glauben zudem, dass diese Bedeutung innerhalb der letzten zwei Jahre zugenommen hat. So spüren 86 Prozent der befragten Unternehmen großen Druck, eine nachhaltige Lieferkette aufzubauen. Doch nur sieben Prozent der Unternehmen kennen bereits ihre komplette Lieferkette. (4)
Das Prinzip Freiwilligkeit hat versagt
Um die Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte der Vereinten Nationen in Deutschland umzusetzen, hatte die Bundesregierung mit dem Nationalen Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte (NAP) viele Jahre auf freiwilliges Engagement gesetzt. Als es dann angesichts einer im Koalitionsvertrag vorgesehenen gesetzlichen Regelung zum Schwur kam, ergab die Befragung der betroffenen Unternehmen, dass nur 17 Prozent die Anforderungen des NAP erfüllten. (5)
Zugleich stieg in der Bevölkerung das Unverständnis für die mangelnde Berücksichtigung von Menschenrechten: 75 Prozent meinten, es brauche nun eine gesetzliche Regelung. (6) Und so wurde die Bundesregierung quasi halbherzig aktiv. Nach langen Verhandlungen und öffentlichen Diskursen hat das Bundeskabinett am 3. März 2021 einen Entwurf zum deutschen Sorgfaltspflichtengesetz beschlossen. Viele waren enttäuscht, denn er wirkt nach dem heftigen Gerangel zwischen Arbeits- und Entwicklungsministerium auf der einen und dem Wirtschaftsministerium auf der anderen Seite wie ein fauler Kompromiss – und ist doch besser als nichts.
Das Lieferkettengesetz musste kommen
Das Gesetz gilt ab dem 1. Januar 2023 für Unternehmen mit mehr als 3.000 Mitarbeitenden (das betrifft rund 650 Unternehmen in Deutschland) und ab 1. Januar 2024 für Unternehmen mit mehr als 1.000 Beschäftigten (das betrifft knapp 2.890 Unternehmen in Deutschland), die ihre Hauptverwaltung, ihre Hauptniederlassung, ihren Verwaltungssitz oder ihren satzungsmäßigen Sitz im Inland haben. Sie sind dann gesetzlich verpflichtet, Menschenrechte und Umweltvorgaben in der Lieferkette einzuhalten, wobei es zwei Arten von Sorgfaltspflichten gibt:
- die unmittelbaren Sorgfaltspflichten für das eigene Unternehmen und direkte Zulieferer
- die mittelbaren Sorgfaltspflichten für weitere Lieferantenstufen bei substantiierter Kenntnis von Verstößen
Verstöße werden durch Bußgelder geahndet, die bis zu drei Prozent des Vorjahresumsatzes ausmachen können. Außerdem kann es zum Ausschluss bei öffentlichen Ausschreibungen von bis zu drei Jahren kommen. Es gibt weiterhin den zivilrechtlichen Haftungsweg nach internationalem Privatrecht, jedoch mit erweiterter Prozessstandschaft. Das heißt: Betroffenen soll die Möglichkeit gegeben werden, etwaige zivilrechtliche Ansprüche (z. B. bei Körperverletzungen oder im Todesfall) mit Hilfe von Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen in Deutschland geltend zu machen. Für die Kontrolle der Einhaltung der Sorgfaltspflichten ist das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) zuständig.
Wichtige Orientierung trotz geringer Ambition
Auch wenn das Gesetz unter den Erwartungen von Nichtregierungsorganisationen und den Plädoyers der Ministerien für Arbeit sowie Entwicklung geblieben ist sowie der Kreis der betroffenen Unternehmen zunächst sehr überschaubar bleibt, geben seine Regelungen doch detailliert vor, wie ein nachhaltiges Lieferkettenmanagement auszusehen hat. Und damit gibt es wichtige Orientierung. Denn auch wenn viele Unternehmen den Druck aus dem Gesetz aktuell noch gut abwehren können, kümmern sich nun doch immer mehr darum, ihre Lieferkette zu überprüfen und neu bzw. verantwortungsbewusst aufzustellen. Dafür formuliert das Gesetz klare Anforderungen, wie die Einführung eines Risikomanagements, die Erstellung einer Grundsatzerklärung und Präventionsmaßnahmen, Ergreifung von Abhilfemaßnahmen, die Einrichtung von Beschwerdeverfahren und eine detaillierte Dokumentations- und Berichtspflicht.
Anspruch und Ausblick
Bis „Made In Germany“ tatsächlich auch für transparente und nachhaltige Beschaffung steht, wird es noch dauern. Deutsche Unternehmen, auch kleine und mittelständische, sollten jetzt aber nicht „aufatmen“ und das Thema vertagen, sondern sich rasch auf veränderte Rahmenbedingungen einstellen. Denn:
- Im internationalen Kontext ist eher mit strengeren Regeln zu rechnen, wie die aktuell diskutierten EU-Regelungen, die schärfer ausfallen werden als das deutsche Gesetz und noch dieses Jahr kommen sollen.
- Auch wenn ein Unternehmen vom Lieferkettengesetz selbst nicht betroffen ist, wird es als Lieferant die Vorgaben von Kunden zu erfüllen haben.
- Obwohl sich keine Lieferkette von heute auf morgen ändern lässt, kann man doch viele kleine Schritte in die richtige Richtung machen.
- Jedes Unternehmen sollte sich heute grundlegend mit seiner Lieferkette beschäftigen und Lösungen dafür finden, eine gute und resiliente Lieferantenbasis aufzubauen.
Alice Gumppenberg
ist Senior Expert für nachhaltige Lieferketten bei akzente kommunikation und beratung GmbH, die Unternehmen bei der Transformation, dem Reporting und der Kommunikation zu Nachhaltigkeit berät und unterstützt.
alice.gumppenberg@akzente.de
Anmerkungen:
(1) University of Chicago: Assessing Progress in Reducing Child Labor in Cocoa Production in Cocoa Growing Areas of Côte d’Ivoire and Ghana, October 2020.
(2) ey-nachhaltiger-konsum-2020.pdf
(3) Hermes-Barometer-12-Nachhaltigkei-im-SCM.pdf (hermes-supply-chain-blog.com)
(4) Studie zu Nachhaltigkeit in Lieferketten zeigt größeren Druck auf Unternehmen (dnvgl.de)
(5) nap-monitoring-ergebnisindikation-data.pdf (auswaertiges-amt.de)
(6) infratest-dimap_Umfrage-Lieferkettengesetz.pdf
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