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Nachhaltigkeit für öffentliche Hand „vergabefremd“?

Frankfurt > Deutsche Behörden berücksichtigen ökologische Aspekte nur bei 30 Prozent ihres Beschaffungsvolumen – im Vereinigten Königreich sind es dagegen 74 Prozent und im europäischen Vergleich 45 Prozent. Das hatte CSR NEWS mit Bezug auf eine Studie der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers (PwC). Über die nachhaltige Beschaffung der Öffentlichen Hand in Deutschland und über das, was wir von anderen europäischen Ländern lernen können, sprach CSR NEWS mit Dr. jur. Andrea Wilhaus von PwC:

CSR NEWS: Im europäischen Vergleich zur nachhaltigen öffentlichen Beschaffung bildet Deutschland das Schlusslicht. Was unterscheidet die Situation hierzulande von der etwa in Großbritannien, das zu den Vorreitern zählt?

Andrea Wilhaus: In Deutschland wird die Einbeziehung von Umwelt- und Sozialaspekten in das öffentliche Beschaffungswesen immer noch kontrovers unter dem Stichwort „vergabefremde Ziele“ diskutiert. Es gibt hierzu kein eindeutiges Bekenntnis auf Regierungsebene. Der Fortschrittsbericht 2008 der Regierung zur nationalen Nachhaltigkeitsstrategie erkennt jedoch die Bedeutung einer an Nachhaltigkeit ausgerichteten öffentlichen Beschaffung an, was ein positives Signal in diese Richtung ist.
In anderen EU-Ländern wie z.B. GB, Schweden und den Niederlanden gibt es schon lange Initiativen auf Regierungsebene, die GPP vorantreiben, da diese erkannt haben, dass GPP einen wichtigen Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung leisten kann. So hat etwa das britische Office of Government Commerce ein Centre of Expertise in Sustainable Procurement aufgebaut und alle britischen Ministerien wenden bei ihrem Einkauf Leitlinien für eine nachhaltige Beschaffung an. Die niederländische Regierung hat ein GPP-Programm aufgestellt, das einen Grad von 100% GPP bis zum Jahre 2010 (auf zentraler Regierungsebene) bzw. bis 2015 (auf kommunaler Ebene) vorsieht. Dafür werden entsprechende Umweltkriterien für einzelne Produktgruppen und praktische Instrumente für die Umsetzung entwickelt. Alle 2 Jahre findet ein entsprechendes Monitoring statt und die Ergebnisse werden im Parlament diskutiert. Ein so von oberster Stelle kommunizierter politischer Wille motiviert natürlich die Mitarbeiter in den nachgeordneten Vergabestellen, umweltfreundliche Lösungen einzukaufen.

Ein weiterer Aspekt ist, dass das Vergabeverfahren in Deutschland sehr stark reglementiert ist, was dazu führt, dass Mitarbeiter in den Vergabestellen häufig den Vergabevorgang nach bewährtem Muster durchführen. Es besteht bei den öffentlichen Auftraggebern Verunsicherung hinsichtlich der rechtlichen Möglichkeiten, Umweltkriterien in das Vergabeverfahren einzubeziehen. Hier wäre eine Verschlankung des Vergaberechts sinnvoll.

Schließlich hat die Studie gezeigt, dass die Behörden der anderen untersuchten EU-Länder in stärkerem Maße ein Umweltmanagementsystem implementiert haben als es in Deutschland der Fall ist. Schweden ist hier Vorreiter, gefolgt von GB. Deutschland bildet hier das Schlusslicht. Die Ziele, die sich die öffentlichen Stellen in ihrem Umweltmanagement setzten, finden sich natürlich entsprechend als Maßnahmen zur Umsetzung auch im Einkaufsverhalten wieder.

CSR NEWS: Bund – Land und Kommunen: Welche unserer öffentlichen Hände kauft nachhaltiger ein? Gibt es ein Nord-Süd oder ein West-Ost-Gefälle? Und was ist zu tun, um mit den neuen Richtlinien für die öffentliche Vergabe einen nachhaltigen Einkauf zu stärken?

Andrea Wilhaus: Die an der Umfrage teilnehmenden sieben EU-Staaten wurden von der EU deshalb ausgewählt, da sie auf Basis früherer Studien als vorbildlich im GPP gelten. Auf europäischer Ebene zeigt daher bereits diese Auswahl, dass generell die nördlich gelegenen Staaten in Sachen GPP größere Fortschritte verzeichnen. Ein umfassenderes Bild werden wir erhalten, wenn im Jahre 2010 die Umfrage erneut, dann für alle 27 EU-Mitgliedsstaaten, durchgeführt werden wird. Eine regionale Auswertung innerhalb der untersuchten Länder wurde nicht durchgeführt.
Die Umfrage hat allerdings gezeigt, dass tendenziell eher auf dezentraler Ebene, also bei den Kommunen, Umweltaspekte im öffentlichen Einkauf berücksichtigt werden, als auf Bundesebene. Insbesondere die deutschen Großstädte – Vorreiter sind hier München und Düsseldorf – haben in ihre Vergabeordnungen Nachhaltigkeitserfordernisse aufgenommen.

CSR NEWS: Eine regierungsübergreifende Zusammenarbeit und Seminare wurden von den Befragten als Hilfe beim nachhaltigen Einkauf ausgemacht. Gibt es dazu in Deutschland eine Best Practice? Oder was können wir von unseren Nachbarländern lernen.

Andrea Wilhaus: In GB, den Niederlanden und Schweden gibt es schon lange Seminare für die Mitarbeiter bei Vergabestellen zur Implementierung von Nachhaltigkeit in den öffentlichen Einkauf. Sie sind in diesen Ländern ein wichtiger Bestandteil zur Umsetzung der nationalen Strategien für eine nachhaltige Ausrichtung.
Aber auch in Deutschland gibt es mittlerweile ein Angebot an Seminaren zur nachhaltigen öffentlichen Beschaffung. Außerdem gibt es immer mehr Veranstaltungen zu dem Thema, die den öffentlichen Stellen eine Plattform für den Erfahrungsaustausch bieten.

CSR NEWS: Besonders wenig nachhaltig ist die öffentliche Hand im Baubereich, beim Transport und der IT-Beschaffung. Das überrascht, da gerade diese Themen in der öffentlichen Diskussion stehen. Was läuft bei da falsch?

Andrea Wilhaus: Gerade IT und Transport gehören zu den wenigen Produkt- und Dienstleistungsbereichen, bei denen Deutschland erstaunlich gut abschneidet. Beim IT führt Deutschland sogar die ausgewerteten EU-Länder an, indem 97% der von deutschen Behörden eingekauften IT-Güter Umweltaspekte aufweisen. Laut der Umfrage wurden hier überwiegend der Standard des Energy Star als Maßstab für den Einkauf gewählt, was verdeutlicht, dass eine anerkannte Zertifizierung von Umweltstandards die Vergabestellen ermutigt, diese Standards als Vergabevoraussetzung zugrunde zu legen.

Problematisch ist, dass aufgrund der gängigen Praxis der einjährigen Haushaltsplanung die langfristige Perspektive im öffentlichen Einkauf fehlt. Es wird stärker auf die Anschaffungskosten als auf die Kosten der Nutzung und der Entsorgung geschaut. So finden Kosteneinsparungen während der Betriebsphase zu wenig Berücksichtigung. Gerade jedoch im Baubereich und beim Transport führen umweltfreundliche Lösungen zu teilweise deutlichen Kosteneinsparungen während der Betriebsphase, wie die Studie gezeigt hat.
Public Private Partnership-Modelle, die im Hochbau und im Transportwesen immer häufiger angewandt werden, bieten eine gute Chance für Umweltqualität, da sie wegen der üblichen Vertragslaufzeiten über 20-25 Jahre schon bei der Konzeption entsprechend langfristige Planungen von Maßnahmen über den gesamten Lebenszyklus erfordern, und so Kosteneinsparungen etwa durch Energieeffizienz schon in die Kalkulation aufgenommen werden.

Natürlich ist ein vorsichtiger Umgang mit Steuergeldern gefordert, was aber nicht bedeutet, dass die öffentliche Hand immer die – auf den ersten Blick – kostengünstigste Lösung wählen sollte. Vielmehr fordert die durch den Klimawandel sensibilisierte Bevölkerung einen verantwortungsbewussten Umgang mit ihrem Geld, der auch den volkswirtschaftlichen Mehrwert umweltfreundlicher Waren oder Dienstleistungen, etwa reduzierte CO2-Emissionen, berücksichtigen sollte. Zumal die Studie ja gerade auch aufgezeigt hat, dass angesichts geringerer Lebenszykluskosten Umweltschutz in der öffentlichen Beschaffung durchaus Einsparpotential bietet.

CSR NEWS: Wie steht die öffentliche Hand da, wenn Sie deren nachhaltigen Einkauf mit der Nachhaltigkeit des Einkaufs der Industrie oder mit dem privaten Konsum vergleichen?

Andrea Wilhaus: Die öffentliche Hand schaut beim Einkauf noch zu sehr auf die Anschaffungskosten und sieht weniger die langfristigen Vorteile nachhaltiger Produkte und Dienstleistungen. Die Privatwirtschaft hat schon länger erkannt, dass der Einkauf unter nachhaltigen Bedingungen zunächst einmal seinen Preis hat, sich aber langfristig gesehen durch Kosten- und Effizienzvorteile betriebswirtschaftlich rechnet. Die Unternehmen erkennen im Übrigen ihre daraus resultierenden langfristigen Wettbewerbsvorteile, wie etwa ein verbessertes Image und damit eine Stärkung der Marke. Letzteres sollte auch die öffentliche Hand nicht unterschätzen, da sie in sehr viel stärkerem Maß als Unternehmen ihrer verantwortungsbewussten Rolle in der Gesellschaft und ihrer Vorbildfunktion gerecht werden sollte.

Außerdem geht der Trend in der Privatwirtschaft dahin, dass Unternehmen gemeinsam Nachfrageallianzen bilden. Indem sie verstärkt nachhaltig erzeugte Produkte nachfragen, können sie so Einfluss auf die Produktionsbedingungen nehmen.
Solche Allianzen kann auch die öffentliche Hand nutzen. Denn Deutschland weist eine stark fragmentierte Struktur im öffentlichen Einkauf auf. Die öffentliche Hand sollte ihre Einkaufsmacht nutzen, indem etwa Kommunen Einkaufsgemeinschaften bilden, um so Beschaffungsvorgänge zu bündeln. So werden Synergien genutzt und Einkaufsprozesse können standardisiert werden. Qualifizierte Mitarbeiter in zentralen Beschaffungsstellen können so GPP professionell umsetzten und ein Best Practice herausbilden. Einen Schritt in diese Richtung wurde auf Bundesebene mit dem beim Bundesinnenministerium angesiedelten Beschaffungsamt gemacht.

CSR NEWS: Wie können Verwaltungen, die Wirtschaft und die Zivilgesellschaft für eine Förderung des nachhaltigen Einkaufs zusammenwirken? Was wären nächste konkrete Schritte?

Andrea Wilhaus: Ein gutes Beispiel liefert hier Schweden: Die schwedische Regierung hat gemeinsam mit der Privatwirtschaft den Rat für Umweltmanagement (www.msr.se) gegründet. Der Rat bildet eine Plattform für den Austausch zwischen Privatwirtschaft und öffentlicher Hand für Aktionen hin zu mehr Nachhaltigkeit. Ein wichtiges Thema innerhalb dieser Plattform ist GPP. In einem Austauschprozess zwischen der Privatwirtschaft und den öffentlichen Stellen wurden Kriterien für den Einkauf ökologischer Produkte entwickelt.
Ein solcher Austausch wäre sicherlich auch in Deutschland hilfreich, denn so kann die öffentliche Hand von den Erfahrungen der Privatunternehmen im Supply Chain Management profitieren, und es ist gewährleistet, dass die Nachhaltigkeitskriterien für die privaten Anbieter auch tatsächlich praktikabel umsetzbar sind.

Im Übrigen ist die Einhaltung wettbewerblicher Bedingungen im Vergabeverfahren ein ganz wichtiger Punkt, d.h. dass die Angebote der privaten Anbieter überprüfbar und vergleichbar sein müssen – auch hinsichtlich ihrer Umweltstandards. Hier ist auch die Wirtschaft gefragt, in größerem Maße Zertifizierungslösungen zu erarbeiten, die einheitliche Standards und damit eine Vergleichbarkeit der Angebote gewährleisten. Die Studie hat gezeigt, dass die Behörden am häufigsten Umweltanforderungen beim Einkauf zugrunde legen, wenn deren Einhaltung durch entsprechende Zertifikate nachgewiesen ist.

Schließlich möchte ich anmerken, dass es bei der Verankerung von Nachhaltigkeitsaspekten im öffentlichen Einkauf nicht allein um Umweltanforderungen geht. Gerade im Hinblick auf die internationale Beschaffung ist die Einhaltung von Mindestsozialstandards, also der sog. faire Einkauf, ein ganz wichtiges Thema. Hier gibt es bislang nur zu einigen wenigen Produkten die Möglichkeit des Nachweises über unabhängige Zertifikate, da ist also der Nachholbedarf besonders groß.

CSR NEWS: Vielen Dank!

Die Studie “Collection of statistical information on Green Public Procurement in the EU” steht im Internet zum Download zur Verfügung: www.pwc.de/de/sustainability


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