Der Kunststoffingenieur Dieter Gottschalk verantwortet bei Wildplastic die Bereiche Technik, Sourcing, Recycling und Produktion. Das Rohmaterial stammt von Plastics for Change. Über die Ideen hinter dem Startup sprach Achim Halfmann für das CSR MAGAZIN mit dem Ingenieur.
CSR MAGAZIN: Warum bringt Wildplastic als erstes Produkt einen Abfallbeutel auf den Markt?
Dieter Gottschalk: Für Abfallbeutel gibt es einen riesigen und relativ stabilen Bedarf. Wir können einen direkten Impact erzielen und große Mengen recycelten Plastiks direkt einsetzen. Und nicht zuletzt nimmt der Endkunde dieses Produkt wahr und kann durch seine Kaufentscheidung an der Idee des Plastikrecyclings partizipieren. Und nach Gebrauch wird das Material in sichere Verwertungswege eingespeist und landet nicht in der Umwelt.
Wie setzt man ein solches Startup auf die Bahn?
Vor etwa zwei Jahren haben wir uns auf Initiative eines Mitgründers getroffen, gebrainstormt, Erfahrungen aus Indien und dem Amazonas-Gebiet ausgetauscht und relativ schnell verbindende Linien und eine gemeinsame Passion entdeckt. Holger z.B. ist ein professioneller Filmemacher und bringt unsere Ideen in die Öffentlichkeit; Katrin bringt ihre Erfahrungen & Netzwerk als Industriedesignerin ein. Unsere Teammitglieder sind in ihren jeweiligen Sparten sehr erfahrene Experten, die man sonst selten findet. Ich selber bin “Industriemensch”, komme aus der Kunststoffverarbeitung und bin zudem seit mehr als 2 Jahren in der Startup-Szene aktiv.
Es braucht diesen Mix aus Passion und Erfahrung um ein solches Unternehmen zu gründen.
Und diese Leidenschaft “etwas ändern zu wollen” sehen wir nicht nur bei uns, sondern auch bei unseren Partnern. Alle bringen sich in diese Unternehmung ein – sei es durch Investitionen, Projektressourcen oder einfach die Bereitschaft ein solch besonderes Produkt zu unterstützen.
Welche Herausforderungen stellen sich bei Ihrer Unternehmensidee?
Wir müssen in unserem Marketing die Frage beantworten: „Warum sammelt ihr am Ende der Welt Müll auf, um daraus Müllbeutel zu machen?“ Wir holen das Material aus Ländern, die nicht über ein solides Abfallmanagement verfügen – u.a. aus Indien. Und wir wollen erreichen, dass es – nach einem erneuten Produktleben – hier wieder in geschlossene Kreisläufe eingespeist wird.
Bei der Beschaffung des Recyklats kooperieren Sie mit Plastic für Change, deren Müllsammler insbesondere in Indien tätig sind.
Bei Sammlung und Recycling ist das Sortieren des Materials der entscheidende Flaschenhals: Manche Kunststoffe lassen sich schadlos mischen, andere müssen aufwändig getrennt werden. Und dann braucht es Waschprozesse, die Kontaminationen beseitigen. Bei der Produktion von Müllbeuteln haben wir dabei eine etwas größere Toleranzschwelle als etwa bei der Produktion höherwertiger Folien.
Wir sind froh, mit Plastic for Change einen Partner mit fachlicher “Expertise” zu haben. Das erleichtert die Abstimmung etwa zu “Qualitätsanforderungen”. Wir befinden uns ja in einem Entwicklungsprozess, in dem Entscheidungen auf Basis von Vertrauen und remote-Konferenzen getroffen und umgesetzt werden müssen. Allein die Lieferzeit aus diesen Ländern erlaubt keine unendlichen Versuchsreihen. Wir vertrauen unseren Partnern und Plastics for Change sensibilisiert und trainiert dazu seine Mitarbeiter und bringt die Qualitätsentwicklung gemeinsam mit uns voran.
Wie sieht die Zukunftsvision von Wildplastic aus?
Unser Ziel ist es, so viel wildes Plastik wie möglich einzusetzen – Kunststoff also, der aus der Natur eingesammelt und in Recyclingprozesse eingespeist wird. In unseren Produkten wollen wir den Einsatz von wildem Plastik maximieren. Um bestimmte Eigenschaften zu erreichen, entwickeln wir Rezepturen damit die Verarbeitbarkeit in gängigen Prozessen gewährleistet ist.
In jedem Fall steht am Ende ein Produkt, das in den etablierten Recyclingsystemen erneut eingesetzt werden kann.
Die Produktion der Müllbeutel „Wildbag“ ist angelaufen. Durch die Corona-Situation gab es Verzögerungen und auch Qualitätseinbußen in der Lieferkette. Wir haben zunächst eine Mustermenge produziert und kleinere Probleme ausgemerzt. Die Auslieferung an unsere Kunden ist nun für September geplant.
Den Wildbag wollen wir auch in den stationären Handel bringen; die Gespräche mit den Retailern laufen bereits. Daneben gibt es konkrete Überlegungen und erste Umsetzungen für weitere Projekte: So arbeiten wir z.B. mit der Otto Group an Versandbeuteln aus Wildplastic. Die technischen Anforderungen können wir vollumfänglich erfüllen und das Produkt befindet sich im Feldtest. Das ist ein äußerst spannendes Projekt, weil viele Endkunden damit in Berührung kommen.
Zudem schauen wir in den Bereich der Entwicklung höherwertiger Folienprodukte. Das ist eine Herausforderung, weil wir mit Kontaminationen und Schwankungen im Prozess zu kämpfen haben und kein Geruch verbleiben darf. In eigenen Versuchen haben wir bereits klare hochtransparente Folien produzieren können.
Eine große Herausforderung ist: Der Einsatz von Virgin Plastic ist derzeit billiger als der Recyklateinsatz. Es braucht deshalb Marken & Produkte, die unsere Passion teilen, den Purpose vermitteln und die vom Kunden wahrgenommen werden. Diesen Partnern bieten wir ein geschlossenes Konzept zum erfolgreichen Einsatz von “wildplastic”.
Vielen Dank für das Gespräch!