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Wenn unser Leben digital wird

Schulhaus in Dübendorf, Schweiz (Claudio Schwarz auf Usplash)

Corona verändert den Alltag

Die Corona-Pandemie treibt die Digitalisierung aller Gesellschaftsbereiche kräftig voran. Das fordert vom einzelnen Menschen, von Unternehmen und Organisationen nicht nur technische Expertise. Wir müssen entscheiden, wie wir morgen leben wollen.

Von Achim Halfmann

Heute ist ein typischer Corona-Krisen-Tag: Arbeit im Home-Office, Kommunikation mit Kollegen via WhatsApp und Telefon, die Moderation eines Webinars am Vormittag, das Arbeiten in der Cloud und später der Skype-Call mit einem Freund, den ich momentan nicht besuchen kann.

Die Einschränkungen durch die Pandemie haben unseren Alltag einschneidend verändert und digitale Medien leisten einen wesentlichen Beitrag dazu, Arbeitsprozesse und zwischenmenschliche Beziehungen aufrecht zu erhalten.

Viele von uns lernen neue Möglichkeiten ihrer technischen Geräte und neue Applikationen kennen: Wir checken unsere eingebauten Webcams und verbessern die Kalibrierung unserer Mikrofone, um an Web-Konferenzen teilnehmen zu können. In diesen Konferenzen trainieren wir, wie das Gespräch am digitalen runden Tisch funktioniert. Wir entdecken neue digitale Tools für die asynchrone Zusammenarbeit wie das Etherpad oder das Padlet. Und wir finden heraus, auf welchen Kanälen wir am besten mit wem kommunizieren können: Kunden auf XING oder LinkedIn, Freunde und Familienangehörige auf WhatsApp oder Skype, die Kollegen via Zoom oder GoToMeeting. Digitale Kommunikationsmittel verbinden.

Und digitale Kommunikationsmittel irritieren. Das wird in diesen Tagen an der Flut der Corona-Meldungen überdeutlich. News und Fake-News, Lageberichte zu den Nachbarländern, Facebook-Posts aus der Intensivstation, der Twitter-Hashtag #COVID2019 zählt gerade 1,01 Millionen Tweets. Wieviel Social-Media-Gewitter will ich in meinem Leben zulassen? Wie verändert – verängstigt – mich die digitale Kakophonie? Wie unterscheide ich echt von unecht?

„The medium is the message“

Medien besitzen – wie der Name zum Ausdruck bringt – die Fähigkeit, den Menschen mit seiner Umwelt zu verbinden. Das war vielleicht lange nicht mehr so wichtig wie heute. Dabei strukturieren Medien zugleich unsere Wahrnehmung und unseren Alltag. Der Kommunikationswissenschaftler Marshall McLuhan brachte das bereits 1964 auf die kurze Formel „The medium is the message“. Als Student musste ich noch eine Telefonzelle aufsuchen, um mit meinen Eltern sprechen zu können. Und meine Eltern mussten einen Brief schreiben, wenn sie mich schnell erreichen wollten. Ein Telefon gab es wohl nur auf sehr wenigen Studentenbunden. Heute sind wir alle jederzeit und überall miteinander verbunden. Segen oder Fluch? Ein Segen, meine ich, wenn wir diese neue Kommunikationswirklichkeit mit-gestalten.

Aggregierte Massendaten gegen die Pandemie

Überall per Smartphone verbunden, dass heißt auch: Unsere Mobilgeräte senden auch dann Daten, auch wenn wir uns dessen nicht bewusst sind. In der Corona-Krise berichten Nachrichtenagenturen, dass acht Telekommunikationsbetreiber – darunter die deutsche Telekom, Vodafone und Telefonica – der EU-Kommission Handydaten zur Verfügung stellen werden. Es handle sich um „anonymisierte und aggregierte“ Massendaten, so ein EU-Vertreter. Wissenschaftler der EU-Kommission sollen damit Algorithmen zur Analyse der Pandemie erarbeiten, um die Verbreitung des Coronavirus besser vorhersehen zu können. Der digital vernetzte Mensch ist potenziell „gläsern“: Auch angesichts einer Pandemie müssen wir entscheiden, wieviel wir von uns preisgeben möchten und wie die entsprechenden Preisgabe-Prozesse laufen.

Fake-News und Zensur

Entscheiden müssen wir auch, wer die schier unübersehbare Menge an Informationen zur Corona-Pandemie für uns filtert. „Facebook kämpft wie noch nie gegen Falschmeldungen“ titelt die Frankfurter Allgemeine Zeitung am 22. März auf ihrer Website. In der Meldung zum Engagement von Facebook und Google gegen Falschmeldungen zur Pandemie heißt es: „Die Algorithmen tun, was sie sonst nie getan haben: Sie unterdrücken Schwachsinn.“ Algorithmen der Internetkonzerne entscheiden, welche Meldungen wir zu sehen bekommen und welche nicht. So begrüßenswert wie das Ausfiltern gesundheitsgefährdender Fake-News sein mag, so sehr begeben wir uns in eine informative Abhängigkeit von privatwirtschaftlichen Unternehmen und ihren undurchsichtigen Algorithmen. Digitale Massenkommunikation erfordert von jedem einzelnen, News und Fake-News unterscheiden und die Ergebnisse von Suchmaschinen auch kritisch betrachten zu können. Und sie fordert die Verantwortungsübernahme durch Unternehmen, die Kommunikationsräume gestalten – etwa für ihre Mitarbeiter.

Alternativen zum Gespräch am Kaffee-Automaten

In diesen Tagen eingeschränkter öffentlicher Bewegungsfreiheit fallen die kollegialen Gespräche am Kaffeeautomaten aus. Keine Informationen auf dem „kurzen Dienstweg“, kein Plausch über das letzte Wochenende. Stattdessen treffen wir in gut strukturierten Online-Meetings aufeinander. Unternehmen tun gut daran, auch auf ihren digitalen Plattformen Möglichkeiten zum informellen Austausch ihrer Mitarbeiter anzubieten. Das galt immer schon und es gilt heute besonders. Es geht um eine (digitale) Unternehmenskultur, die nicht nur an Effizienz, sondern zugleich an Menschlichkeit ausgerichtet ist.

Digital Gap

Um Menschlichkeit geht es auch im Umgang mit dem „Digital Gap“. Der Begriff verweist auf das Ungleichgewicht an technischer Ausstattung und an Fähigkeiten im Umgang mit informationstechnischen Geräten zwischen Menschen in unterschiedlichen Wirtschaftsräumen und aus unterschiedlichen Generationen. Im Unternehmensalltag erleben wir das, wenn ein Videokonferenz-Teilnehmer die Rückkopplung in seinem Mikrofon nicht abgestellt oder die neue Software auf seinem Rechner nicht installiert bekommt. Hier sind Freundlichkeit und Geduld im Umgang miteinander gefordert – und das Engagement von Unternehmen für die digital-technische Qualifikation seiner Mitarbeiter.

Neue Lebensrhythmen

Derzeit scheinen Ratgeber hoch im Kurs stehen, die beschreiben, wie man das Leben im Homeoffice bewältigt, dem Tag Struktur verleiht, emotionale und soziale Bedürfnisse befriedigt und kreativ arbeitet. Ein Aspekt dabei ist die zunehmende Verschränkung digitaler und nicht-digitaler Lebensbereiche. Kommunikation, Einkaufen, Bankgeschäfte, Selbstdarstellung und Arbeiten – unser Leben gestaltet sich zu immer größeren Anteilen in digitalen Wirklichkeiten. Schon lange können wir nicht mehr zwischen „wirklichen“ und „digitalen“ Welten unterscheiden: Beide Welten sind wirklich und kaum voneinander zu trennen. Das Digitale erobert zunehmend unseren Lebensalltag. Das Chatten am Familientisch, das Smartphone auf dem Nachttisch und das Checken beruflicher Mails am Abend symbolisieren das. Und fordern uns heraus, die Balance in unserem Leben zwischen Arbeit und Freizeit, Öffentlichem und Privaten, fremd- und selbstgestalteten Lebenswelten neu zu finden.

Zielkategorie Medienkompetenz

Pädagogen sprechen angesichts solcher Herausforderungen von der Notwendigkeit einer Medienkompetenz als Kombination aus Wissen, Fähigkeiten und Werten. Schulen stehen in der Verantwortung als Medienkompetenz-Vermittler. Doch die meisten Menschen besuchen keine Schule mehr. Hier können sich Unternehmen durchaus in die Pflicht nehmen lassen, denn einerseits treiben sie Digitalisierung voran und andererseits profitieren sie von medienkompetenten Mitarbeitern.

Orientieren können sie sich bei der Medienkompetenzentwicklung etwa an dem Konzept, das Dieter Baacke (1) aufstellte. Der Erziehungswissenschaftler postulierte vier Medienkompetenzbereiche, die hier auf Unternehmen und ihre Mitarbeiter angewendet werden:

  • Medienwissen: Hier geht es um praktische Fähigkeiten wie die technischen Voraussetzungen für und das Verhalten in einer Online-Konferenz.
  • Mediennutzung: Angesprochen ist die Integration (digitaler) Medien in den Alltag, etwa wie ich die -theoretische – Erreichbarkeit zu jeder Zeit eingrenze und Beruflichem und Privaten seine Sphären zuweise.
  • Medienkritik: Es geht auch um ein kritisches Verhältnis zu Medien, etwa um das Bewusstsein für die durch das eigene Medienverhalten erzeugten Daten und deren Auswertbarkeit durch Dritte.
  • Medienproduktion: Menschen sollen nicht Rezipienten, sondern auch Produzenten von Medien sein können und etwa ein Erklärvideo herstellen oder einen Blog gestalten können.

Winfried Marotzki und Benjamin Jörissen (2) bieten in ihrer Theorie der Strukturalen Medienbildung ebenfalls eine Orientierung an vier Dimensionen:

  • Wissensbezug: die kritische Reflexion auf Bedingungen und Grenzen des Wissens – etwa in Zeiten der unübersichtlichen Fülle an digital verfügbarer Information;
  • Handlungsbezug: die Frage nach ethischen und moralischen Grundsätzen des eigenen Handelns – etwa nach der „digitalen Wahrhaftigkeit“;
  • Grenzbezug: auch als Frage des Ineinanders digitaler und nicht-digitaler Lebenswirklichkeiten und der Grenzen des technisch Machbaren;
  • Biographiebezug: etwa als Frage nach den Selbstpräsentation im Internet – privat auf Facebook oder Instagram und beruflich auf LinkedIn oder Xing.

Die Zeit der Corona-Pandemie bedingten Einschränkung unmittelbarer zwischenmenschlicher Kontakte bietet in diesem Sinne die Chance auf ein tieferes Verständnis der Chancen und Grenzen digitaler Medien für unsere berufliche und private Kommunikation. Und für den Erwerb von Kompetenzen, die uns auch „nach Corona“ sehr nützlich sein werden.

(1) vgl. Dieter Baacke (2007): Medienpädagogik. Tübingen: May Niemeyer Verlag.
(2) Marotzki, Winfried; Jörissen, Benjamin (2008): Wissen, Artikulation und Biografie: theoretische Aspekte einer strukturalen Medienbildung. In: Johannes Fromme und Werner Sesink (Hg.): Pädagogische Medientheorie. eBook. 1. Aufl. Wiesbaden: VS Verl. für Sozialwiss.

Autor

Achim Halfmann ist Medienpädagoge und Journalist und lebt im Bergischen Land. achim.halfmann@csr-news.net


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