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Führungsethik: Mächtige müssen sich entscheiden

Univ.-Prof. Dr. Jürgen Weibler (Foto: privat)

Bad Leadership beinhaltet destruktive Führungsziele ebenso wie feindselig-aggressives Verhalten.

Hagen (csr-news) – In seinem aktuellen Buch „Bad Leadership“ beschäftigt sich der Betriebswirtschaftler Prof. Jürgen Weibler mit dem Führungsversagen. CSR NEWS sprach mit ihm darüber, was das mit Nachhaltigkeit und dem Einsatz digitaler Technologien zu tun hat. Die Fragen stellte Achim Halfmann.

CSR NEWS: In Ihrem aktuellen Buch stellen Sie Spielarten schlechter Führung vor. Welche Spielart ist denn am weitesten verbreitet?

Prof. Dr. Jürgen Weibler: Wir unterscheiden zwei bedeutsame Spielarten eines Bad Leadership: Das eine ist diejenige, die gemeinhin mit schlechter Führung verbunden wird: Feindselig-aggressive Verhaltensweisen von Führenden gegenüber ihren Mitarbeitern, und zwar nicht nur hin und wieder, sozusagen an schlechten Tagen, sondern gewohnheitsmäßig und häufig. Dass sich Negativfolgen für die Geführten hieraus ergeben, liegt auf der Hand. Die zweite Spielart eines Bad Leadership vollzieht sich zumeist weniger offensichtlich: Gemeint sind hier destruktive Führungsziele, soll heißen: Die Führung erfolgt primär zum Nutzen der Organisation, oder auch des Führenden, während die Geführten letztlich die Kosten des Ganzen zu tragen haben, sei es in Form dauerhafter Überforderung, potenziell aber auch einer andauernden Unterforderung, einer Behinderung der persönlichen Entwicklung usf. Wichtig dabei: Eine solche Führung kann absolut freundlich und anerkennend daherkommen – sie ist trotzdem schlecht, wenn sie manipuliert und übervorteilt. Der Begriff der ausbeuterischen Führung bringt diese „win-lose“-Problematik ganz gut auf den Punkt. Wir haben diese beiden Spielarten in unserem Buch ausführlich beschrieben und auch ursächlich erklärt. Die Frage, welche empirisch verbreiteter ist, ist fast müßig: Beide sind viel zu verbreitet!

Lässt sich schlechte Führung in einem Unternehmen von außen erkennen? Woran?

Hier ist es sinnvoll, zwischen einer schlechten Führung von Unternehmen und einer schlechten Führung in Unternehmen zu unterscheiden. Wenn Sie so wollen – zwischen Unternehmensführung im weiteren Sinne und Mitarbeiterführung im engeren Sinne. Von außen zu beobachten ist natürlich vor allem ein Bad Leadership im Rahmen der Unternehmensführung. Dies spätestens dann, wenn das Unternehmen für einen handfesten Skandal steht, oder auch dann, wenn das Unternehmen infolge einer rücksichtslosen Profitmaximierung negative Effekte zu Hauf für seine Mitarbeitenden, Kunden, Lieferanten oder die Gesellschaft (inklusive Natur) produziert. Wir sprechen hier von „schmutzigen Gewinnen“, wohingegen eine gute Unternehmensführung nach wie vor für „saubere Gewinne“ steht. Verfehlungen im Inneren sind von außen nicht ohne Weiteres ersichtlich. Berichte von Trainees und Praktikanten, Bewertungen auf Internetforen oder Schilderungen auf Facebook etc. sind ernstzunehmende Hinweise, sofern ein Muster zu erkennen ist. Als Langzeitindikator ist die Reputation einer Organisation zu nennen. Nehmen wir die Diskriminierung als eine Spielart der schlechten Führung. Um hier ein Good Leadership von einem Bad Leadership in dieser Hinsicht zu unterscheiden, könnten die Anteile bei der Besetzung mittlerer und höherer Positionen mit Frauen dienen, um einen sehr aktuellen Punkt anzusprechen. Natürlich ist dies allein nicht genügend, um eine Diskriminierung im Führungsalltag auszuschließen, aber doch eine Annäherung.

Kann Führungsqualität in Nachhaltigkeitsberichten abgebildet werden?

Sicher, wenn auch nur in allgemeiner Form. Ich denke hier an Aussagen zur strukturellen Führung, die vor allem als unterstützende Umfeldbedingungen für die einzelne Führungskraft zu verstehen sind. Sie erhöhen die Wahrscheinlichkeit, dass, wenn gelebt, eine Führung weniger schnell entgleist. Die Unternehmensdarstellung in Berichtsform sollte dafür aber von außen durch unabhängige Institute bewertet worden sein. Nicht umsonst taucht das Wort „Verantwortung“ in den Kriterien zur Bewertung von Nachhaltigkeit auf. Denken wir bereits an Aussagen zur Strategie, an die Managementsysteme, u.a. zur Korruptionsbekämpfung, Vielfalt und Chancengleichheit, Mitarbeiterbefragungen z.B. zur Arbeitszufriedenheit, wobei regelmäßig auch die zum Vorgesetzten auftauchen sollte, Anrecht auf großzügige Weiterbildung sowie Sabbaticals, Human Rights in Lieferketten usw.  Diese Strukturen prägen auch die Führungskultur mit. Dem Thema der „Vermessung von Gut und Böse“ haben wir ein ganzes Kapitel unseres Buches gewidmet. Dennoch gilt heute ebenso wie morgen und in aller Zukunft: „Gut“ und „schlecht“ sind ethische Begriffe, und Ethik lässt sich nur sehr begrenzt messen. Das ist bei der Beurteilung von CSR nicht anders als bei jener von Führung. Insofern müssen wir ein Stück weit immer mit dem Phänomen leben, dass des einen „bad“ des anderen „good“ ist. Führungsethik ist immer etwas, für das man sich als jemand, der Macht besitzt, entscheiden muss. Verkehrt liegt man nie, sich als Ausgangspunkt an klassischen Tugenden zu orientieren. Die der Mäßigung fällt mir direkt dazu ein. Tugendhaftigkeit muss sich jedoch entwickeln – und diese Entwicklung muss vom Einzelnen gewollt und ein Leben lang verfolgt werden.

Derzeit beschäftigen uns Fragen der digitalen Verantwortung. Gibt es hier Bezüge zum Führungsversagen?

Nun, Führungsversagen ist nicht an Medien oder Technologien zwingend geknüpft. Sicher, wir wissen aus Forschungen, dass die eigene Anonymität und die Distanz zum Gegenüber moralische Schranken tendenziell leichter öffnen. Also kann auch bei der Entwicklung und beim Einsatz digitaler Techniken, beispielsweise in virtuellen Teams, dem Nutzen von Instrumenten zur Personalauswahl, die einem intelligenten Algorithmus folgen, oder einer Überwachungssoftware bis hin zum implementierten Chip vieles schieflaufen. Dem entgegenzuhalten sind wiederum die Spuren, die jede Technologie legt und indirekt damit Transparenz produziert. Und Transparenz ist für die elementaren Verfehlungen sicher ungünstig. Ein Führungsversagen liegt, darauf möchte ich hinweisen, bereits dann vor, sich dieser technologischen Möglichkeiten nicht bewusst zu sein, stärker noch, diese zu manipulativen Zwecken einzusetzen. Ich würde aber auch anders herum argumentieren wollen: als Führungskraft nicht zu prüfen, ob digitale Technologien Möglichkeiten bereithalten, beispielsweise die Zusammenarbeit mit dem Team zu verbessern oder die Stressbelastung eines Teams besser zu erkennen, ist bereits ein Führungsversagen, getriggert durch Gleichgültigkeit oder Inkompetenz. Beides verträgt sich nicht mit einer guten Führungskraft.

Vielen Dank!

Univ.-Prof. Dr. Jürgen Weibler, ordentlicher Professor für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Personalführung und Organisation, an der FernUniversität in Hagen. Auf der Internetplattform Leadership Insiders verbindet er die Führungsforschung mit der Führungspraxis.

Das Buch „Bad Leadership. Von Narzissten & Egomanen, Vermessenen & Verführten: Warum uns schlechte Führung oftmals gut erscheint und es guter Führung häufig schlecht ergeht“ von Thomas Kuhn und Jürgen Weibler ist 2020 im Verlag Vahlen erschienen (ISBN 978-3-8006-6250-0).


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