Witten (csr-news) – Am Erntedank-Sonntag blicken Christen auf die vorausgegangene Zeit zurück, ziehen sozusagen Bilanz und danken Gott. Bei einem Erntedank-Gottesdienst in Witten zog der ehemalige Top-Manager Thomas Middelhoff seine persönliche Bilanz: „Ich bin an mir selber gescheitert und Gott hat mir eine Chance gegeben, dass ich nochmal einen neuen Sinn für mein Leben finde.“
In einem Gottesdienst zum Thema „Scheitern als Chance“ der evangelischen Creativen Kirche stellte sich Thomas Middelhoff den Fragen des Theologen Matthias Kleiböhmer. Middelhoff geriet insbesondere im Jahr 2014 durch seine Verurteilung und Inhaftierung in die Schlagzeilen. Zuvor hatte der promovierte Betriebswirt eine Traumkarriere erlebt: 1986 trat er als Assistent der Geschäftsführung eines Tochterunternehmens in den Bertelsmann-Konzern ein, von 1998 bis 2002 leitete er die Bertelsmann AG als deren Vorstandsvorsitzender. 2004 wurde er zunächst Aufsichtsratsvorsitzender und dann Vorstandsvorsitzender der Arcandor AG (vormals KarstadtQuelle). In seine Amtszeit fiel der Niedergang des Konzerns und Middelhoff verlor 2009 – kurz vor der Insolvenz des Unternehmens – seinen Posten. Die strafrechtliche Aufarbeitung von Ereignissen aus dieser Zeit führte im November 2014 vor dem Landgericht Essen zu seiner Verurteilung wegen Untreue und Steuerhinterziehung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren; Middelhoff wurde noch im Gerichtssaal abgeführt.
Knastgottesdienst als Neuorientierung
„An dem Tag, an dem ich verhaftet wurde, war ich der festen Überzeugung: Freispruch und das ist der Beginn der Rehabilitation für mich“, sagte Middelhoff in Witten. Zunächst habe er gehofft, auch diese Situation irgendwie managen zu können, „bis man erkennt, wenn man in der Zelle ist und die Zellentüre sich schließt, dass man jetzt nichts mehr selbst bestimmen kann“. Middelhoff weiter: „Dem Schock folgte die Scham: Ich habe mich wahnsinnig geschämt“. In der Justizvollzugsanstalt besuchte der Katholik eine Messe. „Das war für mich bis heute der eindrücklichste Gottesdienst.“ Er sei dann zur Beichte gegangen und habe begonnen, die Bibel von vorne nach hinten durchzulesen. Middelhoff weiter zu seinen ersten Tagen in Haft: “Ich hatte nur Angst und irgendwann stellte sich ein Gefühl ein: Egal was hier passiert, Gott hält dich.“
Als Freigänger arbeitete Middelhoff später in den von Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel in Bielefeld. „Diese Menschen mit Behinderungen gaben mit etwas zurück, ohne Vorbehalte, und zwar menschliche Wärme.“ Middelhoff weiter: „Vom ersten Moment an hat mich dieser unmittelbare Kontakt sehr verändert“. Er habe zu sich selbst gefunden – und zur „Selbsterkenntnis, was für ein selbstverliebter Kerl ich war.“
Unfähigkeit im Augenblick zu leben
Den Lebensstil im Top-Management beurteilt der ehemalige CEO kritisch. 15- bis 16-stündige Arbeitstage, ständiges Reisen: „Das Leben rauscht an einem vorbei wie in einem Traum oder als sei man auf Drogen.“ Die führe zu einer „Unfähigkeit, im Augenblick zu leben“, so Middelhoff.
Rückblickend sehe er, dass sich sein Charakter in einem schleifenden Prozess vergiftet habe. „Stolz und Hochmut, Arroganz und Narzissmus, das können sie alles bei mir bestätigt finden – wie auch bei vielen Top-Managern“.
Heute schreibt Middelhoff Bücher, in denen er seine Lebenserfahrungen verarbeitet. „Der Zweck ist, einmal jungen Menschen zu helfen, (…) und anderen, die in der Situation des Scheiterns sind, zu helfen, die Augen zu öffnen, zu sagen: vertraut auf Gott“, sagte Middelhoff. Er habe gelernt: Wer im Top-Management bestehen wolle, brauche ein Navigationssystem – ausgerichtet an Kardinaltugenden wie Klugheit oder Mut.
Ob er wieder ins Management einsteigen wolle, wird Middelhoff gefragt. Dazu werde er wohl nicht eingeladen werden, so der Gast. Falls doch, werde er ablehnen. „Ich möchte das Leben, das ich jetzt habe, festhalten und nicht für etwas anders auf Spiel setzen.“ Der Rückblick von Thomas Middelhoff im Wittener Erntedank-Gottesdienst endet … dankbar.