Die Einhaltung von freiwilligen Verhaltensregeln kann Negativschlagzeilen vermeiden und Arbeits- und Sozialstandards verbessern.
Von Maximilian Metzner
In den letzten Jahren haben sich viele Unternehmen freiwillig Verhaltenskodizes unterworfen. Vor allem multinationale Akteure haben erkannt, dass die Vorteile der Einhaltung von Sozialstandards entlang der Produktions- und Distributionskette den Aufwand für deren Erarbeitung und Implementierung überwiegen. Eine höhere Identifikation der Mitarbeiter mit dem Unternehmen, ein positiveres Image bei den Verbrauchern, Kostenvorteile in der Produktqualität oder erhöhte Verlässlichkeit der Zulieferer sprechen für die Einführung und konsequente Umsetzung von Verhaltenskodizes. Es verwundert also nicht, dass immer mehr Wirtschaftsakteure ihre Unternehmensführung und Geschäftsmodelle auf Basis eines Codes of Conduct ausrichten.
Die wachsende Zahl der Kodizes wird nicht nur durch Unternehmen, sondern auch durch Interessengruppen, wie Handelsunionen oder Arbeits-, Umwelt- und Menschenrechtsorganisationen forciert. Eine Studie der OECD ergab, dass von insgesamt 246 analysierten Verhaltenskodizes 118 von Unternehmen, 92 von Industrieverbänden, 32 von Multistakeholderinitiativen und lediglich vier von zwischenstaatlichen internationalen Organisationen stammen.
Geschichte der Kodizes
Der fast schon inflationäre Anstieg privater Verhaltenskodizes seit den späten 80er- und insbesondere den 90er-Jahren hat seinen historischen Ursprung im Jahr 1931, als die International Chamber of Commerce (ICC) mit ihrem Code of Standard of Advertising Practise den ersten selbstregulierenden Kodex erarbeitete. Weitere Meilensteine in der Ge- schichte sind die von der OECD 1976 veröffentlichten Leitsätze für multinationale Unternehmen, gefolgt von der Trilateralen Erklärung zu multinationalen Unternehmen und zur Sozialpolitik der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO 1977 2000) sowie dem Global Compact der Vereinten Nationen, der im Jahr 2000 mit großer Resonanz seitens der Unternehmen formell etabliert wurde. Heute ist der UN Global Compact die größte Initiative der Welt mit über 7.000 Teilnehmern, davon 5.200 Unternehmen. Kritiker mahnen jedoch, dass es sich bei den zehn Prinzipien des Global Compact um Minimalstandards handelt, die insgesamt als zu schwach angesehen werden. Weil die Einhaltung der Kriterien freiwillig ist, können Unternehmen den seriösen Ruf der UN zu Werbezwecken nutzen.
Die OECD-Leitsätze stehen zusammen mit den IAO-Kernarbeitsnormen im Zentrum des Universums einer Vielzahl von Verhaltenskodizes. Sie setzen einerseits einen vergleichbaren Standard für gute Unternehmensführung und stellen andererseits die Basis für künftige Anstrengungen und Bemühungen in diesem Bereich dar. Bei den OECD- Leitsätzen handelt es sich um Empfehlungen von Regierungen an multinationale Unternehmen. Auch wenn kritische Stimmen deren freiwillige Einhaltung, die rechtliche Unverbindlichkeit oder den geringen Bekanntheitsgrad sowie Intransparenz des Verfahrens zu Recht thematisieren, bieten die OECD-Leitsätze dennoch den normativen Rahmen für ein weltweites Geschäftsgebaren und die Elaboration eigener Verhaltenskodizes durch die privaten Akteure.
Brancheneigene Kodizes – einer für alle?
In einigen Industriezweigen, beispielsweise der Spielzeugindustrie oder der Natursteinbranche, hat sich ein einheitlicher brancheneigener Verhaltenskodex gebildet. Bekanntestes Beispiel ist die welt- weite Initiative Responsible Care, die für einen global akzeptierten Verhaltenskodex der chemischen Industrie steht. Mitglieder der Initiative setzen sich für die kontinuierliche Verbesserung von Umwelt-, Gesundheits- und Arbeitsplatzbedingungen ein. Der Vorteil dieser Industriekodizes liegt darin, dass sie wettbewerbsneutral sind, weil alle Unternehmen der Branche gleiche Subjekte desselben Standards sind. Problematisch ist jedoch, dass diese Kodizes kaum bindende Wirkung haben und Verbände die wirksame Durchsetzung der Standards bei ihren Mitgliedern nur zurückhaltend fordern. So kann der Eindruck entstehen, dass hinter den Verhaltenskodizes nationaler und internationaler Verbände nicht viel mehr steckt als reine Absichtserklärungen, die der Abwehr von kritischen Nachfragen durch Medien und Konsumenten dienen sollen.
Unternehmenseigene Verhaltenskodizes beinhalten Normen, die dazu dienen, Regeln für ein erwünschtes Verhalten festzulegen. Sie sind meistens ohne Partizipationsmöglichkeiten von außen aufgesetzt, da sie sich in erster Linie an interne Anspruchsgruppen wie beispielsweise Mitarbeiter oder Lieferanten ersten Grades richten und diesen bei der Beseitigung von Widersprüchen als Handlungsanleitung dienen sollen. Internationale Unternehmen stärken damit ihr Kontrollpotenzial und schließen die Lücke zwischen unterschiedlichen nationalstaatlichen Gesellschafts-, Gewerbe- und Arbeitsrechten. Wie genau dieses Potenzial in der Praxis genutzt wird, hängt vom jeweiligen Unter- nehmen selbst ab. „Gutes Nachhaltigkeitsmanagement kennzeichnet sich dadurch, dass ein Set an Methoden ausgewählt wird, mit dem der abstrakte Begriff und die Vision der nachhaltigen Entwicklung so konkretisiert werden können, dass für die relevanten Themen substanzielle Veränderungen und Erfolge erreicht werden. Je nachdem, welches Set an Methoden ein Unternehmen ausgewählt hat, kommt auch dem Code of Conduct eine unter- schiedlich starke Bedeutung zu“, meint Prof. Stefan Schaltegger vom Centre for Sustainability Management an der Universität Lüneburg. Verhaltenskodizes sind ein kostengünstiges Instrument, das mit relativ begrenzten Mitteln starke Wirkung erzielen kann. Ob der Code of Conduct eher einen zahnlosen Papiertiger oder ein mächtiges CSR-Tool darstellt, lässt sich also nicht pauschal beantworten. Entscheidend ist, wer sich im Unternehmen für die Einhaltung des Verhaltenskodex stark macht. Ist beispielsweise ein Vorstandsmitglied zuständig für Compliance-Themen und Unternehmensethik, erhält dadurch auch der Code of Conduct Rückenwind.
Vertrauen missbraucht – Vertrag beendet?
Bei Verstößen gegen den Verhaltenskodex reagieren Firmen meist sehr unterschiedlich. Bevor beispielsweise Geschäftsbeziehungen mit Lieferanten beendet werden, suchen viele Unternehmen das direkte Gespräch, um einen Veränderungsprozess zu initiieren. Ist ein endgültiger Schlussstrich gezogen, gibt es weniger Anreize für den Lieferanten, sich zu verbessern. Das wissen auch die Unternehmen, die ihrerseits wiederum einen neuen Partner für ihre Lieferkette finden müssen. Dieser „weiche“ Kurs bei Verstößen wird aber nicht pauschal angewendet. „Innerhalb des eigenen Unternehmens greifen die Unternehmen durchaus sehr viel härter durch“, erklärt Schaltegger. „Da hier eine andere Zugriffs- und Kostensituation vorliegt, hat man direktere Möglichkeiten im Umgang mit Verstößen gegen den Code of Conduct. Dies kann sogar so weit führen, dass Arbeitsbeziehungen beendet werden.“
Kommunikation der Verhaltenskodizes
Allzu oft passiert es, dass neu verfasste Verhaltenskodizes lediglich mit einer Pressemitteilung verse- hen werden und dann als PDF-Link auf der Unternehmenswebsite ein trauriges Dasein fristen. Thomas Melde, Geschäftsführer der akzente kommunikation und beratung, meint: „Die Königsdisziplin ist es, den Code of Conduct nicht nur digital, sondern auch als physisches Dokument mit einem Anschreiben des Vorstands an alle Mitarbeiter zu verschicken. Darin sollte der Zweck und Grund für einen neuen Code of Conduct ebenso wie eine Anlaufstelle bei Fragen genannt sein. So erhält der Kodex mehr Aufmerksamkeit und Gewicht im Unternehmen.“ Viele Firmen bieten darüber hinaus freiwillige oder verpflichtende webbasierte Trainings an. „Dies ist im Sinne von Aufwand und Nutzen meines Erachtens die sinnvollste Variante, da durch das Beantworten der Fragen die Mitarbeiter den Code of Conduct verinnerlichen können“, so Melde.
Der Code of Conduct ist also ein lebendiges Dokument, dessen Nutzen entscheidend von seiner wirksamen Umsetzung, aber auch der systematischen Kontrolle – mitunter durch Dritte – abhängt. Nur durch die substanzielle Einhaltung der darin enthaltenen Regeln kann er mehr sein, als ein rein symbolisches CSR-Management-Tool, nämlich ein wirksames Instrument zu Verbesserung von Arbeits- und Sozialstandards.
Der Artikel ist zuerst erschienen im CSR MAGAZIN Nr. 8 (4/2012).
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