Berlin (csr-news) > Aspekte der Verhaltensökonomie werden in der Umwelt- und Klimapolitik meist unterschätzt: Tatsächlich legen Menschen nicht nur Wert auf eine effiziente Zielerreichung, sondern auch auf ihr Verantwortungsgefühl. Das zeigt eine neue Studie von Forschern des Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC) und des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB), welche im renommierten Fachmagazin Journal of Public Economics veröffentlicht worden ist.
In einem Experiment der Wissenschaftler wollten die meisten Teilnehmer eine von ihnen verursachte Verschmutzung lieber selbst beseitigen anstatt diese Aufgabe von einem Partner umsetzen zu lassen – selbst wenn dies für beide deutlich gewinnbringender gewesen wäre. Die hinter solchen Effekten liegende Verhaltensökonomie gewinnt zunehmend an Bedeutung: Erst kürzlich wurde Richard H. Thaler mit dem Wirtschafts-Nobelpreis dafür gewürdigt, dass er die ökonomische Theorie durch psychologische Ansätze ergänzte, die das menschliche Verhalten beschreiben.
Die Ergebnisse von MCC und WZB sind für das Design von klimapolitischen Politikinstrumenten von Relevanz, so etwa für eine mögliche Reform des Europäischen Emissionshandels (EU ETS). Das EU ETS sieht vor, dass CO2-Emissionen durch die Vergabe einer festen Menge handelbarer Zertifikate begrenzt werden. Der Emissionshandel bewirkt, dass Emissionen dort eingespart werden, wo dies am kostengünstigsten möglich ist. Gleichzeitig können Unternehmen mit hohen Minderungskosten sich Zertifikate kaufen und damit ihre Emissionen kompensieren anstatt ihr Verhalten in Richtung Emissionsminderung anzupassen. Die Möglichkeit, sich durch Zahlungen aus der Verpflichtung zur CO2-Minderung freizukaufen, wird mitunter von Wissenschaftlern, Politikern und der Katholischen Kirche als moralisch verwerflich kritisiert. „Der Emissionshandel wird mitunter als Ablasshandel verunglimpft“, sagt WZB-Forscher Roel van Veldhuizen. „Das weist auf ein Spannungsfeld zwischen ökonomischer Effizienz und Moralvorstellungen hin.“
Individuelle Verantwortung spielt eine besonders wichtige Rolle
Um die dahinter liegenden Fragen zu beantworten, teilten die Wissenschaftler vom MCC und WZB eine Gruppe von 60 Studenten der Technischen Universität Berlin zunächst in Zweier-Teams auf. Die erste Person sollte Kichererbsen in eine Schale werfen, wobei die meisten daneben flogen und die Umgebung „verschmutzten“. Anschließend musste sie dafür Verantwortung übernehmen und aufräumen. Sie konnte dies jedoch auch ihrem Teampartner überlassen. Dann wurden beide gemeinsam doppelt so hoch entlohnt, als wenn der Verursacher selbst aufräumte. Obwohl beide dabei stärker profitiert hätten, entschieden sich 60 Prozent der Kichererbsen-Werfer dagegen. Bei einer anschließenden Befragung stimmt sie zudem viele von ihnen dem Satz zu: „Individuelle Verantwortung spielt beim Kampf gegen den Klimawandel eine besonders wichtige Rolle.“ Um den Einfluss individueller Verantwortung zu isolieren, untersuchten die Forscher ebenfalls eine Kontrollgruppe. Während alle anderen Faktoren identisch waren, lagen in dieser die Kichererbsen bereits zu Beginn des Experiments auf dem Boden verstreut, es gab also keinen Verursacher. Hier entschieden sich nur 30 Prozent dafür, diese selbst aufzuräumen. Der statistisch signifikante Unterschied zu den 60 Prozent der Teilnehmer, die die Kichererbsen verursacht hatten lässt sich somit auf den Einfluss individuelle Verantwortung zurückführen.
Die Forscher warnen indes davor, Moral und Ökonomie gegeneinander auszuspielen. „Die Lehre aus diesem Experiment kann sicher nicht sein, dass wir unsere Moralvorstellungen über Bord werfen, weil sie wirtschaftlich nicht effizient sind“, sagt Jan Steckel vom MCC. „Die Politik sollte vielmehr die moralischen Vorstellungen bei der Wahl ihrer Politikinstrumente mit einbeziehen. Das könnte dann unter Umständen heißen, dass eine CO2-Steuer leichter vermittelbar ist als Emissionshandel.“ Vor diesem Hintergrund plädieren die Wissenschaftler dafür, bei der Ausgestaltung der Klimapolitik das Verhältnis zwischen individuellen Verantwortung einerseits und der kollektiven Verantwortung andererseits stärker in den Blick zu nehmen. „Angesichts langfristiger und äußerst komplexer Probleme wie dem Klimawandel übertragen wir offenbar auf der individuellen Ebene erlernte Moralvorstellungen“, sagt WZB-Forscherin Dorothea Kübler. Michael Jakob vom MCC ergänzt: „Doch es gibt ethische Normen, die die Umsetzung ökonomisch effizienter Lösungen sogar behindern, anstatt sie zu beflügeln. Hier bräuchten wir eine Erweiterung der adäquaten Begriffe von ethischem Verantwortungsbewusstsein für globale, inter-generationale Probleme, wie beispielsweise den Klimawandel.“