Krieg und Autoritarismus gefährden auch Unternehmen. Doch die halten sich bei gesellschaftspolitischen Themen eher zurück. Dabei wäre eine klare Haltung, unterfüttert mit konkreten Aktivitäten, möglicherweise ein „Gamechanger“.
Von Johannes Bohnen
Hunderttausende gehen auf die Straße, DAX-Konzerne bis Handwerksfirmen positionieren sich gegen Extremismus und für eine offene, demokratische Gesellschaft. Beispielsweise mit der Aktion “#Zusammenland – Vielfalt macht uns stark!” Was aber kommt als Nächstes? Was können Unternehmen konkret im Alltag tun, um Demokratie und gesellschaftlichen Zusammenhalt weiter zu stärken?
Unternehmen sind politische Akteure. In ihrer Funktion als Arbeitgeber, Steuerzahler und Produzenten von Waren und Dienstleistungen sind sie unmittelbar mit dem Gemeinwesen verwoben. Damit kommt ihnen in unserer pluralistischen Gesellschaft eine wichtige Rolle als Dialogpartner der Politik zu. Unternehmen vertreten mit großem Einsatz ihre Interessen und stellen ihre Expertise zur Verfügung. Dies manifestiert sich in der wachsenden Anzahl an Verbänden und Repräsentanzen.
CSR springt zu kurz
Unternehmen tragen also bereits eine gesellschaftspolitische Verantwortung. Die Frage ist nur, wie sie diese zum Wohle der Demokratie und ihrer selbst gestalten können. Mit Corporate Social Responsibility (CSR) existiert zwar ein fest etablierter Ansatz, wie unternehmerische Verantwortung ins Werk zu setzen ist. Doch CSR springt gerade angesichts der aktuellen Bedrohungen für unsere westlich geprägten Demokratien zu kurz. Es ist weniger strategisch, weil es mit seinem Fokus auf das Soziale exakt jene politische Dimension der Unternehmung verkennt, auf die es essentiell ankommt. Denn das Soziale ist immer nur eine Facette des Politischen.
Für Unternehmen ist es ein harter, aber notwendiger Lernprozess, die strategische Relevanz intakter gesellschaftspolitischer Strukturen zu erkennen. Denn diese sind nichts weniger als die Bedingungen der Möglichkeit ihrer Existenz. Vor allem sind sie keine Selbstverständlichkeit. Demokratische Institutionen und politische Eliten befinden sich weltweit in einer Krise. Daher sollten Unternehmen die Stärkung politischer Strukturen in ihr Wirtschaftskalkül „einpreisen“ und entsprechend ihre Fähigkeiten ausbauen.
Die gestiegene Erwartungshaltung aufgeklärter Bürger und Konsumenten an eine moderne Unternehmung kommt hinzu (siehe das jährliche Edelmann Trust Barometer). Zunehmend sieht sich ein Unternehmen mit der Frage konfrontiert, ob es seiner Verantwortung als „Corporate Citizen“ gerecht wird. Der Einsatz für die demokratische Grundordnung endet für viele Menschen nicht am Demonstrationsschild, sondern fließt in Kaufentscheidungen oder Arbeitgeberwahl mit ein.
Nährboden für wirtschaftlichen Erfolg
Corporate Political Responsibility (CPR) setzt genau hier an. Und zwar mit einem breiter gefassten Verständnis von Investitionen. Die Investition sollte aus ihrem engen betriebswirtschaftlichen Korsett befreit und in ihrer vor-ökonomischen Dimension bedacht werden. Denn was ist der Nährboden für wirtschaftlichen Erfolg? Es sind stabile politische Institutionen, die die Bereitstellung unverzichtbarer Güter wie Demokratie, Sicherheit, Rechtsstaatlichkeit (und damit Planungssicherheit) und Infrastruktur gewährleisten.
Corporate Political Responsibility ist die nächste Stufe in der Evolution der Corporate Responsibility. Es geht eben nicht nur um soziale und ökologische, sondern auch um politische Nachhaltigkeit. Unternehmen sollten im eigenen Interesse in die gesellschaftlichen und politischen Grundlagen ihres Geschäftserfolges investieren.
Unternehmen bietet sich eine große Chance zur Marken- bzw. Profilbildung und Stabilisierung ihres gesellschaftspolitischen Umfelds. Sie sind einer der letzten verbliebenen Orte, an denen unterschiedliche Altersgruppen, soziale Milieus und Ethnien zusammenkommen; ein sozialer Begegnungs- und Lernort, vergleichbar wahrscheinlich nur noch mit Sportvereinen.
CPR ist in der Tat ein Business Case: Unternehmen erhalten die Tools, ihren Purpose zu schärfen, sich von den Wettbewerbern zu differenzieren, sich neuartig mit Stakeholdern zu verbinden und die besten strategischen Nachwuchstalente anzuwerben. Denn künftig gibt es keine Strategiefähigkeit ohne politische Kompetenz.
Eine dementsprechende Positionierung ist deshalb keine Frage altruistischer Großherzigkeit, sondern ein aus Urteilsvermögen, praktischer Klugheit und Geschäftssinn geborener Imperativ. Viele Unternehmen genießen große gesellschaftliche Akzeptanz. Sie können den Staat gezielt mit ihren Stärken und Ressourcen unterstützen – im aufgeklärten Eigeninteresse. So entsteht eine Win-Win-Lösung, getragen von der Idee, dass Wertschöpfung Werte braucht. Mit anderen Worten: Unternehmer, zeigt politische Haltung – es zahlt sich aus!
Political Branding: Unternehmen als politische Marken
CPR zu betreiben bedeutet für Unternehmen, eine politische Marke zu entwickeln – und zwar systematisch. Dafür gibt es mittlerweile erprobte Methoden. Nur so können sie ihrer gesellschaftspolitischen Haltung eine Richtung geben, die zu ihren Stärken und Kompetenzen passt. Allgemein bezeichnet die Marke den Wiedererkennungswert am Markt. Ähnlich der Investition kann auch die Marke neben der primären wirtschaftlichen um eine politische Dimension erweitert werden. In der klassischen Definition ist eine Marke einzigartig und erfolgreich, wenn sie drei Kriterien erfüllt: Sie sollte wahr zu sich selbst sein, differenzierend zum Wettbewerb und relevant für ihre Zielgruppen. Im Sinne eines „Political Branding“ gilt nun zusätzlich: Die Marke muss einen gesellschaftspolitischen Mehrwert bieten.
Dafür sollten Unternehmen eine gesellschaftspolitische Haltung wirklich einnehmen wollen, mit allen Konsequenzen. Denn eine wahre Haltung ist auch immer mit Risiken verbunden, sonst wäre es keine Haltung. Selbstverständlich müssen Kunden und Mitarbeiter dabei mitgenommen werden. Das ist eine anspruchsvolle kommunikative Aufgabe, bis hin zur Krisenkommunikation. Ist diese Grundvoraussetzung gegeben, macht es Sinn, sich um die Operationalisierung, das Political Branding, zu kümmern.
Hier ist zwischen der politischen Markenbildung und der politischen Markenführung zu unterscheiden. Die Markenbildung ist ein strategischer und methodischer Ansatz, an deren Ende ein politisches Leitbild stehen sollte, das zur Gesamtmarke passt. Hier werden die Stärken und Kompetenzen so gebündelt, dass die Unternehmung die Demokratie besonders wirksam unterstützen kann. Bei der Markenführung geht es um die Umsetzung von Formaten und Aktivitäten, bei der die Haltung bzw. das politische Leitbild konkret und glaubwürdig gelebt wird.
Bildung und Führung einer politischen Marke dienen nach innen der Orientierung und Selbstvergewisserung. Mit Blick nach außen geht es um Erneuerungs- und Stabilisierungsprozesse bezüglich der wichtigsten Akteure und Institutionen im öffentlichen Raum. In ausgewählten Projekten können Unternehmen unsere offene Gesellschaft beleben und damit ihr eigenes Geschäftsumfeld stützen. Wie aber sähen solche Projekte aus? Wie können sich Unternehmen praktisch engagieren?
Engagement in CPR-Handlungsfeldern
Grundsätzlich und unabhängig von ihren individuellen Kapazitäten ist es sinnvoll und möglich für Unternehmen, eine demokratische Debattenkultur zu fördern. Gemeint ist z.B. die Organisation von Veranstaltungen zu gesellschaftspolitisch relevanten Themen. Es geht hier nicht um eine „parteipolitische“ Positionierung, die tatsächlich nicht Aufgabe von Unternehmen ist. Vielmehr sollte der Begriff des Politischen umfassender verstanden werden – er gehört in die Mitte der Gesellschaft und damit auch in den Betrieb. Ziel ist die Stärkung offener gesellschaftlicher Diskurse, um die Innovations- und Lernfähigkeit unserer Demokratie zu festigen. Letztlich geht es um Entdeckungsverfahren für neue Ideen und Impulse – die eigentliche Währung einer modernen Wissensökonomie.
Ein positives Beispiel für den langfristigen prodemokratischen Einsatz bietet Nomos Glashütte, ein renommierter deutscher Uhrenhersteller, der 2017 mit einem offenen Brief die politische Bühne betrat. Angesichts rechtsextremer Wahlerfolge im Umfeld seiner sächsischen Hauptniederlassung verfasste das Unternehmen ein klares Statement gegen Rassismus, Intoleranz und Hass. Auf diese Worte folgten auch Taten: Nomos bot seinen Angestellten Workshops an, um sie im Kampf gegen Extremismus zu unterstützen. Als Gründungsmitglied des Business Council for Democracy (BC4D) engagiert sich das Unternehmen aktiv für eine lebendige Debattenkultur. Diese 2021 ins Leben gerufene Initiative der Hertie und Bosch Stiftungen und des Institute for Strategic Dialog (ISD) bietet ihren Mitgliedern kostenlose Schulungen für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Dabei geht es um Strategien im Umgang mit Hassrede, Desinformationen und Verschwörungstheorien.
Ansatzpunkte im Super-Wahljahr
Unternehmen können als Corporate Citizen also für ein aufgeklärtes, staatsbürgerliches Ethos eintreten. Das Super-Wahljahr, insbesondere die Europawahl, bietet hier vielfältige Ansatzpunkte. Welche konkreten Beiträge sind abseits ganzseitiger Anzeigenkampagnen denkbar? Unternehmen könnten eine Allianz bilden, in der sie sich auf ambitionierte Ziele verpflichten, z.B. die Entwicklung von Demokratie-Coachings im Sinne politischer Weiterbildung, um etwa das politische System Deutschlands und Europas zu erklären, aber auch die Soziale Marktwirtschaft. Weiterhin könnte der Umgang mit Desinformation in sozialen Medien geschult und die Fähigkeit zum respektvollen argumentativen Streit geschärft werden, wie es sich eben die BC4D-Initiative zum Ziel gemacht hat. Unsere Führungskräfte wiederum sollten ihre Reichweite nutzen, um in politischen Grundsatzfragen Stellung zu beziehen und damit unseren Rechtsstaat zu unterstützen (CEO Activism). Dieser „tone from the top“ könnte durch politisches Engagement der Belegschaft in den entsprechenden CPR-Handlungsfeldern flankiert werden. Die Mitarbeitenden könnten ihre erworbenen Kompetenzen in ihre Familien, Freundeskreise und Netzwerke weitertragen (Employee Activism).
Es lohnt sich also für Unternehmen, in einen leistungsfähigen Staat zu investieren. Ohne seine Rahmensetzungen wäre erfolgreiches Wirtschaften nicht möglich. Unternehmen, die dies erkennen und daher CPR betreiben, verbessern aktiv ihre Geschäftsaussichten und stärken ihre Marke. Reputation und Legitimität gilt es besonders mit Blick auf das westliche Phänomen erodierenden Vertrauens in „die Eliten“ und des von ihnen geführten „Systems“ zurückzuerobern – ein System, das wie kein zweites für Freiheit und Wohlstand steht. Das gelingt nicht zuletzt durch eine stärkere Rückkopplung der Wirtschaft an Politik und Gesellschaft. Unternehmen sollten die Chance ergreifen, bewusst die politische Dimension ihrer Marke zu entwickeln und zu pflegen. Indem sie das Gemeinwesen stärken, stärken sie sich selbst.
Dr. Johannes Bohnen
ist Berater für politische Kommunikation in Berlin (BOHNEN Public Affairs). Er hat den Begriff und das Konzept der Corporate Political Responsibility (CPR) entwickelt und 2020 ein gleichnamiges Buch veröffentlicht (Springer Gabler).
jb@bohnen-pa.com
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