Berlin (csr-news) – Lebendige Diskussionen, praxisnah und fachlich, kennzeichneten die Veranstaltung „Haltung gezeigt. Und was jetzt? Wie Unternehmen 2024 Demokratie stärken können“ am 5. März. Online diskutierten 60 Teilnehmende Ansatzpunkte einer Corporate Political Responsibility. Dass Unternehmen sich für die Stärkung der Demokratie engagieren sollten – durch (gemeinsame) Aktivitäten nach außen, Bildungsangebote und demokratische Strukturen nach innen und in Kooperation mit der Zivilgesellschaft – war weitgehend Konsens. Organisiert wurde die Veranstaltung durch den Verein „Unternehmen Verantwortung Gesellschaft“ (UVG) und CSR NEWS.
Einleitend berichtete Luiz Carlos Bombassaro, Professor für Philosophie an der Bundesuniversität von Rio Grande do Sul (UFRGS) in Porto Alegre, Brasilien, über Erfahrungen mit Rechtspopulismus und Rechtsextremismus in Brasilien. Der Regierung von Jair Bolsonaro standen zahlreiche Unternehmen aus Holz-, Vieh- und Waffenhandel und -produktion durchaus positiv gegenüber. Während diese Unternehmen auf Deregulierung hofften, standen andere der „Pervertierung des Neo-Liberalismus“ kritisch und ablehnend gegenüber.
Aus philosophischer Perspektive sei Demokratie ein Wert an sich, der ein hohes Maß an Freiheit und Würde der Menschen ermögliche. Bombassaro weiter: „Verantwortungsbewusste Unternehmen sollten sich für diesen Wert aktiv einsetzen und Diversität und Akzeptanz fördern.“
Unternehmen als Diskussionsorte
In einem anschließenden Panel diskutierten Vertreter aus Wirtschaft und Zivilgesellschaft darüber, wie Unternehmen eine offene demokratische Gesellschaft fördern können.
Laut Sebastian Ackermann, Leiter Kommunikation MVV Energie AG, könnten Unternehmen Diskussionsorte eröffnen. Dass Unternehmen überparteilich agierten, schließe ein Nein zu Populismus und Rechtsextremismus nicht aus.
Christian Achilles, Co-Leiter Newsroom der Sparkassen-Finanzgruppe, forderte die Auseinandersetzung mit konkreten Vorstellungen aus dem rechtsextremen Lager, etwa zu Migration und zur EU. Unternehmen könnten zudem praktische Lösungen beitragen.
Claudia Brück, Vorstand Kommunikation und Politik bei Fairtrade Deutschland, erinnerte an die Bedeutung von Vielfalt für den globalen Handel und die Sicherung von Frieden und Wohlstand durch offene Gesellschaften.
Der Corporate Political Responsibility-Experte Johannes Bohnen verwies auf die Gestaltungskraft von Unternehmen und ihre Bedeutung als Begegnungs- und Lernorte. In Unternehmen sei Strategiefähigkeit nicht mehr ohne politische Kompetenz zu denken.
Konkretisierung in Diskussionsräumen
In vier digitalen Räumen diskutierten die Teilnehmenden Herausforderungen und konkrete Ansatzpunkte für das politische Unternehmensengagement. Dabei wurden vielseitige Perspektiven zusammengetragen:
Diskussionsraum 1:
“Was sind aktuell die Gründe für den Zulauf zu rechtsextremen Parteien und Ideologien? Wie ihnen entgegenwirken?”
Als mögliche Gründe identifizierten die Diskutierenden:
- Suche nach einem Heilsbringer! Die Welt ist zu kompliziert geworden, man braucht Lösungen!
- Suche nach Identität und Wurzeln. Ist das ganz verkehrt? Wie wird das ausgelebt?
- Was gibt Sinn und Orientierung? Es gibt nichts mehr, was stabile Struktur gibt.
In Unternehmen erscheinen in dieser Situation wichtig:
- Gemeinsame Bedürfnisse sind zu identifizieren.
- Möglichkeiten der Verantwortungsübernahme sind zu entwickeln.
- Die gemeinsame Basis ist zu stärken. „Da gibt ee Ähnlichkeiten durch alle gesellschaftlichen Etagen“.
Zudem verwiesen die Teilnehmenden auf die Verantwortung der Schulen für die politische Bildung und die Medienbildung.
Diskussionsraum 2:
“Wie damit umgehen, wenn zum Beispiel Mitarbeitende mit Rechtsextremismus sympathisieren?”
Ansatzpunkte können sein:
- Das Zeigen politischer Symbole kann über die Betriebsordnung ausgeschlossen werden. Aber: Wie lassen sich die Symbole der „Querdenker“ oder der Identitären identifizieren?
- Es kann ein Code of Conduct als fließendes Work Flow Produkt entstehen.
- Zivilgesellschaftliche Akteure können als Ökosystem rund um das Unternehmen dazugeholt werden.
- In den Blick gekommen werden müssen die Ebenen: Hierarchien, Abhängigkeit und Beziehung zu Kolleginnen und Kollegen.
- In der direkten Ansprache betroffener Mitarbeitender kann nachgefragt werden, was dahinter steckt – als Einstieg in ein vertiefendes Gespräch.
- Bei Verschwörungstheorien ist darauf zu achten, dass sich die Fronten nicht verhärten und der Arbeitsalltag nicht beeinträchtigt wird.
Eine zentrale Erfahrung: Beziehungsarbeit ist wichtiger als sachliche Argumente.
Diskussionsraum 3:
“Was können Unternehmen intern für Dialog, demokratisches Denken und Zusammenhalt tun?”
An Ideen für die interne Kommunikation und politische Bildung im Unternehmen kamen zusammen:
- Zunächst ist die Aufmerksamkeit auf ein Thema zu lenken und ein Bewusstsein dafür zu schaffen.
- Es braucht in Unternehmen Anti-Bias-Trainings, Demokratietrainings und Argumentationshilfen.
- Damit Bildungsangebote und Demokratiecoachings auch in kleineren Firmen möglich sind, könnten 50 Unternehmen Geld in einen Topf werfen, aus dem Angebote finanziert werden könnten.
- Gestärkt werden sollten die Schnittstellen nach außen, z.B. im Blick auf den Kontakt mit rechten Parolen.
- Mitarbeitenden könnte die Teilnahme an Demokratie-Demonstrationen in ihrer Arbeitszeit gestattet werden.
- Geschäftsführer:innen und Vorständ:innen sollten Haltung zeigen, sich klar positionieren und auch selbst an Demonstrationen teilnehmen.
- Einzelne Maßnahmen sollten in die Gesamtstrategie der Organisation eingebettet sein.
Auch in Unternehmen sollte mehr Partizipation möglich sein, um Demokratie und Mitbestimmung erlebbar zu machen, so die Teilnehmenden.
Diskussionsraum 4:
“Was können Unternehmen nach außen für Dialog, demokratisches Denken und Zusammenhalt in der Gesellschaft tun?”
Die Gruppe sammelte eine Reihe positiver Beispiele aktiver Unternehmen. Vaude beispielsweise positioniert sich stark in den Medien. Ben & Jerrys realisierte gemeinsam mit ProAsyl eine Kampagne zum Aufenthaltsrecht. Der Tessloff Verlag nutzte Inhalte eines kommenden „Was ist Was“-Bandes zum Thema Demokratie für eine kostenlose Broschüre. Evonik beeinflusse den politischen Prozess im Sinne demokratischer Werte, da das Unternehmen seine Verantwortung als politischer Akteur erkannt habe. Durch den ‚Business Council for Democracy‘ erfahren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kostenlos etwas über Hassrede, Desinformation und Verschwörungserzählungen – und wie man diesen entgegentreten kann.
Wichtigste Ressource der Unternehmen seien einerseits die eigenen Mitarbeitenden und andererseits die eigene Reichweite als Akteur in der Gesellschaft, mit der sie je nach Größe und Bekanntheit auch über die Medien Vorbilder sein könnten. Gerade in der kommunalen Politik können Unternehmen Dialog initiieren und die demokratischen Kräfte stärken, beispielsweise im Wahlkampf, durch lokale Netzwerke oder darüber, die Mitarbeiterschaft für Aktionen freizustellen und zum Wählen anzuregen. Gleichzeitig können Unternehmen gemeinnützige Organisationen unterstützen, die sich für die Demokratie einsetzen – mit zeitlichem Engagement oder über Spenden – gerade in Ostdeutschland.
Für das Engagement nach außen wurden konkrete Möglichkeiten der Vernetzung benannt, etwa
- Teilnahme am Deutschen Diversity-Tag am 28. Mai 2024
- Teilnahme am bundesweiten Vorlesetag am 15. November 2024
Zudem könnten Koordinatorinnen und Koordinatoren für Vielfalt eingestellt werden. Diskutiert wurde zudem, ob Vertreter der AfD zu Veranstaltungen eingeladen werden sollten. Zu beachten sei, dass die Partei über rhetorisch geschulte Sprecher verfüge, so ein Hinweis.
Auch in dieser Gruppe wurde erörtert, wie unternehmensintern Demokratie gelebt werden kann – z.B. über interaktive Formate, Umfragen, Abstimmungen und Initiativen aus der Mitarbeiterschaft.
Eine zentrale Erkenntnis der Gruppe: Niemand ist allein. Auch kleinere Unternehmen können ihre Möglichkeiten erweitern, indem sie sich den zahlreichen Netzwerken zum Thema Demokratie anschließen und mit anderen Partnern zusammentun.
Diskussionen im Chat
Im Chat wurde während der ganzen Veranstaltung diskutiert. Ein Teilnehmer wies auf die Reichweite der Unternehmen hin: „Wir reden hier über einen der größten Sozialisationsräume von 45 Mio. Einwohnern.“ Die Bedeutung der Unternehmenskultur wurde hervorgehoben: „Die Chance liegt drin, Meinungsvielfalt, Zuhören und echtes Verstehen wollen zu leben und eine Kultur der Perspektivenvielfalt zu entfalten.“ Demokratieengagement erfordert nach der Überzeugung Teilnehmender, „Haltung im Unternehmensalltag zu leben: Zuhören, Augenhöhe, Einbezug von Mitarbeitenden, Kompromisse bei Entscheidungen finden, kritische Punkte ansprechen“.
Kritisiert wurde opportunistisches Verhalten: „… und Hand aufs Herz: Wenn die klare Positionierung unvorteilhaft für die eigene Karriere wird und dann vielleicht noch Privilegien abgegeben werden müssen, dann wird es doch oft ganz ruhig in den Vorstandsebenen.“ Und es wurde eine Brücke zum Nachhaltigkeitsdiskurs geschlagen: „Tatsächlich geht der Trend bei wichtigen Themen – z.B. Nachhaltigkeit – hin zu Partizipation. Solche Themen kann man nur im Kontext und mit den Stakeholdern sinnvoll aufbauen und managen.“
Wie geht es weiter?
Der Schwerpunkt der Veranstaltung lag auf der Frage, wie das Unternehmensengagement nach einer Phase des „Haltung zeigen“ verstetigt werden kann. Impulse aus den Diskussionen sollen weitergeführt werden:
… in einem Positionspapier, das aus der Veranstaltung entstehen soll und zu dessen Finalisierung die Teilnehmenden eingeladen sind;
… auf dem Netzwerktreffen „Wir sind die Wirtschaft: Sichtbar werden“ am 19. März;
… mit einer Online-Version des CSRcamp am 20. März;
… in dem am 11. März erscheinenden CSR MAGAZIN.
Die Ergebnisse des Meetings sicherte Sitha Reis mit ihrem Unternehmen “pictocorder” (siehe Titelgrafik).
Außerdem vernetzten sich bereits während der Veranstaltung zahlreiche Teilnehmende untereinander. Eine Teilnehmerin beim Abschied: „Es tut gut zu sehen, dass es so viele engagierte Menschen und Unternehmen gibt. Sie machen Mut!“
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