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Zur politischen Verantwortung von Unternehmen

Berlin (csr-news) – Nachdem das gemeinwohlorientierte Medienhaus CORRECTIV am 10. Januar 2024 die Deportationsphantasien der AfD enthüllte, dauerte es einige Tage, bis die öffentliche Debatte einsetzte: Welche politische Verantwortung haben Unternehmen und wie sollten sie auf politische Äußerungen und Vorhaben reagieren?

Von Andreas Zeuch

Politische Verantwortung kurz gefasst

Mir geht es in diesem Beitrag nicht um diese Grundsatzfrage. Ich halte sie für beantwortet:

Erstens ist jedes Unternehmen zwangsläufig Teil der sie umgebenden Gesellschaft. Es kann ihr nicht entrinnen. Wo auch immer ein Unternehmen seine Zentrale oder weitere Standorte öffnet, ist es umgehend ein Subsystem der Gesellschaft, in der es geografisch angesiedelt ist. Das hat erhebliche Konsequenzen.

Jedes Unternehmen ist zweitens durch diese unhintergehbare Gegebenheit zwangsläufig von den politischen, rechtlichen, kulturellen, demographischen und infrastrukturellen Rahmenbedingungen der jeweiligen Gesellschaft beeinflusst und von ihnen abhängig. Bezüglich der politischen Abhängigkeit gilt: Jedes Unternehmen genießt die politischen und somit rechtlichen und infrastrukturellen Vorteile, die es selbst weder erschaffen noch garantieren kann. Das ist die unternehmerische Variante des Böckenförde-Diktums: „Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann“ (Böckenförde 1991).

Drittens nutzt somit jedes Unternehmen, das in einer demokratischen Gesellschaft angesiedelt ist, deren Vorteile. Zum Beispiel Rechtssicherheit: die Garantie, dass morgen nicht der nächste Bundeskanzler nach Belieben Eigentümer:innen von Unternehmen enteignet; dass es das verfassungsrechtlich verbriefte Recht auf Eigentum gibt (GG Art. 14 ), oder dass alle Bürger:innen „das Recht [haben], Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen“ (GG Art. 12). Und so geht es weiter mit der jeweiligen Infrastruktur (Energie, Verkehr, Daten…) und nicht zuletzt einer friedlichen und wohlhabenden Gesellschaft als zwingender Grundlage des Konsums.

Selbstverständlich können Unternehmer:innen das alles in den Wind schlagen und weiter behaupten, Wirtschaft und Politik seien getrennte Sphären und für Unternehmen gälte ein Neutralitätsgebot, sie müssten sich mithin aus der Politik heraushalten, was im Sinne einer Reduktion von Politik auf Parteipolitik korrekt ist. Aber Politik ist eben viel mehr. Und wer sich als Eigentümerin oder ihr angestellter Geschäftsführer nicht für unsere Demokratie gegen schwerwiegende Angriffe wie durch die Deportationsaffäre engagiert, muss sich dann den Vorwurf gefallen lassen, Trittbrettfahrer:in zu sein, also die Vorteile auf Kosten der Allgemeinheit zu nutzen (Zeuch 2024). Kann man machen, muss man nicht.

Risiken außerhalb der Komfortzone

Nun können Sie zu Recht einwenden, dass es nicht für jedes Unternehmen so einfach ist, auch nur politisch Stellung zu beziehen. Denn hier ist der geografische Standort ebenfalls entscheidend: Wer seinen Handwerksbetrieb mit zwölf Mitarbeitenden in einer AfD-Hochburg betreibt, kann rein statistisch davon ausgehen, dass rund ein Drittel der Belegschaft eine rechtspopulistische bis -extreme Meinung hat. In solchen Fällen wird bereits die politische Stellungnahme zu einem mitunter erheblichen Risiko für die Eigentümer:innen. Gerade in strukturschwachen Regionen finden sich naturgemäß mehr Kleinstbetriebe als mittelständische Unternehmen. Was wiederum in den neuen Bundesländern häufig vorkommt und die Frage aufwirft, wie dann selbst gewillte geschäftsführende Gesellschafter:innen ihrer unternehmerischen politischen Verantwortung gerecht werden können?

Dr. Andreas Zeuch (Foto: Tatjana Dachser)

Ein naheliegender Schritt scheint zu sein, sich um geförderte und somit kostengünstige unternehmensintern durchgeführte politische Bildungsprogramme zu kümmern. Aktuell schießt deshalb gerade der Business Council for Democracy (BC4D) durch die Decke. Dieses durch die Hertie- und Bosch-Stiftung geförderte, äußerst niederschwellige Bildungsprogramm besteht aus acht je einstündigen Trainingsmodulen, in denen die drei Themen Verschwörungserzählungen, Hatespeech und Desinformation bearbeitet werden. In Summe geht es also um nur einen einzigen Tag Bildungsprogramm für die Teilnehmenden.

Ein ähnliches und deutlich umfassenderes Programm bietet die Initiative Wirtschaften für ein weltoffenes Sachsen. Hier finden sich wesentlich mehr relevante Themen, wie „Neonazismus und Neue Rechte in Sachsen“, die „Integration von internationalen Fachkräften planen, gelingend gestalten und begleiten“ oder „Das wird man wohl noch sagen dürfen“. Ob und inwiefern acht einzelne Remote-Trainingsstunden eine nachhaltige Wirkung entfalten, ist meines Wissens noch nicht untersucht, geschweige denn belegt. Leider finden sich weder auf der Website des BC4D noch der Initiative Wirtschaften für ein weltoffenes Sachsen aktuell (Stand März 2024) Evaluationsergebnisse. Dabei gehe ich davon aus, dass zumindest umfangreichere Angebote auch eine nachhaltige Wirkung erzielen.

Gleichwohl sollten wir auch einen oder mehrere mögliche negative Effekte in Betracht ziehen. Wie würden wohl die vermuteten 30-40% AfD-Wähler (rechtspopulistische Wähler sind tendenziell männlich: Ehlers 2024) in einem Betrieb auf das Programm des BC4D reagieren? Die sächsische Initiative bietet zumindest schon mehr Optionen, die hoffentlich weniger Widerstand erzeugen würden, zum Beispiel „Wieso ich? – Sollen doch andere ihre Meinung ändern“. Aber auch dann können wir nicht davon ausgehen, dass rechtspopulistisch bis -extrem eingestellte Mitarbeitende begeistert bei solchen Bildungs- und Trainingsprogrammen mitmachen. Auch deshalb wäre eine Evaluation solcher Angebote dringend angezeigt.

Die halbierte Demokratie

Wer die unternehmerische politische Verantwortung ernst nimmt, kann also entweder ergänzend oder alternativ über Stellungnahmen hinaus auch Bildungsangebote nutzen. So weit so gut. Aber was, wenn bereits diese Angebote auf Ablehnung stoßen? Was, wenn wir bislang eine Wirkung nur vermuten, aber nicht belegt haben? Und was, wenn eine Inhaberin den Mut und das Bedürfnis hat, noch weiter zu gehen? Was kann dann getan werden? Was sollte möglicherweise getan werden?

Es ist erstaunlich. Das Offensichtliche wird so gut wie nirgends thematisiert – geschweige denn angegangen: Die halbierte Demokratie. Als Bürger:innen wird von uns ein politisches Minimal-Engagement erwartet. Wir sollen wählen gehen, wir sollen uns in unserer Nachbarschaft einbringen, wir sollen unsere Stimme erheben, wenn uns etwas nicht passt (aber bitte ohne Gülle auf Polizisten zu verspritzen, wie zunehmend aggressive Bauern in Brüssel) und wir sollen auch von unserem passiven Wahlrecht Gebrauch machen, wenn wir im Politsystem mitwirken wollen. Das ist die eine Seite.

Auf der anderen herrschen konträre Anforderungen, die einen schizophrenen Raum konstituieren. Denn dort sind wir als arbeitender Souverän (Honneth 2023) andere Rechtssubjekte, die ihrer sonst verbrieften bürgerlichen Rechte teils entledigt werden. Die meisten der 45 Millionen Erwerbstätigen in Deutschland arbeiten als abhängige Angestellte (sic!) und sollen als Verrichtungsgehilfen gemäß §831 BGB auf Anweisung des Dienstherren tätig sein. Sie sollen sich aus der Gestaltung der Organisation heraushalten. Die zukünftige Ausrichtung des Arbeitgebers, die Verwendung des gemeinsam erwirtschafteten Mehrwerts, die Strategie und Governance der Organisation, das alles ist Tabu für die meisten Arbeitnehmenden.

Die offensichtliche Frage lautet: Was macht das mit uns als Bürger:innen? Wie beeinflusst das unsere demokratischen Haltungen, Kompetenzen und Selbstwirksamkeitserwartungen? Wo und von wem wird das thematisiert beziehungsweise umgekehrt übersehen oder gar bewusst ignoriert?

Die ersten beiden Fragen lassen sich schon lange mit einer gewissen Sicherheit beantworten. In der Forschung zum demokratischen Spillover-Effekt, dem Übertrag demokratischer Haltungen, Kompetenzen und Selbstwirksamkeitserwartung aus Organisationen raus in die Gesellschaft rein, zeigt sich immer wieder: Es gibt einen Zusammenhang zwischen den Möglichkeiten, sich demokratisch an der Führung und Gestaltung des Arbeitgebers zu beteiligen und dem (anti-)demokratischen Verhalten außerhalb der Arbeit. Seit Ende der 1970er wurden zunehmend größere Stichproben von Mitarbeitenden untersucht. In den letzten Jahren gab es diverse Studien, basierend auf umfassenden Paneldaten aus einer Vielzahl von EU-Ländern (Ryan und Turner 2021, Timming und Summers 2020). In Deutschland erschienen Untersuchungen, die bisherige positive Zusammenhänge weiter untermauern, wobei sie in auffälliger Weise den internationalen Forschungsdiskurs zum Spillover-Effekt ignorieren, sprich: Es finden sich in den Studien weder der international übliche Terminus „Spillover“ noch einschlägige empirische Forschungsliteratur dazu (Hövermann, A., Kohlrausch, B.; Voss, D. 2021, Kiess et al. 2023).

Corporate Political Responsibility im Innenverhältnis

Kommen wir zurück in den Alltag unseres fiktiven Handwerksbetriebs mit den vermuteten 30-40% AfD-Wählenden. Wenn die motivierte Geschäftsführerin aus diesem Grund eine nachvollziehbare Sorge hat, sich öffentlich mit ihrem Betrieb politisch zu positionieren, und ebenso zweifelt, ob es hilfreich ist, sich einschlägige politische Bildungsangebote ins Haus zu holen, dann kann sie trotzdem tätig werden. Sie kann anfangen, ihre Mitarbeitenden mehr als bisher als Menschen mit eigenen Wahrnehmungen, Interpretationen und Meinungen ernst zu nehmen, indem sie ihre Entscheidungen nicht einfach über deren Köpfe hinweg trifft. Sie kann sie stattdessen um deren Meinung zu anstehenden Entscheidungen bitten, die sie bislang alleine getroffen hat. Nachdem sie mit allen gesprochen hat, bildet sie ihre Meinung und entscheidet dann alleine. Damit behält sie die Entscheidungshoheit, hat aber erstens für sich selbst weitere Informationen erhoben und zweitens etwas getan, was seitens der politischen „Profis“ (Lindner) nur sehr begrenzt passiert: Sie hat die Betroffenen aufgesucht und ihnen zugehört.

Dabei ist selbstredend wichtig, ein klares Erwartungsmanagement zu betreiben: Es geht bei diesem „konsultativen Einzelentscheid“ nicht darum, auf magische Weise jeden Wunsch oder jede Vorstellung der Mitarbeitenden sofort zu verwirklichen. Stattdessen ist das Ziel, besser informierte Entscheidungen zu treffen und die Sichtweise und Meinung der Belegschaft besser kennenzulernen. Im Laufe der Zeit kann sie dann einen Teil ihrer Entscheidungsmacht an die Mitarbeitenden abgeben, die bereit sind, sie anzunehmen und zum Wohle des Betriebs und damit für all seine Akteure einzusetzen. Diese Verpflichtung als Grundlage der Entscheidungsdelegation macht klar, dass die hinzugewonnene Entscheidungsmacht ein wertvolles Gut ist.

Vermutlich kann durch solch eine erste Demokratisierung der Arbeit mehr erreicht werden als durch reine öffentlichkeitswirksame Stellungnahmen. Corporate Political Responsibility beginnt im Innenverhältnis.

Dr. Andreas Zeuch
ist Gründer und Partner der unternehmensdemokraten, Berlin. Das Beratungsunternehmen begleitet Menschen und Organisationen auf dem Weg zu mehr und besserer Partizipation.

Literatur

Böckenförde, E. (1991): Recht, Staat und Freiheit. Studien zur Rechtsphilosophie, Staatstheorie und Verfassungsgeschichte. suhrkamp taschenbuch wissenschaft
Ehlers, F. (2024): »Junge Frauen wählen links, junge Männer driften ab nach rechts außen«. Spiegel Online
Hövermann, A., Kohlrausch, B.; Voss, D. (2021). Anti-Demokratische Einstellungen. Der Einfluss von Arbeit, Digitalisierung und Klimawandel. (Policy Brief). Hans-Böckler-Stiftung
Honneth, A. (2023): Der arbeitende Souverän. Eine normative Theorie der Arbeit. Suhrkamp
Kiess, J., Wesser-Saalfrank, A.; Bose, S. et al. (2023): Arbeitswelt und Demokratie in Ostdeutschland. Arbeitspapier. Otto-Brenner-Stiftung.
Ryan, L.; Turner, T. (2021): Does Work Socialisation Matter? Worker Engagement in Political Activities, Attachment to Democracy and Openness to Immigration“. Industrial Relations Journal 52(2): 125–144
Timming, A.; Summers, J. (2020): Is Workplace Democracy Associated with Wider Pro-Democracy Affect? A Structural Equation Model. Economic and Industrial Democracy 41(3): 709–726
Zeuch, A. (2022): Eine Antwort auf unsichere Zeiten. CSR MAGAZIN
Zeuch, A (2024): Das Trittbrettfahrerproblem der DeportationsAffäre. Blog der unternehmensdemokraten

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