Wird von Kreislaufwirtschaft gesprochen, verlaufen die Denk- und Diskussionspfade meist rasch in Richtung Technologie und Technik. In einem zutiefst von Ingenieurskultur und -kunst geprägten Industrieland mag das nicht verwundern – und zweifelsohne werden viele Lösungen zur Bewältigung unserer drängenden Nachhaltigkeitsherausforderungen letztlich darauf hinauslaufen. Jedoch weisen nicht nur Experten des Wuppertal Instituts darauf hin, dass technologische und technische Aspekte möglicherweise der wahrlich einfachere Teil der Lösungen sein werden im Kontext einer gesamtgesellschaftlichen und umfassenden industriellen Umkehr vom linearen zum zirkulären System. Oder, wie es die Europäische Umweltagentur sowie der Rat für Nachhaltige Entwicklung ausdrücken: Ohne Bildung zur Kreislaufwirtschaft keine Ergründung, Anwendung und Umsetzung neuer Technologien, Produkte und Dienstleistungen.
Von Tim Breitbarth und Isabelle Dachs
Wenn wir über Kreislaufwirtschaft sprechen, sollten wir also Bildung in all ihren Formen als Angelpunkt in den Fokus rücken. Denn ohne den Dreiklang aus passendem Wissen, Kompetenzen und Fähigkeiten laufen wir Gefahr, die befriedigende Vorstellung von und Fokussierung auf technologische Lösungen der Kreislaufwirtschaft zur Schimäre verkommen zu lassen. So reicht es nicht, dass Menschen wissen, dass ein Produkt repariert werden kann, und diese Produkteigenschaft gegebenenfalls regulativ eingefordert wird. Wir brauchen auch die individuelle Kompetenz, um entscheiden zu können, unter welchen Umständen dies machbar und sinnvoll ist. Sowie kulturelles und persönliches Erfahrungswissen und die soziale Akzeptanz des Reparierens – das bedeutet, dass ist nicht nur ‚okay‘ ist, sein Fahrrad in Reparatur zu geben, damit es wieder nutzbar wird, sondern eine derartige Selbstverständlichkeit auch auf andere Produktgruppen zutrifft wie Kleidung und Elektrogeräte.
Kreislaufwirtschaft und ihr Ursprung im systemischen Verständnis
Der Zustand unseres Planeten offenbart, dass eine Abkehr vom linearen Wirtschaftssystem bereits gestern hätte stattfinden müssen. Illustrativ dafür ist der Earth Overshoot Day, an dem die jährliche regenerative Kraft der Erde erschöpft ist – der global im August und für Deutschland im Mai liegt – sowie, dass die Menschheit in den letzten zwei Jahrzehnten die Extraktion von Rohstoffen um 70% gesteigert hat. Auch wenn eine komplette Zirkularität nie erreicht werden wird, verspricht die Hinwendung und ambitionierte Umsetzung des Konzepts der Kreislaufwirtschaft die nachhaltige Verbesserung unserer menschlichen Lebensgrundlagen. Folgerichtig sind der Wandel hin zu einer zirkulären Wirtschaft und entsprechende gesellschaftliche Unterstützung von zunehmender politischer Bedeutung, wie am Circular Economy Action Plan der EU (CEAP) oder der deutschen Nationalen Kreislaufwirtschaftsstrategie (NKWS) zu sehen.
Und doch fungiert Kreislaufwirtschaft derzeit eher als Sammelbegriff: von der landläufigen Gleichsetzung mit Recycling, vor allem in Deutschland – in eigener Wahrnehmung DIE Mülltrennungsnation – und damit der Forderung und Suche nach funktionierender Abfallwirtschaft; über die Verkürzung auf 3Rs (Reduce, Reuse, Recycle), also einer Art Toolbox zur Umsetzung einer zirkulären Wirtschaft; hin zum feingezeichneten, kaskadierendem Butterfly Modell der Ellen MacArthur Foundation, das drei Prinzipien in den Mittelpunkt stellt: Müll und Verschmutzung zu eliminieren, Produkte und Materialien im Kreislauf zu behalten sowie Natur zu regenerieren. Letzterer Ansatz kommt dem systemischen und zunächst von Technologien losgelösten ursprünglichen Denken der Kreislaufwirtschaft der Ökonomen Boulding (1960er Jahre) sowie Pearce und Turner (1990er Jahre) nahe.
„Umwelt“ und „Inwelt“: Verständnis von und Respekt für natürliche Zyklen und Materialflüsse
Doch wie gelingt nun ein Wandel eines gesamten Wirtschaftsmodells? Das Bundesumweltamt zeigt auf Bildung als Stellschraube und gesellschaftlichen Treiber – vor allem, weil sie aktiv beeinflussbar ist. In der akademischen Literatur finden wir zudem den zentralen Kritikpunkt, dass generationenlang losgelöst vom Wissen und Verständnis von natürlichen Zyklen und Materialflüssen gelehrt, gelernt und gelebt wurde. Es heißt, dass dies im deutschen Bildungssektor nicht ausreichend aufgearbeitet wird, da in einer „Wissensgesellschaft“ eben solches – Wissen – überbetont wird. Hier kann man ansetzen: Beispielsweise durch curricular-verankerte Outdoor Education wie unter anderem in Neuseeland – oder alleine auch ‚Education Outside the Classroom‘, also integrativem Lehren und Lernen außerhalb des Klassenzimmers, Vorlesungssaals oder Seminarraums. Ausflüge zu Museen, historischen Stätten, Naturreservaten und auch mehrtägige Outdoor-Aktivitäten wie Camps, Wanderungen und Kajaken helfen Wissen realweltlich, unterhaltsam und kollaborativ zu vermitteln und zu erfahren. So erwachsen praktisches Naturverständnis, Respekt ihr gegenüber und entsprechende Kompetenzen, die auch in andere multidisziplinäre Lern- und Lebenszusammenhänge eingebracht werden.
Es geht darum, Nähe zur Natur statt Distanz, mental zu verankert. Allein der Begriff „Umwelt“ als eine außerhalb oder gar losgelöst von uns Menschen existierende Welt verleitet zu entrückten Vorstellungen und Problembeschreibungen sowie letztlich oberflächlichen – unter anderem technologischen – Lösungen. Luftverschmutzung, Mikroplastik und Chemikalien fließen mittels Atmung und Nahrung in und durch unseren Organismus – und reichern sich unter Umständen unvorteilhaft an – so dass „Umwelt“ oft gleichzeitig „Inwelt“ beschreibt. Bei systemischen Herausforderungen und Lösungen, wozu das Konzept der Kreislaufwirtschaft gehört, ist eine daran angepasste Bildung auf breiter Basis akut und wesentlich, sprich bei formaler und informeller Bildung, bei Kinder- bis Erwachsenenbildung, bei Aus- bis Weiterbildung.
Beispielprojekt mit Fokus auf Dreiklang aus Wissen, Kompetenzen und Fähigkeiten
Ein Beispiel für ein mehrjähriges Projekt, das den Dreiklang aus Wissen, Kompetenzen und Fähigkeiten zu Kreislaufwirtschaft im Blick hat, ist das Erasmus+ Projekt Circular Economy In Practice (CE-IP). Ausgangslage ist, dass ein Abklang von materialproduzierenden und verarbeitenden Sektoren und ein Anstieg der Sektoren rund um Abfallmanagement, Recycling und Reparatur – also Sektoren, die in der Kreislaufwirtschaft verankert sind – erwartet wird. Um diese neuen grünen Beschäftigungsmöglichkeiten mit entsprechender Qualität besetzen zu können, werden Qualifizierungen in diesen Bereichen benötigt. Als konkreter Anwendungsbereich wurde hierfür die Textilindustrie ausgewählt. Im Textilsektor mit all seinen meist mehrfach problematischen Herstellungsbedingungen werden über 50 % des Kleidungsmülls nicht wiederverwertet oder recycelt und landen demnach, klassifiziert als sortenreiner Abfall, auf Mülldeponien. Nur 20 % des Kleidungsmülls werden gesammelt und recycelt oder wiederverwendet.
Um die Ganzheitlichkeit des Dreiklangs zu aktivieren, sind internationale Hochschulpartner, Sozialagenturen, beziehungsweise Gründungswerkstätten mit dem Fokus auf formal Niedrigqualifizierte, sowie lokale Textilnetzwerke in einem Konsortium aus öffentlichen und privaten Partnern zusammengekommen. Das Projekt hat also einen zweiten Dreiklang im Blick: was, wer, wie. In mehreren Projektschritten wurden Wissen und Grundlagen zur Kreislaufwirtschaft und existierenden wie möglichen Geschäftsmodellen sowie Trainingsmaterialien und -formate aufgearbeitet. Hierdurch verläuft der Bestandteil ‚Wissen‘ unmittelbar in die Ideenbildung, Erfahrungsaufbau und Aktivierung werden gefördert. Wissen wird also nicht-linear und iterativ aufgebaut und eingespielt sowie rund um notwendige Kollaborationen konzipiert.
Inhaltlich ergibt sich eine Streckung, die vielversprechende praktische Wirkungen vom Verständnis über die Motivation bis zur kollaborativen Umsetzung verspricht, insbesondere Naturverständnis, Circular Design Grundlagen, Managementprinzipien, Kooperation, innovative Verfahrenstechniken, Produktlebensdauer, auch aus dem Projekt selber bereits entstandene Praxisfälle – und: Train-the-Trainer-Kompetenz. Denn um im und über das Projekt hinaus ein multiplizierendes Momentum zu schaffen, haben in einer späteren Phase viele Teilnehmende selbst jeweils ein Training für formal wenig qualifizierte Erwachsene auf Grundlage der erarbeiteten Materialien und Kompetenzen erstellt. Weitere Trainings richteten sich zudem an Kleinstunternehmen des Textilsektors, um die Kreislaufwirtschaft weiter in der Praxis zu verbreiten und Qualifikationen praxisnah zu vermitteln, aber durchaus auch darüber hinaus an viele formal weniger qualifizierte Zielgruppen, die in einfacher, gebündelter und interaktiver Form für die Praxis einer Kreislaufwirtschaft begeistert und fit gemacht werden könnten.
Mit befähigten Lehrenden und angemessener Pädagogik zur Systemveränderung
Mit einer Transformation hin zur Kreislaufwirtschaft geht ein grundlegendes Umdenken von Abfall, Ressourcen, Wirtschaften und Wert einher – was wird als wertvoll erachtet und was nicht? Welche Rohstoffe verwenden wir und wie können Produkte und Dienstleistungen so gestaltet werden, dass so wenig nicht-verwendbare Outputs wie möglich entstehen und Rohstoffe so lange wie möglich im Kreislauf bleiben? Allgemeiner: Wie produzieren wir – und wie konsumieren wir? Mehr als Handlungsmöglichkeiten und technologische Lösungen hindern uns ein unangemessenes Verständnis und Denken – wozu neben der Überbetonung von Wissen auch die Überbetonung von Wettbewerb, Mechanik und Konkurrenz statt Werte, Menschen und Kollaboration gehört – gerade in der einflussreichen wirtschaftswissenschaftlichen und Management-Bildung. Im Bereich der Business Schools etablieren die United Nations Principles for Responsible Management Education (UN PRME) mit dem globalen i5-Projekt zu verantwortungsvoller Führung neue Standards und Horizonte. Denn: So oder so sind die Verwirklichung eines zirkulären Wirtschaftssystems und der entscheidende Beitrag der Bildung nicht ohne entsprechend befähigte Lehrende und angemessene neue Pädagogik zu erreichen.
Prof. Dr. Tim Breitbarth
ist Inhaber der Professur für Nachhaltiges Management & Corporate Social Responsibility und Direktor des New Sustainability Institute der CBS International Business School in Köln.
Isabelle Dachs
ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin im New Sustainability Institute der CBS International Business School in Köln.
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