40.CSR-MAGAZIN existenzsichernder Lohn Modeindustrie Unternehmen & Gesellschaft

Textilproduktion: „Die zu geringen Löhne sind ein offenes Thema.“

Johanna von Stechow (Foto: Tchibo)

Das Interview mit Johanna von Stechow von Tchibo für das 40. CSR MAGAZIN

Hamburg (csr-news) – Nach dem katastrophalen Einsturz einer Textilfabrik in Dhaka vor zehn Jahren hat sich in Sachen Gebäudesicherheit vieles gebessert. Die Löhne der Textilarbeiterinnen in Bangladesch sind allerdings erschreckend gering geblieben. Darüber und über andere aktuelle Herausforderungen in der Textilindustrie sprach CSR NEWS mit Johanna von Stechow, die seit einem Jahr als Direktorin den Bereich Unternehmensverantwortung bei Tchibo verantwortet – gemeinsam mit Pablo von Waldenfels. Das Gespräch führte Achim Halfmann.

CSR MAGAZIN: Frau von Stechow, wie blicken Sie heute auf den katastrophalen Fabrikeinsturz in Rana Plaza, Dhaka, vor zehn Jahren zurück – und auf dessen Konsequenzen für die Modeindustrie?

Johanna von Stechow: Der Fabrikeinsturz in Rana Plaza war ein schreckliches Ereignis, dass die Branche richtig wachgerüttelt hat. Unternehmen wissen heute, dass sie Verantwortungen für Produktionsbedingungen in ihren Lieferketten übernehmen müssen. Ein weiterer Effekt war, dass die Öffentlichkeit das Thema Arbeitsbedingungen in der Produktion wahrgenommen hat: Menschen fragen Unternehmen danach, was sie tun, um ihre Produkte unter guten Bedingungen herzustellen.

Zudem war schnell klar: Arbeitssicherheit ist ein Thema, bei dem nicht ein Unternehmen alleine Veränderungen herbeiführen kann. Deshalb wurde der Bangladesh Accord als Brancheninitiative gegründet, der sich als sehr erfolgreich erwies. Rund 200 Unternehmen mit 1.600 Produktionsstätten, die rund zwei Millionen Arbeiterinnen beschäftigen, haben den Accord unterschrieben. Heute gibt es eine deutlich verbesserte Gebäudesicherheit und einen funktionierenden Beschwerdemechanismus. Der Bangladesh Accord ist ein schönes Beispiel für eine gelungene Brancheninitiative.

Die Verbesserung von Gebäudesicherheit und Brandschutz in Textilfabriken war ein wichtiger Erfolg. An anderen Themen hat sich wenig verändert: Vor zehn Jahren verdiente Textilarbeiterinnen etwa 50 Euro im Monat, heute sind es etwa 70 Euro – inflationsbereinigt ist das keine Verbesserung.

Die zu geringen Löhne sind ein offenes Thema. Für Tchibo ist das ein wichtiges menschenrechtliches Thema in der Lieferkette, das sich in den letzten zehn Jahren nicht ausreichend verbessert hat. Deswegen haben wir gemeinsam mit H&M, C&A und IndustriALL die Initiative „ACT on Living Wages“ ins Leben gerufen, an der sich heute auch andere Brands beteiligen. Ziel ist es, über Tarifverträge faire Löhne in den Produktionsländern der Textilindustrie zu verhandeln. Und das idealerweise in vielen Ländern, damit keine Konkurrenz untereinander entsteht. Bei ACT sind wir hoffnungsvoll, dass uns dies gelingen wird: Die Initiative steht aktuell endlich vor ihrem ersten Erfolg: In Kambodscha sind die Gewerkschaften und der Arbeitgeberverband dabei, einen Tarifvertrag für die Bekleidungsindustrie zu verhandeln.

Auch in Bangladesch gibt es aktuell Bewegung bei diesem Thema: Die Regierung hat den Prozess zur Festsetzung der neuen Mindestlöhne für die Bekleidungsindustrie eingeleitet. Da die Mindestlöhne seit fünf Jahren nicht mehr erhöht wurden, liegt das derzeitige Niveau weit unter dem, was Beschäftigte brauchen, um ihre Grundbedürfnisse zu decken. ACT hat sich in einem Brief an die Verantwortlichen klar positioniert und bekräftigt, dass sich der neue Mindestlohn an einem existenzsichernden Niveau orientieren muss und dabei die Berechnungen der Gewerkschaften berücksichtigt werden müssen.

Außer den menschenrechtlichen stellen sich der Modeindustrie auch zahlreiche ökologische Herausforderungen, etwa wenn es um den Chemikalieneinsatz oder CO2-Emissionen geht.

CO2 und Chemikalien sind zwei der Umweltthemen, die uns stark bewegen. Der Druck, den Greenpeace 2011 mit der Detox-Kampagne gemacht hat, hat zu echten Veränderungen in der Branche beigetragen.

Für uns ging es erstmal darum, Transparenz zu schaffen, in welchen Fabriken Chemikalien-intensive Prozesse stattfinden. Um dann zu schauen, was verbessert  werden kann. Solche Verbesserungen brauchen Expertentum, und das fehlte aus unserer Perspektive. Deshalb haben wir gemeinsam mit der Rewe Group und der GIZ ein Train-the-Trainer-Programm ins Leben gerufen. In den zurückliegenden Jahren haben wir in unserer Lieferkette das Thema Chemikalieneinsatz intensiv angegangen. Auch die Brancheninitiative „Zero Discharge of Hazardous Chemicals“, in der wir uns engagieren – kurz ZDHC –, hat hier viel bewirkt.

Aber auch beim konventionellen Baumwollanbau werden Chemikalien eingesetzt. Deswegen setzen wir bei Tchibo auf 100% nachhaltig angebaute Baumwolle. Sie ist erheblich besser für den Menschen und die Umwelt. In Indien habe ich Biobaumwollfarmen besucht und von den Arbeiterinnen gehört, dass sie und ihre Kinder seit der Umstellung auf „Bio“ keine Ausschläge mehr haben. Auf den Feldern wird zudem die Fruchtfolge verbessert.

Ebenso bewegt uns die Reduktion der CO2-Emissionen. Wir sehen, dass die größten Umweltauswirkungen – etwa 70 % – bei der Produktion der Rohmaterialien anfallen. Beim Polyester setzen wir daher zum Beispiel auf recyceltes Polyester.

Was uns zu dem ebenfalls sehr aktuellen Thema Kreislaufwirtschaft bringt. Dazu braucht es neue Designs, Stoffkreisläufe und Geschäftsmodelle.

Ja, hier arbeiten wir an unterschiedlichen Strängen. Zum Beispiel wollen wir bei Tchibo das textile Recycling projektieren und Stoffkreisläufe schließen. Das heißt, dass Granulate aus nicht mehr getragenen Textilien hergestellt werden – und nicht aus PET-Flaschen. Dazu müssen ganze Rohstoffkreisläufe geändert werden. Außerdem startet Tchibo gerade einen Piloten zum „Design for Recycling“. Dabei wird die Kreislauffähigkeit vollumfänglich über die gesamte Produktentwicklung hinweg mitgedacht.

Auch bei Verpackungen arbeiten wir sowohl am Einsatz von Rezyklaten als auch an der Recyclingfähigkeit. Und was die Geschäftsmodelle betrifft, sind eine langfristige Nutzung von Kleidung und der Second-Hand-Kauf natürlich die nachhaltigsten Lösungen. Auch das fängt beim Design der Kleidung an, die für eine lange Haltbarkeit ausgelegt sein muss.

Auf Seiten des Handels stellt sich die Frage, wie viele – auf eine Saison beschränkte – Kollektionen man anbietet. Tchibo bietet modische Kleidung an, die recht zeitlos ist. Außerdem bieten wir überwiegend Kinder-, Sport- und Heimtextilien an, Produktgruppen also, die ohnehin keinen allzu großen Trendschwankungen unterliegen.

Mit Tchibo Share hatten wir einen Piloten zur Vermietung von Kleidung gestartet. Aus dem Piloten haben  wir viel gelernt, ihn am Ende aber wieder eingestellt. Mieten ist im Moment vielleicht noch nicht die Lösung, aber Second Hand ist akzeptiert – insbesondere bei Kinderkleidung. Darum starteten wir im Juli einen Tchibo Pilot Shop auf der Second Hand Plattform Sellpy.

Der Pilot erzielte bisher eine gute Abverkaufsquote mit höheren Preisen als erwartet. Den größten Anteil der verkauften Produkte machen bislang Jacken und Outdoor-Artikel aus, gefolgt von Hosen und Jeans. Erfreulicherweise zeigen die Second-Hand-Sellpy Kundinnen und Kunden großes Interesse an Tchibo Produkten.

Welche Rolle spielen EU-Gesetzgebungen, die sich dem Recycling und anderen Nachhaltigkeitsthemen beschäftigen?

Der EU Green Deal spielt uns in die Karten – sowohl auf ökologischer als auch auf sozialer Ebene. Klare Vorgaben für die Recyclingfähigkeit von Verpackungen sind eine Hilfe. Und es werden ja auch andere Produktkategorien angedacht. Das Lieferkettensorgfaltsgesetz hat große Veränderungen in der Branche initiiert – und wir sehen auch das europäische Lieferkettengesetz sehr positiv. Die Corporate Social Responsibility Directive – kurz CSRD – wird ebenso zu einem großen Wandel führen. Durch Wesentlichkeitsanalysen und Transparenz werden öffentliche Debatten angestoßen, was den Wandel weiter fördern wird. Ebenso begrüßen wir die Bestimmungen zu entwaldungsfreien Lieferketten: Die bereiten in manchen Abteilungen viel Arbeit, bringen den Wandel aber ebenso deutlich voran.

Welche Rolle hat das Textilbündnis bei den Veränderungen in der Modebranche gespielt?

Das Textilbündnis ist die erste deutsche Initiative, bei der alle Akteursgruppen vertreten sind – auch im Steuerungskreis. Wir sind seit 2015 dabei, weil wir überzeugt sind, dass wir als Branche gemeinsam handeln müssen.

Im Textilbündnis ist die Stimme des globalen Südens zu hören. Es gibt eine Berichtspflicht und Vergleichbarkeit. Nachhaltigkeitsherausforderungen sind durch das Textilbündnis in die Öffentlichkeit getreten.

Es gibt aber auch Bereiche, in denen das Textilbündnis besser werden kann. Zum Beispiel könnte die Teilnahme verbindlicher sein. Wenn Standards nicht eingehalten werden, gibt es derzeit wenig Konsequenzen. Auch könnten Menschen in den Produktionsländern – die Arbeiterinnen und ihre Gewerkschaften – stärker in die Ausgestaltung von Maßnahmen einbezogen werden. Diese Themen wird das Bündnis in den nächsten Jahren sicher adressieren.

Haben Sie vielen Dank für das Gespräch!

Creative Commons Lizenzvertrag
Dieser Text (ohne Bilder) ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 International Lizenz.


Werden Sie Teil der CSR NEWS-Community, gestalten Sie den Nachhaltigkeitsdialog mit, vermitteln Sie Impulse in unsere Gesellschaft und lesen Sie uns auch als eBook. > Weitere Infos

Hinterlassen Sie einen Kommentar

Consent Management Platform von Real Cookie Banner