Hamburg (csr-news) – Nach dem katastrophalen Einsturz einer Textilfabrik in Dhaka vor zehn Jahren hat sich in Sachen Gebäudesicherheit vieles gebessert. Die Löhne der Textilarbeiterinnen in Bangladesch sind allerdings erschreckend gering geblieben. Darüber und über andere aktuelle Herausforderungen in der Textilindustrie sprach CSR NEWS mit Johanna von Stechow, die seit einem Jahr als Direktorin den Bereich Unternehmensverantwortung bei Tchibo verantwortet – gemeinsam mit Pablo von Waldenfels. Das Gespräch führte Achim Halfmann.
CSR MAGAZIN: Frau von Stechow, wie blicken Sie heute auf den katastrophalen Fabrikeinsturz in Rana Plaza, Dhaka, vor zehn Jahren zurück – und auf dessen Konsequenzen für die Modeindustrie?
Johanna von Stechow: Der Fabrikeinsturz in Rana Plaza war ein schreckliches Ereignis, dass die Branche richtig wachgerüttelt hat. Unternehmen wissen heute, dass sie Verantwortungen für Produktionsbedingungen in ihren Lieferketten übernehmen müssen. Ein weiterer Effekt war, dass die Öffentlichkeit das Thema Arbeitsbedingungen in der Produktion wahrgenommen hat: Menschen fragen Unternehmen danach, was sie tun, um ihre Produkte unter guten Bedingungen herzustellen.
Zudem war schnell klar: Arbeitssicherheit ist ein Thema, bei dem nicht ein Unternehmen alleine Veränderungen herbeiführen kann. Deshalb wurde der Bangladesh Accord als Brancheninitiative gegründet, der sich als sehr erfolgreich erwies. Rund 200 Unternehmen mit 1.600 Produktionsstätten, die rund zwei Millionen Arbeiterinnen beschäftigen, haben den Accord unterschrieben. Heute gibt es eine deutlich verbesserte Gebäudesicherheit und einen funktionierenden Beschwerdemechanismus. Der Bangladesh Accord ist ein schönes Beispiel für eine gelungene Brancheninitiative.
Die Verbesserung von Gebäudesicherheit und Brandschutz in Textilfabriken war ein wichtiger Erfolg. An anderen Themen hat sich wenig verändert: Vor zehn Jahren verdiente Textilarbeiterinnen etwa 50 Euro im Monat, heute sind es etwa 70 Euro – inflationsbereinigt ist das keine Verbesserung.
Die zu geringen Löhne sind ein offenes Thema. Für Tchibo ist das ein wichtiges menschenrechtliches Thema in der Lieferkette, das sich in den letzten zehn Jahren nicht ausreichend verbessert hat. Deswegen haben wir gemeinsam mit H&M, C&A und IndustriALL die Initiative „ACT on Living Wages“ ins Leben gerufen, an der sich heute auch andere Brands beteiligen. Ziel ist es, über Tarifverträge faire Löhne in den Produktionsländern der Textilindustrie zu verhandeln. Und das idealerweise in vielen Ländern, damit keine Konkurrenz untereinander entsteht. Bei ACT sind wir hoffnungsvoll, dass uns dies gelingen wird: Die Initiative steht aktuell endlich vor ihrem ersten Erfolg: In Kambodscha sind die Gewerkschaften und der Arbeitgeberverband dabei, einen Tarifvertrag für die Bekleidungsindustrie zu verhandeln.
Auch in Bangladesch gibt es aktuell Bewegung bei diesem Thema: Die Regierung hat den Prozess zur Festsetzung der neuen Mindestlöhne für die Bekleidungsindustrie eingeleitet. Da die Mindestlöhne seit fünf Jahren nicht mehr erhöht wurden, liegt das derzeitige Niveau weit unter dem, was Beschäftigte brauchen, um ihre Grundbedürfnisse zu decken. ACT hat sich in einem Brief an die Verantwortlichen klar positioniert und bekräftigt, dass sich der neue Mindestlohn an einem existenzsichernden Niveau orientieren muss und dabei die Berechnungen der Gewerkschaften berücksichtigt werden müssen.
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