Berlin (csr-news) – Was wir als „Altkleidersammlung“ kennen, darf wohl noch nicht als Einstieg in eine textile Kreislaufwirtschaft betrachtet werden. Die Herausforderung in der Branche sind enorm, wenn man etwa auf das Textil-Design oder die Geschäftsmodelle in der Modewelt schaut. David Quass lebt in der Schweiz und ist Senior Director Sustainability bei der US-amerikanischen VF Corporation, zu der Marken wie icebreaker, The North Face, Timberland und Vans gehören. Mit ihm sprach CSR NEWS über die Herausforderungen und Chancen der Kreislaufwirtschaft in der Modeindustrie. Das Gespräch führte Achim Halfmann.
CSR NEWS: Herr Quass, wie viel Kreislaufwirtschaft steckt heute in den Marken von VF?
David Quass: Kreislaufwirtschaft ist vergleichbar mit einer Reise, die wir vor vielen Jahren begonnen haben. Die ersten Produkte der Circular Series unserer Marke Napapijri haben wir bereits 2018 auf den Markt gebracht. Damit begann eine Phase des Ausprobierens und Verstehens: Wir haben Recommerce- und Take Back-Lösungen getestet und Piloten wie die Circular-Design-Serie Timberloop und das The North Face Renewed-Programm zur Wiederverwendung von Textilien gestartet.
Das Thema Kreislaufwirtschaft befindet sich bei VF gerade im Wandel: In den Jahren des Ausprobierens und Verstehens ging es darum: Wie reagieren Konsumenten? Welche Assoziationen haben sie zu den Produkten? Jetzt gehen wir den Schritt hin zur Systematisierung und fragen uns: Wie können wir das ausrollen und in unsere Geschäftsprozesse integrieren? Wir wollen weg von singulären Piloten. Dabei sind wirklich alle Geschäftsprozesse im Blick – einschließlich der Entwicklung neuer Geschäftsmodelle, der Interaktion mit den Kundinnen und Kunden und der Materialaufbereitung. Im Hintergrund sind wir bereits dabei, die verschiedenen Dimensionen der Kreislaufwirtschaft miteinander zu vernetzen.
Dabei wollen wir mit quantifizierbaren Metriken und Science-Based Targets arbeiten. Und natürlich geht es auch um ein kreislauffähiges Produktdesign: So sind wir etwa im Bereich Performance Footwear bei Timberland dabei, statt der Verwendung von 60 oder 70 miteinander verklebter Komponenten erste Schritte in Richtung eines modularen Designs zu gehen.
Die Materialentwicklung ist damit eine zentrale Herausforderung bei einer Transformation in Richtung Kreislaufwirtschaft.
Das Thema „Materialentwicklung“ lässt sich aus zwei Perspektiven betrachten: Zum einen stellt sich die Frage, was wir als „Kreislaufmaterialien“ definieren. Zum anderen geht es darum, was von unseren Initiativen relevant für unsere Konsumentinnen und Konsumenten ist.
Antworten auf die erste Frage bieten etwa gesetzgeberische Initiativen auf nationaler oder EU-Ebene oder auch Aktivitäten des World Business Council For Sustainable Development. Gehören recycelte – natürliche oder künstliche – Materialien dazu – klassisch etwa recyceltes Polyester? Und nehmen wir etwa bei natürlichen Materialien auch andere Nachhaltigkeitsaspekte in den Blick – wie Biodiversität, Land- oder Wassernutzung? Klar erscheint allerdings, was keine Kreislaufmaterialien sind: die sogenannten „virgin non-renewables“.
Bei der Materialentwicklung bewegt sich gerade viel. So wird etwa an der Entwicklung von „Biobased synthetics“ oder „Carbon capture synthetics“ gearbeitet. Wir arbeiten mit Innovatoren zusammen und schauen dabei auf den Footprint der Materialien. Zudem gibt es eine Vielzahl an Zertifizierungen im Materialbereich, die verstanden werden wollen.
Bei VF steht seit vier Jahren das Thema „regenerative Landwirtschaft“ aktiv auf der Agenda. Bei unseren Marken Vans und Timberland kommt in ersten Produkten regenerativer Kautschuk zum Einsatz. Wir haben dazu eine erste Lieferkette aufgebaut und arbeiten mit Partnern in Thailand. In Kooperation mit unseren Partnern werden Prozesse wie die Zertifizierung und Auditierung abgestimmt. Weitere große Materialgruppen, für die VF regenerative Lösungen entwickelt hat, sind Leder und Baumwolle.
Bei Baumwolle stellt sich etwa die Herausforderung, wie die Faserlänge bei recycelten Materialien gesteigert werden kann, um deren Einsatzfähigkeit zu verbessern. Unsere Industrie ist relativ klein, da kennt man die Innovatoren, die an solchen Herausforderungen arbeiten. Wir arbeiten mit Venture Capital-Plattformen zusammen, um gezielt solche Innovatoren zu unterstützen, deren Entwicklungen zu unseren Marken und deren Herausforderungen passen.
Auch eine andere zentrale Herausforderung haben Sie bereits kurz angesprochen: die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle.
Wir müssen uns ohne Frage den ganzen Lebenslauf eines Produktes und die dort möglichen Entscheidungen ansehen: die Supply Chain, das Produktdesign, Materialauswahl, Produktionsprozesse, Kundeninteraktionen und die End-of-life-Situation. Über diese gesamte Bandbreite müssen wir das Thema Kreislaufwirtschaft denken und die Value Creation dagegenstellen.
Im Material-Sourcing wollen wir verstärkt auf recyceltes Material setzen. Bei den Design-Entscheidungen geht es darum, Modularität umzusetzen. Und beim Blick auf die Geschäftsmodelle geht es um Alternativen zum traditionellen Verkauf: etwa um Vermietung oder Re-Commerce, also den Handel mit gebrauchten Gegenständen. Da explorieren wir derzeit.
Gesetzgebungsinitiativen der EU treiben das Thema voran: Bis zum 1. Januar 2025 müssen alle Länder ein explizites Rückgabeprogramm für Textilien aufgesetzt haben, ähnlich wie bei Glas oder Papier.
Um Kreislaufwirtschaft in unserer Industrie zu skalieren, fehlen uns allerdings noch wesentliche Aspekte, etwa eine quantifizierbare und KPI-gestützte Definition. Für die einen geht es um abbaubare, für die anderen um recyclebare Materialien, wieder anderen um Rücknahmesysteme. Da müssen wir uns auf ein gemeinsames Verständnis und eine gemeinsame Sprache einigen. Und KPIs sind auch mit Blick auf die Corporate Sustainability Reporting Directive der EU wichtig.
Gerade der Modeindustrie wird unter dem Begriff „Fast Fashion“ vorgehalten, dass ihr Geschäftsmodell auf kurze Nutzungszeiten durch Kunden ausgerichtet ist und damit per se nicht nachhaltig sein kann.
In der Modeindustrie gibt es verschiedene Kategorien und Geschäftsmodelle. VF-Kunden sind Outdoor-orientiert, sie schätzen einen aktiven Lebensstil und nutzen unsere Produkte auch deshalb, weil Langlebigkeit zu den Kernwerten unserer Marken gehört. Für alle unsere Marken haben wir strikte Performance-Standards, die Langlebigkeit garantieren. Die Reparierbarkeit gehört bei unseren hochwertigen Produkten dazu.
Die Diskussion über Langlebigkeit und Qualitätsstandards wird in unserer Industrie lebendig geführt – auch auf dem Hintergrund der Corporate Sustainability Reporting Directive. In der Federation of the European Sporting Goods Industry etwa diskutieren wir mit unseren Peers und mit der Politik über Standards, die in der Industrie gesetzt werden können – und über die Quantifizierung von Qualität.
Diese Diskussionen zeigen zugleich die Komplexität der Herausforderungen. Wenn wir den Sustainability Score eines Materials nach vorne bringen wollen, geht es immer zugleich um vielseitige Indikatoren, etwa auch um CO2-Emissionen und Wasserverbräuche. Für mich gilt: In der Komplexität liegt der Charme. Wir müssen Kreislaufwirtschaft immer als System denken.
Haben Sie vielen Dank für das Gespräch!
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