Berlin (csr-news) – „Uns eint das Interesse, gemeinsame Wege für eine nachhaltige Digitalisierung zu erforschen.“ Mit diesem Statement holte Bundesumweltministerin Steffi Lemke die Teilnehmenden der von ihrem Ministerium ausgerichteten Community Convention ab. Die Veranstaltung am 7. September in Berlin stand unter dem Motto „Digitalisierung gestalten“.
Lemke verwies auf das große Potential digitaler Technologien für Umwelt und Naturschutz. Warn- oder Infosysteme etwa seien „nicht nur ein unglaublich wichtiger Faktor, sondern einer, der Leben retten kann.“ Die Ministerin weiter: „Wir brauchen Digitalisierung, auch für die Lösung der ökologischen Krisen.“
Kreislaufwirtschaft braucht den digitalen Produktpass
Als ein Beispiel, wie eine nachhaltigkeitsorientierte Digitalisierung politisch gefördert werden kann, nannte Lemke die im Mai auf EU-Ebene beschlossene Einführung des digitalen Produktpasses. Verbraucherinnen und Verbraucher sollen damit umfassend über den ökologischen Fußabdruck eines Produkts informiert werden; das Bundesumweltministerium hatte die Einführung unterstützt. Lemke dazu: „Ohne digitalen Produktpass wird es nicht möglich sein, die Potentiale von Kreislaufwirtschaft auf breiter Ebene zu heben. Und ohne Kreislaufwirtschaft werden wir die Klimakrise nicht in den Griff bekommen.“
KI als Treiber nachhaltiger Entwicklung
Im Blick auf die Künstliche Intelligenz (KI) betonte die Bundesumweltministerin ebenso deren Chancen. Einerseits brauche es eine Regulierung, die Verbraucher und Urheberrechte schütze. Diese dürfe der KI-Entwicklung aber keine Fesseln anlegen. „KI kann eine Schlüsselinitiative, kann ein Treiber für nachhaltige Entwicklung sein.“
Die Community Convention im Bundesumweltministerium wolle Menschen an der Schnittstelle von Nachhaltigkeit und Digitalisierung zusammenbringen. „Ich glaube, Digitalisierung nachhaltig zu gestalten kann einerseits nur gemeinsam gelingen“, so Lemke. Es dürften keine Technologien begründet werden, die unnötig neue Ressourcen binden. Denn Digitalisierung sei nicht per se nachhaltig, sagte die Ministerin.

Matthias Spielkamp, Geschäftsführer von AlgorithmWatch, am 7.9.23 in Berlin (Foto: Achim Halfmann / CSR NEWS)
„AI for Good“ greift zu kurz
Das von großen Industriekonzernen gesetzte Fraiming „AI for good“ greife zu kurz, sagte Matthias Spielkamp, Mitgründer und Geschäftsführer von AlgorithmWatch, in seinem Beitrag auf der Community Convention. Spielkamp forderte eine stärke nachhaltigkeits-fokussierte politische Rahmensetzung für die Entwicklung künstlicher Intelligenz (KI, englisch AI). Mit Blick auf die großen Digitalkonzerne warnte der NGO-Experte: „Wir haben es mit einer Dominanz von Unternehmen zu tun, die politisch immer schwieriger zu regulieren ist.“
In seinem Beitrag zeigte Spielkamp am Beispiel der Ziele für eine nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen Chancen und Risiken der KI-Entwicklung. Im Blick auf Geschlechtergerechtigkeit und weniger Ungleichheit verwies er auf die „intersektionale Diskriminierung“, also auf Vorurteile im Blick auf Rasse und Geschlecht, die sich in KI-generierten Texten und Bildern finden. Solche Vorurteile aus KI herauszubekommen sei „eine Herkulesaufgabe und die haben wir auch noch nicht bewältigt.“
Deepfakes: „extrem mächtige Technologie“
Spielkamp ging auch auf das Problem der Deepfakes ein, also täuschend echter, aber künstlich erzeugter Videos. „Diese Technologien sind extrem mächtig“, so der NGO-Experte. Das Problem sei nicht neu, aber mit generativer KI sei die Herstellung von Deepfakes einfacher geworden.
Eine Flut an Desinformationen befürchtet Spielkamp – mit Blick auf die bisherigen Erfahrungen – trotzdem nicht. „Nicht die Produktion war der Flaschenhals, sondern die Verbreitung.“ Für die Hersteller von Deepfakes sei es schwierig, die Sperren der großen Plattformen zu überwinden.
Nicht nur Technikwissen, sondern auch Medienkompetenz
Digital verbreitete Falschinformationen sind eine Herausforderung für die Gesellschaft. „Die freiheitliche Gesellschaft setzt voraus, dass Menschen Entscheidungen treffen können“, so Spielkamp. Dies sei unter den komplexen Bedingungen schwer möglich. Es reiche daher nicht, an den Schulen lediglich Informatik als Fach einzuführen, denn gefordert seien Urteilsfähigkeit und Medienkompetenz. „Wir können nicht die ganze Zeit bei der Nachhaltigkeit auf die Technologie gucken“, sagte Spielkamp. „Wir müssen auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt schauen.“ Immer noch verließen 6 % der Schüler die Schulen ohne Abschluss und 20 % könnten kaum lesen und schreiben.

Podiumsteilnehmer:innen von links nach rechts: Dr. Sara Elisa Kettner, Daniel Steffens, Maike Janßen und Marc Engelmann (Foto: Achim Halfmann, CSR NEWS)
Nachhaltiger Online-Handel: „Viel Luft nach oben“
Im Blick auf die Nachhaltigkeit des Online-Handels sieht Maike Janßen vom Umweltbundesamt (UBA) „viel Luft nach oben“. Retouren, die Vermeidung von Verpackungsmüll und der Transport auf der letzten Meile seien zentrale Verantwortungsthemen, sagte Janßen auf einem Podium zur „Nachhaltigen Plattformökonomie und Online-Handel“ anlässlich der Community Convention. So würden Studien zeigten, dass etwa die Hälfte der Pakete ohne zusätzliche Verpackung auskommen könnte.
Ob der Einkauf im stationären oder im Online-Handel nachhaltiger sei, lasse sich nicht pauschal sagen. Der Online-Handel sei dann besser, wenn ein Kunde sonst mit seinem Auto zum Einkauf in die Stadt fahren würde, so die UBA-Mitarbeiterin.
Langlebige Elektronik oder „der letzte heiße Scheiß“?
Eine Verantwortung des Online-Handel sieht Janßen auch für das, was Menschen auf dessen Plattformen erwerben. Es mache einen Unterschied, ob sie langlebige Elektronik oder „den letzten heißen Scheiß, den sie nach einem Jahr wegwerfen“, in den elektronischen Einkaufskorb legten. Der Online-Handel habe viele gute Möglichkeiten, Verhalten zu steuern.
Auf ein verändertes Einkaufsverhalten von Kundenseite setzt Janßen nicht. Umweltbewusstseinsstudien würden zeigen: „Die Erkenntnis ist zwar da.“ Aber, so die UBA-Expertin weiter, „da klafft eine ziemliche Lücke zwischen dem Bewusstsein und der Bereitschaft, das Portemonnaies zu zücken.“
Manipulative Designs
Auf die Verantwortung der Händler für ihre digitalen Oberflächen verwies Sara Elisa Kettner vom ConPolicy Institut. Es gebe manipulative Designs, die zum Verbleib auf einer Plattform und zu mehr Konsum antrieben. Kettner weiter: „Ich bin der Meinung, dass so etwas unterbunden werden sollte.“
Für Marc Engelmann, der mit seinem Startup Boomerang Mehrwegverpackungen für den Onlinehandel entwickelt, stehen oftmals Kostenüberlegungen bei den Plattformbetreibern nachhaltigeren Lösungen entgegen. „Manchmal fehlt auch ein bisschen Mut bei Online-Händlern“, so Engelmann weiter. Es sei einfacher, eine Einkaufstüte mit der Aufschrift „recyclebar“ zu nutzen, als eine Mehrwegverpackung einzusetzen. Deren Kostenvorteil liege darin, dass sie bis zu 50-mal verwendet werden könne.
Zalando: „Wir haben einen großen Schritt zurückgelegt“
Als Vertreter des Online-Handels nahm Daniel Steffens von Zalando an dem Podium teil. „Wir haben einen großen Schritt zurückgelegt“, sagte Steffens im Blick auf die Nachhaltigkeit seines Unternehmens. Es geht um eine große Aufgabe, das Spektrum sei weit und es gebe noch viel zu tun. Weil die Zusammenarbeit wichtig sei, stehe Zalando im Gespräch mit Marken und Kunden.
„Das Interesse an einem nachhaltigen Einkauf wird deutlich größer“, sagte Steffens. Es bestehe aber eine große Unsicherheit, wie und was man nachhaltig einkaufen könne. Der Zalando-Experte verwies dazu auf Frankreich, wo die Beilage eines differenzierten Produktblattes verpflichtend sei.
Kann also staatliche Regulierung den Online-Handel nachhaltiger machen? „Regulierung ja und in vielen Bereichen“, so Steffens. Es gehe um ein „Level Playing Field“ – gleiche Bedingungen für alle. Aber es brauche– etwa im Blick auf Schadstoffe in Textilien – auch eine bessere Marktaufsicht und Überwachung. Aktuellen EU-Gesetzesinitiativen zum Greenwashing steht Steffens positiv gegenüber: „Greenwashing hat es sehr lange und sehr intensiv gegeben.“
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