Alles voller bunter Label: Nachhaltig, Grün, Fair. Zehn Jahre nach Rana Plaza wird die Luft für Greenwashing allerdings dünner. Prominente Beispiele zeigen: Eine gute Nachhaltigkeitsstrategie allein schützt noch nicht vor Vorwürfen. Angesichts aktueller Entwicklungen wie der EU Green Claims-Direktive muss die Kommunikation auf den Prüfstand.
Von Daniel Silberhorn
Es klingt wie eine Ironie der Textilgeschichte: Zehn Jahre nach Rana Plaza macht ausgerechnet ein Unternehmen Schlagzeilen, das die Kategorie ‚Ultra-Fast-Fashion‘ entscheidend definiert. Die Rede ist vom chinesischen Modehändler Shein, der für das erste Halbjahr 2023 einen Rekordumsatz verzeichnet hat. Kaum vorstellbar: Shein bringt laut Beobachtern täglich bis zu 9.000 neue Designs auf den Markt. Und steht dabei mit der billigen Mode vielfach in der Kritik – gerade mit Blick auf Nachhaltigkeit.
Dabei waren vom Fabrikeinsturz 2013 in Bangladesch durchaus positive Impulse auf die Branche ausgegangen. So wurden etwa mehrere Initiativen ins Leben gerufen – neben dem Accord on Fire and Building Safety in Bangladesh (Accord) auch das Bündnis für nachhaltige Textilien als Multi-Stakeholder-Initiative. Dieses setzt sich, wie auf der Webseite zu lesen ist, für „eine soziale, ökologische und korruptionsfreie Textil- und Bekleidungsbranche“ ein.
Kunden wollen Nachhaltigkeit
In der Folge formulierten Kunden zunehmend ein Interesse an Nachhaltigkeit. Laut einer Studie von Zalando aus dem Jahr 2021 ist zwei Dritteln von ihnen Transparenz beim Modeeinkauf wichtig. Und mehr als 50 Prozent halten ethische Arbeitsbedingungen für wesentlich. Aber die gleiche Studie zeigte auch, was bei Shein eine Rolle zu spielen scheint: Nur ein vergleichsweise kleiner Teil der Käuferinnen und Käufer informiert sich wirklich über solche Aspekte.
Zalando selbst adressiert das Thema Nachhaltigkeit auf seiner Webseite ausführlich, hat eine Nachhaltigkeitsstrategie definiert, berichtet seit Jahren über Fortschritte. Darunter finden sich CO2-Reduktionsziele ebenso wie eine Zusammenarbeit mit circular.fashion zur Kreislaufwirtschaft. Durchaus mit Erfolg: Im CDP Climate Change Rating erzielte Zalando mit einem A- fast die Höchstnote und konnte sein Ranking im S&P Global Corporate Sustainability Assessment 2022 weiter verbessern.
Shein hat mit Stand August 2023 lediglich eine dürre ‚Erklärung zur Transparenz in der Lieferkette‘ auf seiner deutschen Seite; der Link ‚Soziale Verantwortung‘ führt aktuell zu einer Fehlermeldung.
Klima-Verspechen werden überprüft
Dennoch sind es Firmen wie Zalando, die in diesem Jahr für angebliches Greenwashing kritisiert wurden. Die Wochenzeitung DIE ZEIT, der Südwestrundfunk und das Onlinemagazin Flip hatten Retouren des Online-Händlers per Sender verfolgt. Und nachgewiesen, dass Rücksendungen teils tausende Kilometer weit transportiert wurden. Wie passt das zu Nachhaltigkeit? Die Journalisten jedenfalls prangerten Zalandos Versprechen der Klimaneutralität an.
Klar ist: Es stellt für viele eine echte Herausforderung dar, CO2-Daten insbesondere dann zu erheben und wirklich zu reduzieren, wenn Lieferketten komplex sind. Und: Selbst die ernsthaftesten Unternehmen befinden sich alle noch auf der Reise hin zu mehr Nachhaltigkeit. Selbst der oft als Vorbild gesehene Outdoor-Spezialist Patagonia bezeichnete sich auf der Weltklimakonferenz COP26 im November 2021 öffentlichkeitswirksam als nicht nachhaltig.
Zudem wird die Aussage ‚klimaneutral‘ zunehmend hinterfragt. So sehr, dass der PR-Fachverband DPRG mit Blick auf den Begriff fragte: „Hat ‚klimaneutral‘ ausgedient?“ Klimaneutralität kann in der Tat nur durch Kompensation erreicht werden, etwa über Finanzierung von Umweltprojekten. Diese Praxis ist in jüngster Zeit zunehmend in die Kritik geraten – obwohl es durchaus Projekte nach anerkannten Standards gibt, die nicht vermeidbare Emissionen ausgleichen können.
Zahllose Nachhaltigkeitslabel
Die Unternehmen dürften zunehmend hinterfragt werden, da deren Versprechen zahlreicher und größer werden. „Eine nachhaltige Mode-Plattform mit einer netto-positiven Auswirkung auf Mensch und Erde“ will etwa Zalando werden. Andererseits identifizierte die Europäische Kommission einen Wust an 230 Nachhaltigkeitslabels allein in der EU. Und stellte fest: Viele Behauptungen sind nicht verlässlich, und die Verbraucher verlieren zunehmend das Vertrauen.
Daher hat die EU-Kommission im März dieses Jahres eine neue Richtlinie vorgeschlagen. Die Green Claims Directive will als eine Art Anti-Greenwashing-Gesetz potenziell irreführende Aussagen unterbinden. Sie legt detailliert fest, wie Unternehmen ihre Umweltauswirkungen und -leistungen vermarkten dürfen. Sollte die Richtlinie wie erwartet im Jahr 2024 in Kraft treten, haben die EU-Mitglieder 18 Monate Zeit, sie in nationales Recht umzusetzen.
Die Direktive ist ein Teil des europäischen Green Deal, mit dem die EU bis zum Jahr 2050 zum weltweit ersten klimaneutralen Kontinent werden will. Bereits bis 2030 sollen beispielsweise die Emissionen in diesem Zuge gegenüber 1990 um mindestens 55 Prozent gesenkt werden.
Gesetze für mehr Nachhaltigkeit
Und sie ist nicht der einzige relevante Vorstoß: Ebenfalls als Teil des Green Deal hat das Europäische Parlament im Juni 2023 die EU-Strategie für nachhaltige und kreislauffähige Textilien angenommen. Bis 2030 sollen Textilien langlebig, wiederverwendbar und reparierbar, sowie recyclingfähig und energieeffizienter sein. Auch das deutsche Lieferkettengesetz nimmt die Unternehmen bereits für Nachhaltigkeitsthemen in die Pflicht.
Im April 2023 stellte Greenpeace in einem Bericht fest, dass Textilunternehmen vielfach eigene Label mit Begriffen wie ‚Nachhaltig‘, ‚Green‘ oder ‚Fair‘ erstellen. Allerdings mit großen Unterschieden bezüglich ihrer Nachhaltigkeit. Durch die Richtlinie dürfte die Branche in ihren Aussagen noch kritischer betrachtet werden – und muss mit rechtlichen Sanktionen rechnen.
Tatsächlich lässt sich bereits jetzt branchenübergreifend eine wahre ‚Explosion‘ in der Zahl der Gerichtsverfahren wegen angeblichen Greenwashings beobachten. Das hat jüngst etwa das Grantham Research Institute on Climate Change and the Environment der renommierten London School of Economics (LSE) festgestellt. Zwischen 2015 und Mai 2023 weltweit stolze 1557 Fälle, während es zwischen 1986 und 2014 insgesamt nur ungefähr 800 gewesen waren.
Lücke zwischen Wort und Handeln schließen
Auch in Deutschland haben sich einige Gerichte mit Greenwashing befasst. Und so schmerzlich es für Unternehmen ist, die in die Kritik geraten: Auf mittlere Sicht dürfte es besser sein, so früh wie möglich Lücken zwischen Kommunikation und wahrgenommenem Handeln zu identifizieren und zu schließen. Denn bei Verstößen gegen die Direktive drohen künftig sogar Bußgelder in Höhe von mindestens vier Prozent des Jahresumsatzes.
Es ist also ein wichtiger Schritt, eine solide Nachhaltigkeitsstrategie zu entwickeln und transparent entlang klarer Ziele umzusetzen, die sich an wissenschaftlichen und akzeptierten Standards orientieren. Und zwar bis ins Geschäftsmodell. Greenpeace fordert beispielsweise schon jetzt Textil-Leih-Modelle, Second Hand und Reparaturen statt nur neu produzierter Ware. Besonders nicht recyclefähige Textilien aus synthetischen Fasern sieht die Organisation kritisch. Während Zalando bereits gebrauchte Kleidung anbietet, setzt Shein rein auf neu.
Aber eine umfassende und glaubhaft umgesetzte Nachhaltigkeitsstrategie genügt nicht, um sicher zu sein vor Greenwashing-Vorwürfen, was das Beispiel Zalando und viele andere gezeigt haben. Gerade bei komplexen Lieferketten muss das Augenmerk auf jede potenzielle Lücke zwischen Wort und Handeln gerichtet werden. Immer gilt: Umweltaussagen müssen transparent und glaubhaft untermauert sein.
Elf Prinzipien, die Unternehmen dabei helfen können:
- Transparenz und Korrektheit: Alle umweltbezogenen Behauptungen in jeglicher Kommunikation müssen korrekt, eindeutig und mit belastbaren Fakten belegt sein.
- Lebenszyklus-Analyse: Umweltdaten über den gesamten Lebenszyklus von Produkten helfen, genaue und glaubwürdige Angaben zu machen – auch für die Nutzungsphase.
- Unabhängige Verifizierung: Eine unabhängige Überprüfung oder Zertifizierung durch anerkannte Drittorganisationen kann die Glaubwürdigkeit von Aussagen erhöhen.
- Spezifität: Vage oder allgemeine Behauptungen erfüllen oft nicht die Anforderungen der Richtlinie. Quantifizierbare Daten und relevante Informationen sind nötig.
- Gesetzeskonformität: Mit Blick etwa auf die Umsetzung der EU-Strategie für nachhaltige und kreislauffähige Textilien muss klar sein, was mehr als das gesetzliche Minimum ist
- Belege von Behauptungen: Prüfberichte, Studien oder andere relevante Unterlagen, die die Umweltaussagen stützen, sollten stets im Unternehmen verfügbar sein.
- Keine vagen Symbole: Umweltzeichen, Symbole oder Zertifizierungen sollten anerkannt und für Verbraucher verständlich sein. Lieber bestehende nutzen, als neue eigene.
- Keine Umweltschäden: Behauptungen sollten nicht den Eindruck erwecken, dass ein Produkt umweltfreundlich ist, wenn es tatsächlich erhebliche negative Auswirkungen gibt.
- Regelmäßige Überprüfung: Umweltaussagen, Beschreibungen und Botschaften sollten regelmäßig auf Korrektheit und Aktualität geprüft und ggf. modifiziert werden
- Interne Schulung und Kommunikation: Mitarbeitende müssen Bescheid wissen über Richtlinien wie die EU Green Claims-Direktive und ihre genauen Anforderungen.
- Nachhaltigkeitskultur: Die interne Kultur sollte Transparenz, Bewusstsein und Verantwortung für Umweltfragen effektiv unterstützen
Mehr Aufwand und mehr Sicherheit
Neue Vorschriften wie die Green Claims-Richtlinie bedeuten zwar zunächst mehr Aufwand und erfordern noch mehr Sorgfalt bei der Kommunikation, von Werbung bis Pressearbeit und Social Media. Gleichzeitig bieten sie aber auch eine klare Orientierungshilfe und mehr Sicherheit vor Greenwashing-Vorwürfen. Ganz abgesehen davon, dass sie Verbraucherinnen und Verbrauchern hoffentlich helfen werden, wirklich fundierte Entscheidungen zu treffen.
Gesellschaft und Umwelt sollten auch profitieren: Wer auch in der Textilbranche künftig einen echten Beitrag zu einer nachhaltigeren Wirtschaft leistet, wird besser als Teil der Lösung gesehen und profitiert von Investitionen bis zur Reputation. Das kommt den Unternehmen zugute, die es ernst meinen mit der Nachhaltigkeit. Das ist eine gute Nachricht für alle.
In diesem Kontext wird das seit Herbst 2022 laufende Projekt Cirpass der Europäischen Kommission mit Spannung verfolgt. Diese Initiative entwickelt den Prototypen eines digitalen Produktpasses – Textilien sind ein Fokus. Ein digitaler Produktpass bündelt als virtueller Ausweis relevante Informationen zur Nachhaltigkeit. Details wie Arbeitsbedingungen oder Umweltschutz könnten so künftig digital und transparent mit dem Produkt verbunden werden.
Den Modehändler Shein dürfte das bislang wenig beeindrucken. Zehn Jahre nach Rana Plaza laufen seine Geschäfte prächtig. Die Frage ist: Für wie lange? Die Antwort darauf finden wir als Gesellschaft.
Daniel Silberhorn
ist Senior Advisor ESG & Sustainability Transformation bei SLR Consulting in Frankfurt am Main und Dozent für Global Communications an der Universität Erfurt