Tel Aviv (csr-news) – Tamir Haas ist PR- und Strategieberater mit einer besonderen Geschichte: Seine Großeltern flohen während der Zeit des Nationalsozialismus aus Deutschland. Ihren Besitz ließen sie zurück, die meisten Verwandten starben in deutschen Konzentrationslagern. Gemeinsam mit der NGO Chasdei Naomi engagiert er sich für ein Projekt des digitalen Erinnerns an den Holocaust und greift dabei auf ein ungewöhnliches Hilfsmittel zurück: Künstliche Intelligenz.
Chasdei Naomi unterstützt in Israel über 100.000 Menschen, die unterhalb der Armutsgrenze leben, mit Nahrung, Elektrizität, Wärme und menschlicher Zuwendung. Darunter sind viele Holocaust-Überlebende, deren Zahl allerdings kontinuierlich sinkt. „Holocaust-Überlegende werden in wenigen Jahren verschwunden sein“, sagt Haas. Der PR-Berater befürchtet, dass danach andere die Geschichte des Holocaust erzählen und mit jedem Jahr etwas verharmlosen werden.
Gerade junge Menschen sollten sich mit der Judenverfolgung im Dritten Reich auseinandersetzen, denn sie tragen Verantwortung für die Zukunft. Haas weiter: „Die nächste Generation wird keine Bücher lesen, wir müssen sie anders interessieren.“ Angesichts einer technik-affinen Generation gelte es, kreativ Technik einzusetzen. Für ein Projekt zur digitalen Erinnerung standen Chasdei Naomi und Tamir Haas kein großes Budget zur Verfügung, deshalb griffen zur Jahreswende 2022 / 2023 auf ein Tool zurück, was langsam populär wurde: die bildgenerierende KI Midjourney.
Chasdei Naomi-Mitarbeiter interviewten Holocaust-Überlebende an zwei Treffpunkten oder in ihren Wohnungen. „Bei PR-Projekten sind die Strategie und die Medien große Herausforderungen, hier war es die Logistik“, berichtet Haas. Aus dem, was diese Menschen berichteten, erstellte ein Mitarbeiter Prompts auf Midjourney und verbesserte die ersten Ergebnisse mit Details aus den Berichten Betroffener so lange, bis sich die Geschichten der Menschen in den KI-generierten Bildern widerspiegelten. Anfang des Jahres gestaltete Chasdei Naomi mit diesen Bildern eine Ausstellung in der südisraelischen Stadt Ashkelon im „Palace of Culture“.
Die Holocaust-Überlebenden seien tief bewegt gewesen, als sie die nach ihren Erinnerungen gestalteten Bilder sahen, berichtet Haas. Ausstellungspartner in Ashkelon war eine in der Jugendarbeit engagierte NGO. Und gehörten Kinder zu den ersten Ausstellungsbesuchern und kamen über die Bilder mit denen, deren Geschichte sie erzählten ins Gespräch. Für Haas ein sichtbarer Beleg, dass dieses Konzept funktioniert.
Über die Ausstellung berichtete die israelische Tageszeitung Haaretz kritisch in ihrer internationalen Ausgabe. KI können keine Emotionen abbilden und verändere das Geschichtsbild, so zwei zentrale Thesen. Der englische Bericht zog viele internationale Medien an, die über das Projekt berichteten – darunter aus Deutschland das Magazin „Der Spiegel“. Die Idee, Bilder der Vergangenheit mit KI lebendig werden zu lassen, faszinierte.
Tamir Haas und Chasdei Naomi arbeiten derweil an neuen Ideen, mit anderen jugendtypischen Medien die Erinnerung an den Holocaust unter jungen Menschen lebendig zu halten. „Wenn das in Vergessenheit gerät, kann es sich in Zukunft wiederholen“, sagt Haas.
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