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Lastenräder in ländlichen Räumen

Foto: Sean Benesh auf Unsplash

Potentiale und Grenzen für nachhaltige Lieferdienstsysteme

Das Lastenrad hat sich in den letzten Jahren zu einem Politikum entwickelt. Ein Hauptaugenmerk wurde dabei auf die Nutzbarkeit in städtischen Kontexten gelegt, aber auch in ländlichen Räumen werden Ansätze diskutiert wie z. B. in der Auseinandersetzung mit nachhaltigen innerstädtischen Liefersystemen. Wie aber können die vielfältigen Vorteile der Lastenradnutzung in nachhaltigen Lieferdienstsystemen eingesetzt werden?

Von Dominik Drewes und Tim Hoffmann

Ein möglicher Ansatz wird dabei gerade in der Stadt Vechta von der Sbeedy GmbH erprobt. Die Vision: Die Vechtaer Wirtschaft zu stärken und dabei einen Beitrag zu einer lebenswerten Stadt und umweltfreundlicher Logistik zu leisten. Mit Lastenrädern wird ein Bring- und Abholservice angeboten, um so Waren emissionsfrei durch Vechta zu fahren. Kund:innen haben dabei die Möglichkeit, Produkte in den Geschäften des Stadtgebiets zu erwerben und sich diese per Lastenrad liefern zu lassen – oder auch selbst Sendungen mit Sbeedy zu verschicken. Die Unternehmensvision zielt neben der Belebung des Einzelhandels auch auf die Reduktion des städtischen Verkehrs und eine damit einhergehende Verbesserung der Luftqualität und Wahrnehmung der Vechtaer Innenstadt (vgl. Sbeedy 2022).

Ökonomisch punkten die Räder durch niedrige Anschaffungs- und Betriebskosten sowie ein Wegfallen der Zulassungs- und Führerscheinpflicht. Verkehrsplanerisch hätten sie das Potential in städtischen Räumen Probleme wie das Zweite-Reihe-Parken von Lieferfahrzeugen zu lösen und durch die Befahrung von Einbahnstraßen und Radwegen sowohl emissionsfreie als auch pünktliche Zustellungen zu garantieren (vgl. Bogdanski & Cailliau 2020: 22).

Probleme konventioneller Lieferdienstsysteme

Die diversen Problemlagen in der Lieferbranche stellen die Etablierung nachhaltiger Kurierdienste in ländlichen Räumen jedoch vor Herausforderungen. Die Anstellungsverhältnisse der Kurierfahrer:innen – insbesondere im Bereich der Essensauslieferung – sind z. B. bei ‘Uber-Eats’ durch Selbstständigkeit der Kuriere organisiert. Diese Anstellungen sind oftmals geprägt von fehlendem Sozialschutz oder im Minijob-Bereich auch fehlender Altersvorsorge der Kurierfahrer:innen (vgl. Lorig & Gnisa 2021: 17). Als Folge der fehlenden Direktanstellung lassen sich im Kontext von Betriebsratsgründungen immer wieder Konflikte zwischen den Plattformen und der Belegschaft identifizieren (vgl. Verdi 2021). All diese Problematiken führen nicht selten zu einer Wahrnehmung der Tätigkeiten als ausbeuterisch. Dementsprechend unattraktiv wirkt auch das Berufsfeld des Kuriers, was auch nachhaltige Lieferdienste vor Herausforderungen in der Akquise neuer Fahrer:innen stellt.

Bedingungen und Voraussetzungen für den Einsatz von Lastenrädern

Für den Einsatz von Lastenrädern für Transportzwecke existieren diverse Voraussetzungen in den Gegebenheiten der Regionen. Eine dieser Voraussetzungen stellt der Bedarf nach wirtschaftlichen Logistikkonzepten dar. Ein Beispiel hierfür kann die Etablierung von sogenannten Mikro-Depots sein. Die Lagerräume, von denen aus die ‚allerletzte Meile bis zur/m Kund:in‘ (vgl. Bippus 2020; Bogdanski et al. 2018) über Lastenräder bestritten wird, haben sich in verschiedenen Regionen bereits etabliert. Aber auch die Wahl des Lastenrads ist ein nicht zu unterschätzender Faktor. Verschiedene Güterarten benötigen unterschiedliche Beladungssysteme. Die Transportanforderungen bspw. einer Kommode unterscheiden sich deutlich von den Anforderungen der Kühlwarentransporte. Auch eine passende regionale Verkehrsinfrastruktur muss gegeben sein, um den Einsatz von Lastenrädern effektiv nutzen zu können. Radwege müssen breit genug sein oder das Fahren auf der Straße ermöglicht werden (vgl. ebd.). Weitere Voraussetzungen lassen sich durch die Perspektive der Kurierfahrer:innen herausarbeiten. Mobilitätsexperte für Lastenräder Christoph Golbeck verweist auf die Frage des Mindsets. Lastenräder seien bspw. wegen des Wetterschutzes nicht so komfortabel und benötigen in der gewerblichen Nutzung teilweise noch Überzeugungsarbeit, um auch skeptische Auslieferungsfahrer:innen zu einem Ausproben zu bewegen. Elementar ist hierbei die passende Ansprache. Golbeck stellt dabei fest, die Überzeugungsarbeit müsse immer „in einer ermächtigenden Perspektive geschehen und nie in einer anklagenden“. Akzeptanz und das Bieten der Möglichkeit, sich „Schritt für Schritt an Neues zu gewöhnen”, sollten hierbei im Mittelpunkt der Ansprachen stehen.

Foto: ruediger_schoen auf pixabay

Nachhaltiger Beitrag von Lastenräder für ländliche Räume

Gleich in mehrfacher Hinsicht bietet das Lastenrad Chancen für eine nachhaltige Entwicklung in ländlichen Räumen. Ökologisch betrachtet stellt das Lastenrad einen Mehrwert für seine Umweltauswirkungen dar. Dadurch, dass Lastenräder keinen Kraftstoff benötigen, entsteht auch keine Feinstaubbelastung für Mensch und Natur. Doch auch akustische Emissionen werden erheblich reduziert, wodurch der Verkehrslärm auf ein Minimum reduziert werden könnte (vgl. Bogdanski & Cailliau 2020: 28).

Auch in der gesellschaftlichen Dimension können Lastenräder einen wertvollen Beitrag leisten. Die verbesserte Luftqualität und die Lärmreduktion erhöhen dabei deutlich die Lebensqualität und auch die Attraktivität der Region. Man stelle sich eine Ortschaft vor, in der die Autos nicht an einem vorbeirasen, hupen und die Abgase einem in die Nase ziehen. Gerade weil Kurier-, Express- und Paketdienst (KEP)-leister:innen die Auslieferung für gleich mehrere Kund:innen übernehmen können, reduziert sich die Anzahl der Verkehrsteilnehmenden. Somit werden die Straßen leerer und insgesamt sicherer. Hinzu kommt, dass Lastenräder einen deutlich geringeren Platzanspruch haben und die Straßen anders nutzen können, weshalb auch die Raumnutzung anders gestaltet werden kann (vgl. Bogdanski & Cailliau 2020: 28). Der turbulente Autoverkehr weicht einer ruhigen und freundlichen Innenstadt. Fußgänger und Kinder finden so mehr Sicherheit und Lebensqualität. So wird die Innenstadt sympathisch und das Image deutlich gestärkt (vgl. Schramm-Klein 2019).

Gleichzeitig bietet die nachhaltige Vernetzung der wirtschaftlichen und privaten Akteure eine ökonomische Chance für den regionalen Einzelhandel: In den vergangenen Jahren hat der Internethandel stark zugenommen und ist somit zu einer existenziellen Bedrohung für regionale oder lokale Unternehmen geworden. Die Einzelhändler vor Ort mussten durch die Online-Konkurrenz starke Umsatzrückgänge verzeichnen. Auch in der emsländischen Stadt Lingen wurde diese Entwicklung mit Sorge hinsichtlich des Aussterbens der Innenstadt verfolgt. Daher haben sich 2017 lokale Kaufleute zusammengeschlossen und gemeinsam das Lieferunternehmen LingenLiefert gegründet. Die Initiative hat sich zum Ziel gesetzt, den lokalen Handel durch die Auslieferung der Ware per PKW zu stärken. Kund:innen wird so die Möglichkeit geboten, Waren im städtischen Laden zu bestellen, die dann zu ihnen nach Hause transportiert werden. Das als Initiative gestartete Projekt hat sich im Laufe der Jahre in Lingen etabliert. Gesche Hagemeier von LingenLiefert: „Von jung bis alt wird das Angebot sehr gut angenommen. Die Kundschaft ist sehr heterogen und bestellt alles von Wein, über Strümpfe bis zum Keramikhäuschen zu sich nach Hause.“ Der Lieferdienst stärke den regionalen Einzelhandel und trete der Konkurrenz aus dem Internet entgegen, so Hagemeier weiter.

Dieses Beispiel zeigt, dass kommunale KEP-Dienstleister:innen für die Regionalentwicklung auch ökonomische Verantwortung übernehmen können. Wirtschaftsstandorte mit stationärem Handel und kaufkraftstarker Kundschaft werden dank der logistischen, lokalen Vernetzung von Internetanbietern unabhängiger, wodurch auch die regionale Resilienz erhöht wird.

Und wie kann das umgesetzt werden?

Eine zentrale Herausforderung liegt allerdings in der Finanzierung des Geschäftsmodells. Gerade weil die Arbeitsbedingungen bei vielen Lieferdiensten u. a. wegen der niedrigen Löhne stark in der Kritik stehen (vgl. López et al. 2022), gilt es, den Job als Kurierfahrer:in entsprechend finanziell attraktiv zu gestalten. Auch die Anschaffung einer Lastenradflotte bzw. deren Abschreibung sowie das regelmäßige Aufladen der Fahrradakkus ist bei der Preisgestaltung für die Kurierfahrten zu berücksichtigen. Die daraus entstehenden Transportkosten, deren Betrag meist einstellig ist, können dann vom Verkäufer eingepreist oder durch den oder die Kund:in getragen werden. Im Weiteren sind jedoch vor allem Marketingkosten bei den KEP-Unternehmen zu berücksichtigen. Diese ebenfalls auf die Transportkosten umzulegen, könnte den Gesamtpreis für die Lieferdienstleistung zu unattraktiv werden lassen. Weil ein nachhaltiges und regionales KEP-Unternehmen einen wichtigen Beitrag für eine starke lokale Wirtschaft sowie Gemeinde leistet, ist eine dauerhafte Förderung durch die Stadt denkbar. Um aber auch andere Möglichkeiten für Finanzierungsmöglichkeiten identifizieren zu können, ist es v. a. wichtig, das Ziel der Etablierung eines KEP-Lieferdienstes zu definieren (vgl. Gerdes & Heinemann 2019: 417).

Voraussetzungen in der Nutzung von Lastenrädern in gewerblichen Transportsystemen ergeben sich aus den Service- und Wartungsstrukturen der Regionen. Erst wenn sich Wartungs- und Servicedienstleister für Lastenrad-Reparaturen etabliert haben, sinkt auch die unternehmerische Hemmschwelle, ein Lastenrad anzuschaffen. Dabei stehen die Möglichkeiten der schnellen und bequemen Wartung der Räder im Fokus. Je unkomplizierter die Wartungswege der Räder sind, desto attraktiver werden sie für die Lieferunternehmen. Insbesondere die Multiplikatoren, welche die Verbreitung und Nutzung von Lastenrädern in den Regionen flankieren, können die Wahrnehmung anderer positiv beeinflussen. Dennoch gibt es praktische Grenzen im Einsatz von Lastenrädern. Sofern die Distanzen zwischen Abhol- und Auslieferort zu groß sind, ist es weder zeitlich sinnvoll noch dem oder der Fahrer:in zumutbar, die Strecke mit einem Lastenrad zurücklegen zu müssen. Der Einsatz von Lastenrädern beschränkt sich somit auf einen begrenzten Umkreis. Eine Vernetzung von bspw. Ortschaften erfolgt daher besser mit einem Auto. Mobilitätsexperte Golbeck verweist auf die Intermodalität und betont die sinnvolle Kombination zwischen Auto und Lastenrad.

Das Vechta von morgen kann also eine Ortschaft im ländlichen Raum sein, in der die Mobilitätswende gelungen ist. Die Innenstadt wird hauptsächlich von Lastenrädern befahren und die beim Supermarkt bestellten Einkäufe werden von Sbeedy nach Hause gebracht. Das Lastenrad hat das Auto nämlich für die kurzen Wege überflüssig gemacht.

Dominik Drewes und Tim Hoffmann
studieren im Masterstudiengang “Transformationsmanagement in ländlichen Räumen” an der Universität Vechta

Literatur

  • Bippus, H. (2020): Eine Alternative im öffentlichen Warennahverkehr – Elektronische Lastenräder und Hub-Lösungen, in: Etezadzadeh, C. (Hrsg.): Smart City – Made in Germany, Wiesbaden: Springer Fachmedien.
  • Bogdanski, R. / Bayer, M. / Seidenkranz, M. (2018): Nürnberger Mikro-Depot-Konzept in der KEP-Branche – Übertragbarkeit auf andere Städte und Integration von innovativen Same-Day- Delivery-Konzepten, Technische Hochschule Nürnberg.
  • Bogdanski, R. / Cailliau, C. (2020): Wie das Lastenrad die letzte Meile gewinnen kann – Potentiale und kritische Erfolgsfaktoren, in: Journal für Mobilität und Verkehr, Ausgabe 5. Deutsche Verkehrswissenschaftliche Gesellschaft e. V.
  • Gerdes, J. / Heinemann, G. (2019): Urbane Logistik der Zukunft – Ganzheitlich, nachhaltig und effizient, in: Heinemann, G. / Gehrckens, H. / Täuber, T. (Hrsg.): Handel mit Mehrwert, Wiesbaden: Springer Gabler.
  • Golbeck, C. (2023): Interview, am 08.02.2023.
  • Hagemeier, G. (2023): Interview, am 14.02.2023.
  • López, T. / Alyanak, O. / Feuerstein, P. / Agüera, P. (2022): Viel Arbeit, schlechte Bedingungen – Gesundheitsrisiken in der deutschen Plattformökonomie, in: WZB Mitteilungen, März 2022 (175), Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung.
  • Lorig, P. / Gnisa, F. (2021): Arbeitsbedingungen und Interessenhandeln in der ortsgebundenen Plattformökonomie, in: Haus der Selbstständigen, online im Internet unter: https://hausderselbststaendigen.info/wp- content/uploads/2022/08/publikation_plattform_final.pdf, letzter Aufruf: 27.02.2023.
  • Sbeedy (2022): Unsere Vision, online im Internet unter: https://www.sbeedy.de/, letzter Aufruf: 26.02.2023.
  • Schramm-Klein, H. (2019): City-Marketing vor dem Hintergrund von Leerständen in den Innenstädten, in: Heinemann, G. / Gehrckens, H. / Täuber, T. (Hrsg.): Handel mit Mehrwert, Wiesbaden: Springer Gabler.
  • Verdi (2021): Gorillas Beschäftigte protestieren gegen Massenentlassungen, online im Internet unter: https://www.verdi.de/themen/geld-tarif/++co++0a8ff748-26a8-11ec-b2b2- 001a4a16012a, letzter Aufruf: 25.02.2023.

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