Bremen (csr-news) – Vom 30. Mai bis 2. Juni fand das World Circular Economy Forum 2023 in Helsinki, Finnland, statt. Zu den Teilnehmenden gehörte der Circular Economy-Experte Christian Dinter, heute Geschäftsführer von Rodiek in Bremen. Als Tochterunternehmen der Nehlsen AG entwickelt Rodiek nachhaltige und zugleich wirtschaftliche Stoffstromkonzepte, vor allem für den afrikanischen Raum, aber auch Circular Economy Werkzeuge und Strategien für Unternehmen und Organisationen. Für CSR NEWS sprach Achim Halfmann mit Christian Dinter über seine Eindrücke von der Konferenz.
CSR NEWS: Herr Dinter, was hat Sie an dem World Circular Economy Forum besonders interessiert?
Christian Dinter: Nach weitgehend analog-konferenzfreien zwei Corona-Jahren wollte ich wissen: Wo stehen wir eigentlich in Sachen Circular Economy. Und da ist mir das Thema Dialogfähigkeit besonders ins Auge gefallen. Denn was wir mit dem Begriff Circular Economy meinen, ist heute scheinbar manchen genauso unklar wie vor zehn Jahren.
Wo geht es denn bei der Definition von Circular Economy auseinander?
Experten, die schon länger dabei sind, und Akteure aus Nordamerika und Australien orientieren sich in der Regel an der Definition von der Ellen MacArthur Foundation. Danach geht es in der Circular Economy darum, die Wiederverwendbarkeit von Materialien bereits ganz am Anfang – im Produkt- und Prozessdesign – zu verankern.
In Deutschland denken wir häufig völlig anders: Wir reden über Kreislaufwirtschaft und beschäftigen uns mit der sicheren Verwendung und Wiederverwertung von Abfällen, also der Nutzung von Abfällen als wiederverwendbare Ressource. Das hat seine Berechtigung, es fehlt aber die durchgehende Verankerung von Wiederverwendbarkeit der Materialauswahl in den Produkten, um eine qualitativ hochwertige Nachnutzung der Materialien zu ermöglichen
Zudem verwechseln wir auch gerne CSR und Circular Economy. Circular Economy ist nicht gleichzusetzen mit CSR, kann aber darauf einzahlen. Jedenfalls müssen wir eindeutig definieren, was wir meinen, damit wir dialogfähig und handlungsfähig sind.
Solche Foren sind eine gute Gelegenheit, neue Akteure und neue Entwicklungen kennenzulernen.
In der Tat, das war ein sehr heterogener Teilnehmerkreis in Helsinki, international, Politiker und operativ Verantwortliche. Die Themen hatten politische, pragmatische oder wissenschaftliche Schwerpunkte.
Einige Teilnehmende konnten von Grassroots-Erfahrungen berichten, diesen Kontakten werden wir weiter nachgehen. Was wir jedoch brauchen, ist eine internationale und sektorübergreifende Strategie, bei der Produktdesign und Materialauswahl, Stoffstromprozesse und Recyclinginfrastruktur zusammenpassen. Aber auch hier kann ich bestätigen, dass wir kein Erkenntnisproblem, sondern ein Umsetzungsproblem haben.
Spannend fand ich die Diskussionen zum Thema „Material as a Service“; hier waren sogar Experten aus dem Mining-Sektor interessiert. Die Idee dahinter ist nicht neu, aber war bis dato vielen noch zu abstrakt: Wenn Produkte konsequent zirkulär gestaltet werden, könnte auch das darin verwendete Material geleast werden. Hier sind wir sozusagen in der Königsdisziplin der Circular Economy unterwegs. Die Entkopplung von Ressourcenverbrauch und Wirtschaftswachstum, wie auch in den EU-Zielen 2050 gefordert, kann nur gelingen, wenn Materialien gebraucht und nicht mehr verbraucht werden und solche Geschäftsmodellansätze sind damit eine konsequente Folge.
In wissenschaftlichen Beiträgen stand die Landnutzung aus der Perspektive der Circular Economy im Fokus. Diesem Thema stellen sich auch große deutsche Unternehmen – etwa im Blick auf die Bedeutung für Klimaveränderungen.
Sind es also vor allem fehlende politische Rahmenbedingungen, die auf dem Weg zur Circular Economy bremsen?
Einerseits geschieht die politische Rahmensetzung häufig viel zu langsam und nicht konsequent genug. Aber das ist nicht alles, es ist auch ein Umdenken in Unternehmen erforderlich. Manche planen immer noch linear statt zirkulär, einfach aus Routine. Hinzu kommen Unsicherheiten, neue Anforderungen und Themen wie die Internalisierung von Externalitäten – die Einbeziehung gesellschaftlicher Kosten in die Wirtschaftlichkeitsberechnung der Verursacher. Mir ist es wichtig, dass wir hier nicht nur ein bisschen „nachhaltiger“ werden, sondern es geht um die Frage: Wie sehen unsere Geschäftsmodelle in den Rahmenbedingungen von morgen aus? Wie werden wir dastehen, wenn Externalitäten dann eingepreist werden und woher bekommen wir eigentlich die Ressourcen für unsere Produkte von morgen?
Für Segler sind die richtigen Navigationsmarken wichtig. Eine „one fits all“-Lösung wird es aus meiner Sicht nicht geben. Als Unternehmer sollten wir uns fragen: Wo wollen wir hin? Haben wir die richtigen Instrumente und die richtigen Leute an Bord? Habe ich Zugang zu notwendigem Wissen? Und dann den richtigen Kurs und die richtigen Zwischenschritte wählen, vom linearen zum zirkulären Geschäftsmodell.
Aus gesellschaftlicher Sicht stellt sich die Frage, wie lösen wir das Umsetzungsproblem? Aus wissenschaftlicher Sicht haben wir nicht mehr die Deutungshoheit, wie wir Nachhaltigkeit interpretieren wollen, sondern wir müssen die Frage lösen, wie wir als Gesellschaft so ins Handeln kommen, dass wir Menschen als Teil der Natur innerhalb der planetaren Grenzen agieren. An wissenschaftlichen Erkenntnissen, technischen Möglichkeiten und attraktiven Geschäftsmodellen mangelt es nicht. Ich wundere mich, dass die Angst in der Gesellschaft, die notwendige Veränderung zu fordern, scheinbar höher ist als die Angst vor den Konsequenzen, wenn wir die nächsten planetaren Kipppunkte überschreiten. Keine leichte Aufgabe und quasi die „Mondlandung“ dieser Generation und das schaffen wir nur zusammen.
Vielen Dank für das Gespräch!
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